Die Grünen-Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour.

Foto: AFP/Axel Heimken

Es ist eine Szene, die zur deutschen Geschichte gehört. 1999 sitzt Joschka Fischer, der damalige Außenminister der Ökopartei, am Parteitag in Bielefeld.

Plötzlich trifft ihn von rechts ein Farbbeutel am Kopf, rote Farbe rinnt an seinem Gesicht herab, sein Trommelfell ist geplatzt. Der Angriff sollte ein Protest des Fundi-Flügels gegen die Beteiligung Deutschlands am Nato-Einsatz im Kosovo sein. Für die trat Fischer damals ein und setzte sie letztendlich auch durch.

An diesen Vorfall haben sich viele Grüne am Parteitag erinnert und so manche(r) Ähnliches befürchtet. Denn wieder stand ein Parteitag an, bei dem schwierige Entscheidungen getroffen werden mussten. Entscheidungen, die an die Grundfeste der Partei gehen und nicht wenige aufregen.

Ungewöhnlich ruhig

Aber es blieb ruhig, ungewöhnlich ruhig für die Grünen. Das war man von den Delegiertenkonferenzen – wie die Basistreffen bei der Ökopartei heißen – aus den vergangenen Jahren zwar gewohnt. Doch da eilten die Grünen, unter Führung von Annalena Baerbock und Robert Habeck, in Opposition von Umfrageerfolg zu Umfrageerfolg, bis sie schließlich mit SPD und FDP in der Ampelkoalition landeten.

Dort sind sie nun und vertreten eine Politik, die früher nicht einmal ansatzweise denkbar gewesen wäre: Sie sind bereit, die Laufzeiten für zwei Atomkraftwerke über den 31. Dezember 2022 hinaus zu verlängern (wenn auch "nur" in stiller Reserve), sie drängen auf Waffenlieferungen an die Ukraine.

Kritik gab es

In den Führungsgremien war man sich vor dem Parteitag am Wochenende in Bonn nicht sicher, ob es nicht, zumindest verbal, knallen würde. Diskutiert wurde, wie es denn weitergehen solle mit dem Regieren, wenn die grüne Basis der Führung klar die roten Linien aufgezeigt hätte.

Es ist auch nicht so, dass es gar keine Kritik gab. So stellte Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, der in der ersten rot-grünen Bundesregierung (1998 bis 2005) den Atomausstieg verhandelt hatte, die Versorgungssicherheit durch AKWs infrage. "Ganz Europa muss wie bekloppt Strom produzieren", weil die französischen Atomkraftwerke Probleme hätten.

"Wir tragen den Staat"

Doch die Parteitagsregie war, aus Sicht der Spitze, gut durchchoreografiert. Immer wieder legten sich die Grünen-Chefs und die grünen Minister für ihre Positionen ins Zeug – mit Formulierungen, die man von der CDU gewohnt ist. "Wir tragen den Staat, wir tragen diese Gesellschaft, wir tragen diese Demokratie", rief Parteichef Nouripour einmal in den Saal, und die Anwesenden spendeten begeistert Applaus.

Viel Beifall gab es auch für Außenministerin Annalena Baerbock, die zu Waffenlieferungen erklärte: "Wir unterstützen die Ukraine, nicht, obwohl wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind, sondern weil wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind."

Schneller Waffen liefern

Auch Co-Parteichefin Lang betonte: "Ich bin überzeugt, dass wir mehr Waffen liefern müssen, dass wir schneller werden müssen. Die Zeit der Zögerlichkeit ist vorbei."

Ein Kompromiss fand sich auch bei Rüstungsexporten. Zwar lehnen die Grünen diese nach Saudi-Arabien ab. Aber es gab keine Forderung nach Rücknahme einer Exportgenehmigung für Munition für Kampfjets im Rahmen eines europäischen Gemeinschaftsprojekts.

Knapp wurde es beim Thema Kohleausstieg, der doch heftig diskutiert wurde. Die Grüne Jugend und andere Delegierte wollten den Abriss des Dorfes Lützerath in Nordrhein-Westfalen nicht hinnehmen.

Unter diesem liegt die Braunkohle, die der Energieriese RWE abbauen will. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Nordrhein-Westfalens grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hatten dem zugestimmt. Dafür zieht RWE den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vor.

Linie der Parteispitze bestätigt

Mit ihrem "Räumungsmoratorium" setzte sich die Grüne Jugend dann aber doch nicht durch. Ihr Antrag erhielt 294 Ja- und 315 Nein-Stimmen. Letztendlich wurde auch hier die Linie der Parteispitze und das Regierungshandeln bestätigt.

Für alle, die sich damit schwertaten, hatte Wirtschaftsminister Habeck einen Trost parat: "Es lohnt sich, in der Regierung zu sein." Er sagte aber auch: "Ich will nicht schönreden, dass es an vielen Stellen manchmal hakt, und es ist auch gar nicht schön, manchmal auch gar nicht schön anzugucken." (Birgit Baumann aus Berlin, 17.10.2022)