Die Welt ist voller Abenteuer und interessanter Dinge. So entdecke ich auf einem Ausflug am Wochenende eine Statue, die mein Interesse weckt – doch anstatt sie zu fotografieren oder zu filmen, nehme ich mein Handy aus der Hosentasche und scanne sie. Dann kann ich sie jederzeit als dreidimensionales Modell auf meinem Handy oder via VR-Brille – im vielzitierten "Metaversum" – betrachten, ein Duplikat davon erstellen oder sie an weitentfernte Freunde schicken.

Keine Science-Fiction

Was ein wenig wie Science-Fiction klingt und früher nur mit spezieller Hardware möglich war, das lässt sich nun schon per Smartphone umsetzen: Diverse Apps ermöglichen es, Objekte zu scannen und zu digitalisieren. Eine dieser Apps ist Scaniverse. Ursprünglich als eigenständiges Unternehmen im Jahr 2020 gestartet, wurde das Start-up im August 2021 von den "Pokémon Go"-Machern Niantic übernommen.

Nutzerzahlen will Keith Ito, Gründer von Scaniverse, gegenüber dem STANDARD nicht nennen. Er betont aber, dass die Community rapid wächst und sich über die ganze Welt verteilt. Derzeit sind es noch die "Early Adopter", die schnell auf jeden neuen Trend-Zug aufspringen, künftig sollen aber viele Menschen damit ihre Erinnerungen festhalten, ist Ito überzeugt.

Ein Metaverse für alle

Andere Anwendungsbereiche sieht er im professionellen Bereich: In der Architektur, in der Archäologie oder im Game Development, indem reale Objekte kostengünstig in Spiele integriert werden können.

Das deckt sich auch ein wenig mit den Plänen von Neal Stephenson: Der berühmte Autor des Cyberpunk-Romans "Snow Crash" will ein eigenes Metaversum bauen, in dem Kreative angemessen belohnt werden, wenn sie neue Objekte in die virtuelle Welt bringen. Apps wie seine, so ist Ito überzeugt, demokratisieren den Prozess der Erstellung von dreidimensionalem Content: "Es erlaubt gewöhnlichen Menschen, Inhalte ins Metaversum zu bringen."

In wenigen Sekunden abgeschlossen

Dabei betont Ito dasselbe wie viele andere Menschen, die derzeit an Teilen dieses ominösen Metaversums arbeiten – einer virtuellen 3D-Welt, in der Menschen gemeinsam spielen, shoppen, feiern und arbeiten sollen. "Es wird Zeit brauchen, bis die Menschen es annehmen," sagt er: "Aber in ein paar Jahren wird es so einfach sein, wie ein Video aufzunehmen."

Dabei ist der Umgang mit der App eigentlich jetzt schon kinderleicht, wie mehrere Experimente des STANDARD zeigen. Die Qualität der Ergebnisse wiederum variiert stark. So tippt man nach dem Start der App auf den großen "New Scan"-Button und bewegt sich mit der Smartphone-Kamera um das Objekt herum, bis dieses komplett als 3D-Modell auf dem Bildschirm sichtbar ist. Beim Scannen von Statuen hat dieser Prozess meist weniger als eine Minute gedauert.

Anschließend wird der Scan automatisch verarbeitet, was ein paar weitere Minuten Zeit in Anspruch nimmt. Und schließlich kann das Objekt noch bearbeitet werden, wobei ähnliche Tools zur Verfügung stehen wie bei herkömmlichen Fotos: Unerwünschte Objekte können ausgeschnitten, die Beleuchtung korrigiert und sogar Farbfilter – ähnlich wie jene von Instagram – eingesetzt werden. Recht gut gelungen ist hier der Scan einer etwa 70 Zentimeter hohen Buddha-Statue.

Foto: Der Standard/Stefan Mey

Während derartige mittelgroße Objekte sich bei mehreren Versuchen gut scannen ließen, scheitert das System derzeit noch an kleinen und großen Objekten. So soll das nachfolgende Bild einen gescannten Gartenzwerg darstellen, der jedoch bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde.

Foto: Der Standard/Stefan Mey

Ähnliche Erfahrungen machten wir im Test mit anderen Objekten dieser Größenordnung. Und auch bei größeren Objekten stieß Scaniverse klar an seine Grenzen. Etwa mit dem nachfolgenden Scan des Uhrturms im Wiener Stadtpark, dem offensichtlich das markanteste Merkmal fehlt: die Uhr.

Foto: Der Standard/Stefan Mey

Den Grund dafür hat Ito im Gespräch rasch identifiziert: Derzeit ist es nicht möglich, mit der Handykamera Objekte zu scannen, die weiter als fünf Meter entfernt sind – und genau das macht das Scannen großer Objekte äußerst schwierig. Dies falle aber unter jene Kinderkrankheiten, die bald behoben werden.

