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Die große Zahl der unbesetzten Jobs könnte die Inflationskontrolle erschweren.
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Larry Fink, Chef der Fondsgesellschaft Blackrock, versteht nicht, dass sich noch jemand wundert. Neun Billionen US-Dollar (9,2 Billionen Euro) habe die US-Regierung allein in den vergangenen vier Jahren für Wirtschaftshilfen ausgegeben. Es gab Schecks für alle, um die Konjunktur in der Pandemie am Laufen zu halten. Ex-Präsident Donald Trump hat Steuergeschenke für Reiche draufgepackt. Sein Nachfolger gibt Geld an verschuldete Studierende. Die USA könnten nicht aufhören, "Helikoptergeld" zu verteilen, sagt Fink, der mit Blackrock den größten Vermögensverwalter der Welt führt, in Richtung Publikum. "Und dann rätseln alle, wieso wir eine so hohe Inflation haben." Die Lacher sind auf seiner Seite.

Es ist später Nachmittag in Washington D.C. Fink spricht bei der Jahrestagung des Internationalen Bankenverbandes IIF vor einer Gruppe von Bankern und Investoren über die Zukunft der Weltwirtschaft. Es geht um die USA, Europa, China, um den Krieg in der Ukraine und die Demografie in Amerika, aber in Wahrheit nur um ein Thema, das alle diese Stränge zu verbinden scheint: die Rekordinflation.

Fink zeichnet für die kommenden Monate ein düsteres Bild. Nachdem die USA ihre Schecks verteilt haben und nun diese Rechnung in Form höherer Inflation präsentiert bekommen – die Teuerung liegt bei 8,2 Prozent im Land –, nehmen aktuell europäische Regierungen hunderte Milliarden Euro in die Hand, um ihren Bürgerinnen und Bürgern zu helfen. "Ich will nicht urteilen", sagt Fink. Aber es sei bemerkenswert, dass mitten in einer Krise so viel Geld ausgegeben werde, obwohl es sein könne, dass genau das die Inflation antreibe und die Probleme verschlimmere. Da lacht keiner.

Nachdenkliche Banker

Ein Investmentbanker, den hohe Staatsausgaben nachdenklich stimmen. Das allein ist vielleicht noch keine Geschichte. Diese Woche kamen in Washington hunderte Zentralbankerinnen und Zentralbanker, Finanzministerinnen und Finanzminister sowie Ökonominnen und Ökonomen zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zusammen, um zu vermessen, wie sich die Weltwirtschaft entwickeln wird. Viele treibt dieselbe Sorge um wie Fink.

Die Weltwirtschaft ist dabei, in eine neue Phase einzutreten. Auf die rasante Erholung nach der Pandemie folgt Stagnation, ein Nullwachstum also, ein Zustand, bei dem es keine Wohlstandsgewinne zu verteilen gibt, was Konflikte zwischen Arbeit und Kapital verschärft.

Ein Drittel der Weltwirtschaft soll in eine Rezession stürzen, prognostiziert der IWF. Die Wirtschaftskraft wird in vielen Ländern, darunter auch Österreichs Nachbarn Italien und Deutschland, schrumpfen. Das bedeutet, dass die Arbeitslosigkeit steigen wird. Und die Hinweise verdichten sich, dass parallel dazu die Periode der hohen Inflation nicht vorüberzieht, sondern die Krise erst am Anfang steht.

In der Eurozone zogen die Preise im Jahresabstand um zehn Prozent an. Schon gibt es Prognosen, dass in Deutschland die Teuerung 2023 noch einmal um sieben, in Österreich um 6,5 Prozent zulegen wird. Butter ist binnen zwölf Monaten um ein Drittel teurer geworden, Milch um ein Fünftel, Hotelübernachtungen um ein Zehntel. Und jetzt soll es noch weiter raufgehen?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Als Folge des Krieges sind Energiepreise weltweit gestiegen, vor allem aber in Europa. Das Erdölkartell Opec will seine Förderung drosseln, um die Ölpreise hoch zu halten. Ab 5. Dezember greift ein Ölembargo gegen Russland, das neue Verwerfungen auslösen könnte. Auch abseits solcher Schocks deute alles darauf hin, dass Energie mittelfristig, also im Laufe von zehn Jahren, teurer bleiben wird, sagt der Ökonom Daron Acemoğlu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Zeiten von billigem Gas sind für Europa vorbei. Und bis erneuerbare Quellen, die in Europa etwa 20 Prozent des Energiekonsums abdecken, Gas voll ersetzen könnten, werde es dauern.

So viel Inflation stimmt auch
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäische Zentralbank, nachdenklich.

