Elon Musk und Twitter-Mitgründer Jack Dorsey.

Foto: APA/AFP/Jim Watson

Was macht eigentlich Twitter-Mitgründer Jack Dorsey seit Elon Musks Übernahme von Twitter? Das Enfant terrible des Silicon Valley arbeitet offenbar an einem neuen Fundament für Social Media als Ganzes. So – oder so ähnlich – lautet das Ziel von "Bluesky", einer bereits 2019 Twitter-intern von Dorsey gestarteten Initiative, die seit Anfang 2022 als gemeinnütziges Unternehmen unabhängig operiert – aber nach wie vor von Twitter finanziert wird.

Neues Netzwerkprotokoll

Bluesky entwickelt das sogenannte AT Protocol, das keiner zentralen Entität gehören soll, wie dies bei aktuellen sozialen Netzwerken der Fall ist. Das Protokoll, dessen Name sich vom "@"-Zeichen ableitet, soll die Basis der nächsten Generation des Internets sein und Nutzerinnen und Nutzer unabhängig von einzelnen Social-Media-Plattformen machen. Die Plattformen sollen zu bloßen Providern werden und ein "föderales" System bilden, in dem User plattformübergreifend kommunizieren können. Der Code des AT Protocol ist quelloffen unter der MIT-Lizenz.

Netzwerkprotokolle sind die Basis des heutigen Internets. HTTPS ist den meisten als Prefix von Websites ein Begriff, das Kürzel bezeichnet das "Hypertext Transfer Protocol Secure", also ein Protokoll zur sicheren Übertragung von Daten im Netz. Die für den E-Mail-Verkehr verwendeten Protokolle Internet Message Access Protocol (IMAP) und Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) sind weitere gängige Beispiele.

Vergleichen lässt sich die Funktionsweise auch am ehesten mit E-Mail, wo Nutzerinnen und Nutzer miteinander kommunizieren können, obwohl sie Adressen verschiedener Mailserver nutzen. Bestehende soziale Netzwerke sollen das AT Protocol verwenden und sich in die dezentrale Struktur integrieren können. Neben der Wahl eines bestehenden Providers sollen Nutzerinnen und Nutzer ihre eigene Präsenz im AT Protocol auch selbst hosten können, ähnlich einem eigenen E-Mail-Server. Auch Twitter soll in Zukunft dieses Protokoll verwenden, so der ursprüngliche Plan.

Leichter Umzug, Algorithmenwahl, "Lexicon" und Performance

Auf ihrer Website führt die Initiative vier "Alleinstellungsmerkmale" des AT Protocol an. Dieses soll es zum einen möglich machen, Accounts von einem Provider zum anderen umzuziehen, ohne dabei Daten und Follower zu verlieren. Außerdem sollen Nutzerinnen und Nutzer die Wahl zwischen verschiedenen Algorithmen haben, die angezeigte Inhalte auswählen. Bluesky bezeichnet diese Funktion als "Open Algorithms Mode". Wie das in der Praxis funktionieren soll, wird sich erst zeigen. Ganz neu ist das Feature nicht: Auf Twitter lässt sich der Feed etwa bereits jetzt mithilfe von Account-Listen und "Communities" an die eigenen Bedürfnisse anpassen.

Als weitere Features führt Bluesky ein Framework namens "Lexicon" für verbesserte Zusammenarbeit verschiedener Plattformen an und einen Fokus auf Performance: Das AT Protocol soll auch große Inhaltsfeeds besonders schnell laden.

Die erste App, die das AT Protocol verwendet, entwickelt Bluesky selbst. Sie soll denselben Namen tragen wie das Unternehmen und ähnlich funktionieren wie Twitter oder Mastodon. Seit Mitte Oktober läuft die Anmeldungsphase für die Beta-Version. Interesse scheint vorhanden zu sein: Bisher haben sich nach Angaben von Bluesky bereits über 30.000 Personen angemeldet.

Dass erst jetzt ein erster Testdurchlauf startet, dürfte der geringen Größe des Bluesky-Teams geschuldet sein: Im Mai dieses Jahres bestand es nur aus sechs Personen.

Die Zukunft von Twitter?

Twitter-Mitgründer Jack Dorsey ist grundsätzlich der Meinung, dass Twitter als Dienst "von niemandem besessen oder geführt" werden soll. Twitter soll "ein öffentliches Gut auf Protokollebene sein, kein Unternehmen". Nun ist es aber ein Unternehmen – dass es dazu gekommen sei, bedauert Dorsey offenbar. Wichtig sei es nun, das Unternehmen Twitter "von der Wall Street zurückzuholen", und Musk sei die richtige Person dafür, postete Dorsey im Frühjahr.

Im Zuge von Musks Twitter-Deal übertrug Dorsey seine rund 18 Millionen Twitter-Aktien an Musks neue Holding "X". Damit sparte sich Musk rund eine Milliarde Dollar, und Dorsey behält seinen Anteil am Unternehmen.

Vieles von Elon Musks Idee eines "offenen" und "dezentralen" Twitter findet sich im Konzept von Bluesky, und auch ein geleakter Chatverlauf zwischen Dorsey und Musk enthält Hinweise darauf, dass Musk Dorseys Vision für Twitter, die eng mit Bluesky verknüpft ist, etwas abgewinnen kann.

Twitter könnte also in der Zukunft, wie von Dorsey ursprünglich geplant, das AT Protocol verwenden – die Bluesky-App könnte den Weg dahin ebnen. (Jonas Heitzer, 2.11.2022)