Neue Technologien

Überhaupt werden laut Ito neue Technologien dafür sorgen, dass das Thema zunehmend an Fahrt gewinnt. So setzten 3D-Scanner bisher auf eine Technologie namens Lidar, die das Erkennen dreidimensionaler Objekte über spezielle Sensoren ermöglicht und unter anderem auch in selbstfahrenden Autos eingesetzt wird. Mit einer Technologie namens "Manydepth" ermöglicht Niantic aber das Scannen auch mit Smartphones, die keinen Lidar-Sensor, sondern nur eine herkömmliche Kamera haben. Gleichzeitig werden die besagten Lidar-Sensoren in immer mehr moderne Smartphones eingebaut – das Feld wird also von beiden Seiten aufgerollt.

Eine andere Entwicklung zeigt sich beim Ausspielen der Inhalte. So wird Augmented Reality (AR) von den meisten Menschen derzeit noch auf dem Smartphone genutzt – Stichwort "Pokémon Go" –, spezielle Brillen für die Darstellung der Inhalte in Virtual Reality (VR) werden jedoch immer leistbarer. Und dann gibt es noch Brillen für Mixed Reality, also das Einblenden von virtuellen Objekten in eine reale Umgebung. Hier erwartet sich der Niantic-Manager auch viel durch die Passthrough-Technologie, die unter anderem in Metas neuer Flaggschiff-Brille Meta Quest Pro zum Einsatz kommt.

Geburten, Kriege und Parkbänke

"Derzeit scannen Menschen Dinge und Ereignisse, die ihnen im Leben wichtig sind", sagt Ito. Dazu gehört etwa die eigene Wohnung, um diese später in einem VR-Chat zu integrieren. Oder aber besondere Ereignisse wie die Geburt des ersten Kindes. Ein User aus der Ukraine, so Ito, dokumentiert via 3D-Scan die Zerstörung seiner Heimat durch den Krieg.

Doch wozu werden die Scans eigentlich verwendet? Üblich sind derzeit AR-Anwendungen direkt auf dem Smartphone. So habe ich in meinem Selbstversuch eine im Wald gescannte Bank als virtuelles Objekt in der Wohnung neben dem Katzenfutter platziert.

Geht man mit dem Handy um das Modell herum, so kann man es von verschiedenen Seiten betrachten.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

Hinzu kommt, dass die gescannten Objekte in diversen Formaten exportiert und anschließend in anderen Programmen weiterverwendet werden können. So hab ich den Scan einer Buddha-Statue noch ein wenig verfeinert, als STL-Datei exportiert und anschließend im 3D-Drucker ausgedruckt.

Links das virtuelle, rechts das reale Modell. Perfekt ist das System noch nicht: So hat der Drucker das Modell auf Stelzen gedruckt, wo eigentlich keine nötig gewesen wären.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

Wieder andere Menschen teilen die 3D-Objekte mit Freunden. So ist es etwa in der Scaniverse-App möglich, ein Objekt hochzuladen und an andere User zu schicken. Kauft man sich etwa ein neues Auto, so kann man dieses künftig scannen, anstatt es zu fotografieren, und anschließend an einen Kumpel schicken, sodass dieser es zu Hause von allen Seiten betrachten kann.

Seiten wie Sketchfab.com bieten inzwischen wiederum eine große Sammlung an 3D-Modellen, die entweder von Profis in Programmen aufwendig modelliert oder eben per Scan erstellt wurden. Ito selbst hat hier zum Beispiel ein dreidimensionales Abbild von sich selbst hochgeladen.

Neue rechtliche Fragen

Dass sich durch diese Entwicklung – so wie mit jeder neuen Technologie – auch neue rechtliche Fragen auftun, liegt auf der Hand. Ein Thema ist etwa jenes der Produktpiraterie, denn schließlich lassen sich somit einfach Duplikate von Designobjekten erstellen. Zwar ist Ito der Ansicht, dass ein Scan im Grunde nicht weniger problematisch sei als ein Foto oder Video, das Mitbewerbern ebenso das Nachbauen von Konkurrenzprodukten ermöglichen kann – er erwartet zugleich aber auch, dass sich die legislativen Grundlagen in die Scan-Community ausweiten werden.

Ein anderes Thema ist jenes der Privatsphäre. So ist heute noch recht ungeklärt, was mit 3D-Modellen von Menschen geschieht, die einfach so ins Web geladen werden. Und auch hier zieht Ito Parallelen zu bereits etablierten Technologien: Fremde Menschen auf der Straße sollte man nicht ohne deren Zustimmung scannen, so wie man sie auch nicht ohne deren Erlaubnis filmen darf. Und wer Scans von sich oder den eigenen Kindern ins Web lädt, der sollte sich ähnlich bewusst sein wie bei Fotos in Social Networks: Wenn sie einmal draußen sind, gibt es kein Zurück mehr.

Überhaupt: Hört man Ito zu, so bekommt man den Eindruck, dass er Scans als eine komplementäre Technologie zu Fotos und Videos sieht und zugleich als eine Demokratisierung von zuvor professionellen Anwendern vorbehaltenen 3D-Design-Prozessen. "Ein wenig ist es so wie früher, als die Erstellung von Bildern zuvor nur Malern möglich war, von der Fotografie dann aber der Breite zugänglich gemacht wurde", sagt Ito. 3D-Scans befänden sich nun in einem ähnlichen Stadium wie die Fotografie in ihren Anfangsjahren. Ob sie eines Tages auch so massentauglich werden, wird sich noch weisen müssen. (Stefan Mey, 27.10.2022)