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Der mächtigste Feind

Dazu gesellen sich neue Probleme. Statt an einem Strang zu ziehen, ringen Notenbanken und Regierungen miteinander, wenn es darum geht, die Inflation in den Griff zu bekommen. Nachdem die Teuerung heuer den höchsten Stand seit den 1970er-Jahren erreichte, vollzogen fast alle Zentralbanken eine Kehrtwende und beendeten ihre lockere Geldpolitik, die nach der Finanzkrise 2008 begonnen hatte. Zinsen wurden im Rekordtempo erhöht.

Die Notenbanken, deren Hauptaufgabe es ist, Preisstabilität zu garantieren, etwa eine Inflation von zwei Prozent, haben den Kampf aufgenommen. Jahrelang wurde ihnen vorgeworfen, das Inflationsrisiko nicht ernst zu nehmen. Regierungen wurde nach der Finanzkrise dagegen vorgehalten, knausrig zu sein. Aber das hat sich verändert.

Begonnen hat diese Entwicklung in der Pandemie: Global haben Länder Corona-Hilfen im Umfang von zehn Prozent ihrer Wirtschaftsleistung beschlossen. In den USA waren es 15 Prozent. Durch das Geldverteilen sind die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger in den USA derart stark gestiegen, dass Amerikaner genug Reserven haben, um selbst bei den aktuellen Teuerungsraten eifrig zu konsumieren, sagte der CEO der Bank of America, Brian Moynihan, in Washington. Mehr Nachfrage bedeutet mehr Inflation. Moynihan: "Um die Teuerung runterzubringen, kämpft die US-Notenbank gegen ihren mächtigsten Feind: den US-Konsumenten."

Während die Corona-Hilfen zurückgefahren wurden, folgen nun Hilfspakete gegen die Teuerung. Zwischen zwei und sieben Prozent ihrer Wirtschaftsleistung sagten die meisten EU-Staaten dafür schon zu, zeigt der belgische Thinktank Bruegel. Tendenz: schnell steigend. "Eine zu freigiebige Finanzpolitik ist derzeit das größte Risiko für die Europäische Zentralbank, wenn es darum geht, die Inflation runterzubringen", sagte der niederländische Notenbankchef Klaas Knot in Washington. Eine Warnung, die IWF-Ökonomen öfter wiederholen.

Furcht vor Instabilität

Die große Frage ist, ob Regierungen bereit sind, auf die Bremse zu steigen? Es gilt, Wahlen zu gewinnen, und viele Politikerinnen und Politiker fürchten Instabilität durch steigende Preise. Diese Furcht könnte die Inflationskontrolle langfristig erschweren, wenn sie dazu führt, dass Staaten zu viel Geld ausgeben.

Es gibt Hinweise darauf, dass Notenbanken den Job allein gar nicht erledigen können. Der Ökonom Francesco Bianchi von der Johns-Hopkins-Universität und Leonardo Melosi von der Fed in Chicago, einem Ableger der US-Notenbank, zeigen in einer Analyse, dass die letzte Inflationskrise Ende der 70er-Jahre in den USA erst beendet werden konnte, als die Fed die Zinsen stark anhob und die Regierung Ausgaben kürzte und Steuern anhob.

Das sei eine wichtige Lehre für die aktuelle Krise, sagt Bianchi. Wenn der Staat seine Ausgaben erhöht, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen aber nicht glauben, dass im Gegenzug der Staat irgendwann auch Steuern anhebt und spart, dann geben Haushalte und Unternehmen noch mehr aus. Das erhöhe den Inflationsdruck. "Die Zentralbank kann Inflation nicht kontrollieren, solange die Regierungen nicht eine Strategie verfolgen, die mit dem Inflationsziel der Notenbank konsistent ist", so Bianchi.

Erneuerbare Energiequellen

Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt Unterschiede dabei, wofür Geld ausgegeben werden soll. Simon Johnson, Ökonom am MIT, sagt, dass jeder Cent, den Europa in den Ausbau erneuerbarer Energiequellen investiere, richtig sei. Auch der Währungsfonds fordert solche Investitionen und Hilfe für Ärmere. Aber keine Steuererleichterungen auf breiter Front, keine Milliardenausschüttungen mit der Gießkanne, keine Energiebremsen für alle. Damit sind wohl auch Länder wie Österreich mitgemeint, wo es all das gibt. Die Energiekrise mache Europa ärmer, weil Geld in energiereiche Staaten abfließe, das lasse sich nicht übertünchen. So sieht das der IWF.

