Daniela Kraus vom Presseclub Concordia plädiert für das Prinzip der "Regulierten Selbstregulierung" in der Medienbranche.

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STANDARD: Die jetzt publik gewordenen Chats, die das Naheverhältnis zwischen Politik und Medien dokumentieren: Sind sie ein Sittenbild der Branche oder nur Einzelfälle, die ein schlechtes Licht auf die Branche werfen?

Kraus: Der Concordia ist es extrem wichtig zu betonen, dass der große Teil der Journalistinnen und Journalisten in Österreich seriös, gewissenhaft und unabhängig arbeitet. Es gibt aber offensichtlich auch manche, die den Vorteilen einer engen Verflechtung mit der Politik nicht widerstehen können. Dagegen gibt es nicht genug Schutzmechanismen. Was die Concordia und viele andere daher schon lange fordern: Die Rahmenbedingungen gehören geändert. Wir sollten dringend an besseren strukturellen und institutionellen Vorkehrungen arbeiten.

STANDARD: Die Funktion von Rainer Nowak als Chefredakteur und Herausgeber der "Presse" wird ruhend gestellt, und ORF-News-TV-Chefredakteur Matthias Schrom geht auf Urlaub, bis die Vorwürfe geprüft sind. Reicht das aus Ihrer Sicht?

Kraus: Ich sehe es nicht als meine Rolle, zu richten oder Absolution zu erteilen. Das unter der Voraussetzung, dass die Unternehmen hier wirklich akribisch prüfen, und zwar sehr schnell – in ihrem eigenen Interesse und im Interesse des ganzen Landes. Einer solchen Prüfung sollten erstens angemessene Sanktionen folgen – und zweitens Vorsorge für die Zukunft getroffen werden. Nach heutigem Wissensstand ist schwer vorstellbar, dass hier keine Verstöße gegen die Ethik- und Compliance-Richtlinien des ORF oder eines Konzerns wie der Styria vorliegen.

STANDARD: Solche Einflussnahmen sind ja ein Verstoß gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse. Braucht es hier noch Nachschärfungen?

Kraus: Wir fordern, den Paragrafen 4 des Ehrenkodex, der Einflussnahmen regelt, noch konkreter zu formulieren und dezidiert auch politische Einflussnahme anzusprechen. Inspirieren können sehr klare Branchenvereinbarungen zum Schutz der Unabhängigkeit der Redaktionen, wie es sie zum Beispiel in Norwegen gibt. Diesbezügliche Vereinbarungen zwischen Journalisten- und Verlegerverbänden haben 2020 sogar in einem eigenen Gesetz zur redaktionellen Unabhängigkeit und Verantwortung in redaktionellen journalistischen Medien ("Medieansvarsloven") Niederschlag gefunden. Damit sind die Redaktionen gesetzlich vor Interventionen, auch durch das eigene Management, geschützt.

STANDARD: Die Journalistengewerkschaft fordert die Implementierung von Redaktionsstatuten, die eine Abwahl von Chefredakteurinnen und Chefredakteuren ermöglichen sollen. Was halten Sie davon?

Kraus: Die Concordia hat dazu keine offizielle Position. Die Stärkung der Redaktionen über wirksame Redaktionsstatute ist aber auf jeden Fall sinnvoll.

STANDARD: Welche Aktionen müssten gesetzt werden, um auf strukturellen Ebene anzusetzen?

Kraus: Viele. Zuerst nenne ich das Prinzip der "Regulierten Selbstregulierung", das heißt Branchenorgane, die sich um die Professionsethik und deren Einhaltung kümmern. Konkret gehört der Presserat gestärkt, sein Kodex, aber auch seine Sanktionsmöglichkeiten, das ist eine Aufgabe der Branche. Eine Stärkung der Unabhängigkeit des Journalismus wäre durch Aufnahme der Mitgliedschaft beim Presserat in die Kriterienliste bei Vergabe von Medienförderung und öffentlichen Inseraten zu erreichen. Auch politische Werbung und Kommunikation könnte sich Richtlinien unterwerfen. Und natürlich brauchen wir dringend endlich ein Informationsfreiheitsgesetz, damit Journalistinnen und Journalisten unabhängig von ihren Kontakten einfach, schnell und unkompliziert an Informationen kommen.

Dann gibt es die Ebene der Institutionenethik in den Unternehmen, also: Welche Compliance-Regeln gibt es, wie stark sind die Redaktionsstatuten, welche Sanktionen gibt es bei Verstößen, und wie wird aufgeklärt, gegebenenfalls auch mit externer Unterstützung? Das soll ja nun im neuen Journalismus-Förderungsgesetz belohnt werden – noch besser wäre es, solche Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Grundbedingung für eine staatliche Förderung zu machen.

STANDARD: Und beim ORF?

Kraus: Der ORF ist nochmals ein ganz eigenes Thema: Die Concordia plädiert schon lang für eine Entpolitisierung der Gremien und für transparente Bestellungsverfahren. Was wir völlig ablehnen, ist die gerade im neuen Gesetz zur "Wiener Zeitung" vorgeschlagene Ansiedlung der Aus- und Weiterbildung bei der Wiener Zeitungs GmbH, die direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. Denn die Bildung ist ganz wesentlich für die Stärkung professioneller ethischer Werte und soll daher so politikfern wie möglich sein. Im Übrigen enthält der Europäische "Media Freedom Act", der gerade in Begutachtung ist, ganz dezidiert Vorschläge für Schutzmaßnahmen gegen politische Einflussnahme auf redaktionelle Entscheidungen und gegen Überwachung, was wir sehr begrüßen.

STANDARD: In Sachen Medienpolitik ist wahrscheinlich nicht viel zu erwarten, weil die Politikerinnen und Politiker wohl wenig Interesse haben, ihren Einfluss auf die Führungsebenen zu verringern?

Kraus: Das hängt davon ab, wie man Politik anlegt. Medienpolitik ist in Österreich seit langer Zeit ein Missverständnis. Es geht um Einfluss und Postenbesetzungen. Dabei wäre es im ureigensten Interesse seriöser Politikerinnen und Politiker, qualitätsvollen und freien Journalismus zu fördern, um einen konstruktiven demokratischen Diskurs auf Sachebene führen zu können.

STANDARD: Sie haben ja auch kritisiert, dass es eine Unvereinbarkeit ist, Chefredakteur und gleichzeitig Geschäftsführer eines Mediums zu sein, wie das etwa bei Rainer Nowak der Fall ist. Warum?

Kraus: Weil das zwei unterschiedliche Rollen mit unterschiedlichen Interessen sind. Die redaktionellen Interessen und Richtlinien der Chefredaktion können mit den betriebswirtschaftlichen Interessen der Geschäftsführung konfligieren. Das ist nicht auflösbar, wenn beide Rollen bei einer Person liegen. Chefredakteurinnen und Chefredakteure müssen die Interessen und ethischen Grundsätze der Redaktion uneingeschränkt und ohne Interessenkonflikte vertreten können.

STANDARD: Die Medientransparenz wird nachgeschärft, indem etwa alle Anzeigen offengelegt werden müssen und nicht erst ab 5.000 Euro pro Quartal. Reicht das?

Kraus: Die nun vorliegenden Reformvorschläge zum Medientransparenzgesetz gehen in die richtige Richtung.

STANDARD: Welche Kriterien zur Transparenz bräuchte es hier?

Kraus: Eine Deckelung und eine parlamentarische Kontrolle von Regierungsinseraten und -kampagnen. (Oliver Mark, 8.11.2022)