Franz-Stefan Gady vom Londoner Internationalen Institut für strategische Studien in der "ZiB 2" bei Martin Thür.

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Die Bilder, die der ORF vor den Interviews in der "ZiB 2" am Montagabend zeigte, waren verstörend. Riesige aufgerissene Krater direkt neben ukrainischen Spielplätzen, verletzte und geschockte junge Frauen. Franz-Stefan Gady gelang es in gewohnt ruhiger Weise, die strategischen Hintergründe des moralisch Unverständlichen zu interpretieren.

So weit das Erwartbare. Doch was Gady, der für das renommierte Internationale Institut für strategische Studien (IISS) in London tätig ist, inhaltlich zu sagen hat, überrascht: Wladimir Putin und seine Armee hätten die großangelegten Angriffe von langer Hand geplant, also bereits vor dem Anschlag auf die Kertsch-Brücke, die das russische Festland mit der illegal annektierten Krim verbindet. Die 83 Raketen, die am Montag auf die Ukraine abgefeuert wurden, seien also mehr als nur ein Vergeltungsschlag gewesen. Indiz dafür: die Verlegung russischer Flugverbände zum Monatswechsel.

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"Zermürbung" durch großflächige Bombardements?

Militärexperte Gady wertet den russischen Gegenangriff als "Teil einer größeren Zermürbungsstrategie der russischen Streitkräfte". Mit weiteren Bombardements sei demnach leider zu rechnen. Ob die angestrebte "Zermürbung" eintreten könnte? Zumindest bezüglich der Moral der Bevölkerung sieht der Experte keine Gefahr, "militärhistorisch" gebe es keine Beispiele einer solchen Auswirkung derartiger Bombardements. Eine Unterstützung der Ukraine mit Infrastruktur für den Winter sei aber dringend notwendig.

Auch in der Zerstörung der Kertsch-Brücke sieht Gady weniger Symbolik als vielmehr den möglichen Vorboten einer größeren ukrainischen Gegenoffensive "in den nächsten Wochen und Monaten". Mittelfristiges Ziel: die Rückeroberung der Stadt Melitopol in der Oblast Saporischschja, die ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt sei.

Neue "Eingreiftruppen" aus Belarus keine große Gefahr

Entwarnung gibt Gady, was eine mögliche aktive Kriegsbeteiligung belarussischer Truppen angeht: Diese seien vergleichsweise schlecht ausgebildet und für eine solche Verwendung nicht vorbereitet, außerdem habe sich die Ukraine auf diese Bedrohung seit langem eingestellt. Immerhin. (Jonas Heitzer, 11.10.2022)