Roboter können nicht nur die treuen Helfer sein, sondern auch gefährlich werden.
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Im Sommer kam es bei den Moscow Chess Open zu einem denkwürdigen Zwischenfall: Ein Roboter brach bei einer Schachpartie einem Siebenjährigen den Finger. In einem Video ist zu sehen, wie der Roboterarm zunächst eine Schachfigur vom Feld nimmt und dann nach der Hand des Jungen greift. Erst als Zuschauer zu Hilfe eilten, konnte das Kind befreit werden. Der Schachroboter soll Teilnehmerberichten zufolge bei vorherigen Partien problemlos funktioniert haben. Offensichtlich war er von dem schnellen Spielzug seines Gegners aber derart überrascht, dass er nicht mehr zwischen Finger und Schachfigur unterscheiden konnte.

Die Sache ging am Ende glimpflich aus, doch der Vorfall macht deutlich, welche Gefahren der Umgang mit Robotern birgt. Vom Staubsaugroboter bis zum Mähroboter sind Menschen im Alltag immer häufiger von Automaten umgeben, und auch in der Arbeitswelt kommen sie vermehrt zum Einsatz. Roboter brutzeln Burger, servieren Kaltgetränke oder pflegen alte Menschen. Doch wo Menschen mit Maschinen interagieren, wächst die Unfallgefahr. So zeigen interne Dokumente von Amazon, dass die Zahl der Verletzungen in den Logistikzentren in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Vor allem an Aktionstagen wie Prime Day oder Cyber Monday, wo besonders viele Bestellungen bearbeitet werden, ist die Zahl der Arbeitsunfälle hoch.

Schneller, gefährlicher

Zwar gibt es keine offiziellen Berichte von Fällen, bei denen Roboter Lageristen körperlichen Schaden zufügten. Doch die Sortierroboter, von denen mittlerweile 200.000 weltweit in Amazons Logistikzentren im Einsatz sind, erhöhen das Verletzungsrisiko insoweit, als sie das Produktivitätstempo steigern. Die "Picker", wie die Logistikmitarbeiter genannt werden, stehen extrem unter Druck und müssen in der gleichen Zeit mehr Sendungen bearbeiten. Die Folge: Sie sind unkonzentriert, gestresst – und machen Fehler, bei denen sie sich verletzen.

Amazon betont, dass Maschinen die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen würden. Vor wenigen Monaten hat der Online-Riese einen vollautonomen Roboter namens Proteus präsentiert, der eigenständig Pakete transportieren und zwischen den Arbeitern herumkurven soll. Zwar verfügt das Gerät von der Größe eines Staubsaugroboters über Abstandssensoren, die Hindernisse erkennen und Kollisionen verhindern sollen, doch ob die Objekterkennung zuverlässig funktioniert, ist fraglich, zumal das Vehikel mit rund zwölf Stundenkilometern recht flott unterwegs ist. Laut einer Studie des Georgia Institute of Technology erkennen Sensoren autonomer Fahrzeuge Fußgänger mit hellerer Hautfarbe besser als solche mit dunkleren Hauttönen – was bedeutet, dass Schwarze ein höheres Unfallrisiko tragen. Nachfragen des Magazins Wired, ob das Computer-Vision-System an Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe getestet wurde, wollte ein Amazon-Sprecher nicht beantworten.

Wer haftet?

Wie gefährlich Robotik im Extremfall sein kann, zeigt ein Fall aus Deutschland: 2015 wurde in einem Volkswagen-Werk in Baunatal ein Arbeiter von einem Fertigungsroboter getötet. Der 22-Jährige wurde von einem Hydraulikarm erfasst und gegen eine Metallwand gedrückt. Die Staatsanwaltschaft Kassel leitete daraufhin Ermittlungen ein, das Verfahren gegen einen Kollegen, der die Anlage unsachgemäß bedient haben soll, wurde jedoch eingestellt.

Derlei Unfälle werfen haftungsrechtlich komplizierte Fragen auf. Wer haftet, wenn ein Service-Roboter ein Hindernis übersieht und mitsamt der Essensladung auf einen Gast fällt? Wer trägt die Verantwortung, wenn ein Küchenroboter heißes Bratfett verschüttet und einen Koch so schwer verletzt, dass dieser arbeitsunfähig wird? Der Robotikhersteller, weil er ein fehlerhaftes Gerät in Verkehr gebracht hat? Der Softwarehersteller, weil er einen faulen Code verkauft hat? Oder der Arbeitgeber, weil er seiner Sicherungspflicht nicht nachgekommen ist? Auf Rechtsanwälte könnte noch viel Arbeit zukommen.

Nicht nur körperliche Schäden zählen

Nun muss man sagen, dass die Automatisierung die Sicherheit am Arbeitsplatz grundsätzlich erhöht hat. Arbeiter müssen heute keine giftigen Dämpfe mehr einatmen oder ungesicherte Maschinen bedienen, wie das in den Fabriken in der ersten industriellen Revolution der Fall war und zum Teil heute in Entwicklungsländern noch ist. Die Zahl der Arbeitsunfälle in Industrienationen ist seit 1900 signifikant zurückgegangen. Allein solche historischen Vergleiche taugen immer nur bedingt, weil sich in dieser Zeit ja auch die Struktur des Arbeitsmarkts – von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft – verändert hat. Wo mehr Menschen in Büros statt in Fabriken arbeiten, entstehen zwar weniger körperliche, dafür aber mehr seelische Schäden.

So haben Ökonomen der Universität Pittsburgh herausgefunden, dass Angestellte, die mit Industrierobotern zusammenarbeiten, tendenziell häufiger psychische Krankheiten erleiden und zu Drogen oder Alkohol greifen. Vielleicht es am Ende doch am gesündesten, wenn man sich am Arbeitsplatz mit Menschen umgibt, die einen nicht permanent unter Druck setzen. (Adrian Lobe, 19.10.2022)