Es war mitunter ein Moment, in dem der Salafist Argjend G. (24) im Gerichtssaal ins Trudeln zu kommen schien. Nämlich als der Richter am ersten Prozesstag eine Reihe von Memos vorlas, die Ermittler auf seinem Smartphone sichergestellt hatten. Sinngemäß wird darin "Ungläubigen" der Kampf angesagt. Gefunden wurde auch der Text einer IS-Hymne.

Warum Letzteres auf Argjend G.s Handy sichergestellt wurde, wollte dieser nicht mehr wissen. Grundsätzlich handle es sich dabei aber "fast immer" um "reinkopierte Inhalte". Aber der Angeklagte dürfte damit doch etwas angefangen haben können, hakte der Richter nach. Er habe darin "manche Stellen" gut gefunden, entgegnete G. lapidar. Der Richter wies den jungen Mann dann mit Nachdruck darauf hin, dass sich dieser sich nicht einfach bestimmte Stellen aus extremistischen Texten "rausklauben" könne.

"Dafür kann ich gar nichts"

Argjend G. ist jedenfalls nicht irgendjemand. Der junge Mann zählt zu den Kontaktmännern des jihadistischen Terroristen K. F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte. G. wird von der Staatsanwaltschaft unter anderem vorgeworfen, eigens eine Wohnung in St. Pölten angemietet zu haben, um mutmaßlich junge, teils amtsbekannte Jihadisten zu lehren und zu vernetzen. Auch der spätere Wiener Attentäter war dort zugegen. Angeklagt ist G. wegen Verbrechen einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation.

Am zweiten Prozesstag blieb der Richter beharrlich. Er hielt Argjend G. dessen abonnierte Chatkanäle vor, in denen auch Texte gepostet worden sein dürften, die den Aufruf zum Jihad zum Inhalt hatten. Argjend G. ging nicht weiter darauf ein, warum er den besagten Kanal abonniert hatte. Der gelernte IT-Ingenieur verwies darauf, dass die Texte automatisch im temporären Speicher auffindbar seien, wenn man in einen Kanal eintrete. "Dafür kann ich gar nichts."

Der Angeklagte Argjend G. (24) habe eine Lücke nützen wollen, die nach der Inhaftierung von einigen jihadistischen Autoritäten in Österreich entstanden sei.
Foto: Christian Fischer

Guido Steinberg belastete Argjend G. dann ebenfalls. Der Gerichtsgutachter und Islamwissenschafter analysierte neben den besagten Memos auch unzählige Chats des Angeklagten, die dieser etwa mit einem amtsbekannten Jihadisten geführt hatte. Steinberg resümierte, dass man es mit einem "aufstrebenden jihadistischen Prediger" zu tun habe, "der eine Lücke nutzt". Schließlich befänden sich einige Szenegrößen Österreichs in Haft.

Passend dazu habe G. zunächst nach Saudi-Arabien auswandern wollen, um sich zum Imam ausbilden zu lassen, erläuterte Steinberg. Im Jahr 2020 hätten sich die Pläne dann gerändert. Fortan sei ein Gelehrter in Mauretanien, der als Jihadist Bekanntheit erlangt habe, G.s Ziel gewesen?

Auf die Frage des Richters, ob Argjend G. beim IS zu verorten sei, sagte Steinberg kurz und knapp: "Ja." Darauf deute unter anderem hin, dass dieser IS-Gefangene in Memos auf dessen Smartphone, die als Freitagspredigten betitelt seien, als "Brüder" und "Schwestern" bezeichnet habe, denen man beistehen müsse. In einem Chat mit einem amtsbekannten deutschen Jihadisten soll Argjend G. nach dem Fall des IS-Kalifats außerdem geschrieben haben, wie gut es gewesen wäre, dort zu sterben. Wenige Tage vor dem Anschlag in Wien sei laut Steinberg in einer abgespeicherten Notiz außerdem von einem "Jihad gegen Ungläubige" die Rede gewesen.

Reden, essen, Hangman

Ob der Angeklagte in der St. Pöltener Wohnung tatsächlich radikale Predigten gehalten hatte, ist zwar noch offen. Für Steinberg spreche aber viel dafür, dass es so gewesen sein müsse. Es sei eine Wohnung für Unterricht angemietet worden, dieser habe stattgefunden, und es gebe Predigten in Form von Memos. Steinberg würde es daher keine "Vermutung" nennen, dass diese gehalten worden seien, sondern vielmehr eine "Schlussfolgerung".

Das sehen die Besucher der Wohnung anders. Eine Reihe von Zeugen trat am Mittwochnachmittag in die Mitte des Gerichtssaals und versuchte, den Angeklagten zu entlasten. Darunter zwei Brüder der Familie Z., die seit Jahren im Fokus der Behörden steht. Ein weiteres Familienmitglied ist einer der sechs Angeklagten im großen Terrorprozess, der am 18. Oktober startet.

Grob umrissen stellten die jungen Männer die Treffen in der Wohnung als völlig harmlos dar. Man habe geredet, gegessen und – was erstmals und oft erzählt wurde – Spiele wie Hangman gespielt. Ab und an sei auch die Religion ein Thema gewesen, wenn jemand Fragen hatte. Mehr nicht. In bisherigen Verfahren spielten die Zusammenkünfte in St. Pölten noch keine strafrechtliche Rolle. Ob sich das gerade ändert, wird sich kommende Woche Dienstag zeigen. Dann soll ein Urteil fallen. (Jan Michael Marchart, 6.10.2022)