Die Strategie, auf die Krise mit Geldausgeben zu reagieren, birgt auch abseits der Inflation Risiken. Neue Schulden zu finanzieren ist aktuell kein Problem. Die Inflation war so hoch, dass die realen Zinsen, die Staaten an ihre Gläubiger zahlen, heuer rückläufig waren. Aber damit ist es bald vorbei, wenn Zinsen weiter steigen. Dazu kommt, dass neue Ausgaben warten. Der IWF geht davon aus, dass zusätzliche staatliche Investitionen in Höhe von zwei bis drei Prozent der Wirtschaftsleistung notwendig sind, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Steigende Zinsen, hohe Schulden
Foto: der Standard

Selbst wenn Staaten diese Kosten nicht aufbringen, wird es teurer für sie, zuzuwarten. Das zeigt die wachsende Zahl an Naturkatastrophen, etwa die Trockenheit im Sommer in Europa. Dazu kommen höhere Ausgaben für die Pflege. Je freigiebiger Staaten auch abseits dieser Herausforderungen Geld verteilen, desto eher könnten Zentralbanken Zinsen anheben bei dem Versuch, die Inflation zu kontrollieren. Das träfe Schwellenländer, die sich oft in Dollar verschulden. Ihre Schulden würden teurer. Wenn hohe Zinsen neue Verwerfungen verursachen, könnten Staaten wieder mit mehr Ausgaben gegensteuern. Ein Kreislauf.

Teure Energie bremst Konsum

Es gibt freilich auch gute Nachrichten. Eine Studie des IWF kommt zum Ergebnis, dass die Pariser Klimaziele erreicht werden können, ohne dass dadurch die Inflation angefacht wird. Pro Jahr um maximal 0,4 Prozentpunkte soll die Teuerung in einer Übergangsphase hin zu Erneuerbaren höher ausfallen. Eine weitere gute Nachricht betrifft den Bankensektor. Seit der Finanzkrise wurde viel in die Stabilität des Finanzsystems investiert. Bisher hält das Sicherheitsnetz.

Dafür kommen andere Probleme hinzu. So verkompliziert die Energiekrise in Europa die Aufgabe der Notenbanken, die Inflation zu kontrollieren, wie Isabel Schnabel, Direktorin bei der Europäischen Zentralbank, warnt. Wegen der hohen Preise fahren Unternehmen ihre Produktion zurück.

Ein Beispiel dafür ist der österreichische Faserhersteller Lenzing mit seinem Werk in Heiligenkreuz im Burgenland. Das spart Energie, sorgt aber dafür, dass Betriebe weniger Güter herstellen. Das verknappt das Angebot – weniger Angebot, höhere Preise. Dazu kommt, laut Schnabel, dass in der Pandemie mit Staatshilfen viele Unternehmenspleiten verhindert wurden, die sonst stattgefunden hätten. Unproduktive Betriebe sind am Markt geblieben.

Jobs, die keiner will

Auch wenn teure Energie den Konsum bremst und Zinssteigerungen das ihre dazu beitragen, könnte das nicht ausreichen, um die Inflation zu dämpfen. Dies deshalb, weil Probleme auf der Angebotsseite unter der Oberfläche schlummern.

In den USA bereitet Ökonominnen und Ökonomen etwas anderes Kopfzerbrechen: der veränderte Arbeitsmarkt. Die Zahl der offenen Stellen hat in vielen Ländern einen Rekordwert erreicht, besonders in den USA. Dort kommen derzeit zwei offene Stellen auf 1,7 Jobsuchende. So viele freie Stellen je Arbeitssuchender gab es seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Woran das genau liegt, weiß keiner. In Europa stehen einige Länder, darunter Österreich, vor ähnlichen Herausforderungen.

Das verkompliziert die Inflationsbekämpfung potenziell. Wenn die Notenbanken Zinsen anheben, aber die Zahl der offenen Stellen nicht schnell sinkt, könnte der Arbeitsmarkt heiß bleiben. Sprich: Unternehmen würden höhere Löhne bieten müssen, um offene Stellen zu besetzen. Das würde den Konsum stützen, die Inflation bliebe hoch. Notenbanken müssten dann versuchen, die Arbeitslosenrate mit großen Zinsschritten stark hochzutreiben, um diesen Effekt auszugleichen. Dieses Problem betrifft aktuell schon die USA, wo Löhne stärker angezogen haben.

Teuerungskrise

Eine Energiekrise, die bleibt, Staaten, die riskieren, mit ihrer Politik die schwieriger gewordene Aufgabe der Notenbanken zu untergraben. Diese Zutaten sind es, die dafür sprechen, dass die Teuerung in den kommenden Jahren höher ausfallen könnte als erwartet. Es muss nicht so kommen. Nachdem die meisten Ökonominnen und Ökonomen, auch der IWF, die Inflation nicht haben kommen sehen, kann es sein, dass sie übervorsichtig sind. Aber das Risiko, dass die Politik die Teuerungskrise verschärft, lässt sich nicht leugnen.

Larry Fink sieht indes neue Chancen auf Investoren wie ihn zukommen. Als Antwort auf die hohe Inflation fördern die USA private Ausgaben für grüne Technologien mit vielen Milliarden. Da lasse sich das große Geld machen, sagt Fink. So sei es immer. "Der Kummer des einen ist die Chance des anderen." (András Szigetvari aus Washington, 16.10.2022)

Warum das Leben früher billiger war, und wie man die Inflationsquote errechnet, erklärt Wirtschaftsredakteur Andreas Danzer.
DER STANDARD