Tiefe Bässe fahren Tanzenden in die Beine, selbst wenn sie mit dem freien Ohr gar nicht wahrnehmbar sind.

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Wie lange die Menschheit bereits Musik macht und tanzt, lässt sich schwer sagen. Mindestens 35.000 Jahre dürften es schon sein, denn etwa so alt sind die ältesten bekannten Musikinstrumente. Die uralten Flöten aus Knochen oder Elfenbein aus dem heutigen Süddeutschland verraten freilich wenig darüber, warum der Mensch Musik und Tanz erfunden hat, entsprechend zahlreich sind die Theorien zu dieser Frage.

Weniger umstritten sind dagegen die psychischen und physischen Auswirkungen des Musikkonsums und der rhythmischen Bewegungen. So zeigten beispielsweise der Grazer Psychologe Jan Stupacher und sein Team, dass gemeinsames Tanzen die Bindung zwischen den Menschen und so auch den sozialen Zusammenhalt fördert. Eine andere Untersuchung kam zu dem Schluss, dass Musik Stress reduziert und auch andere Einflüsse auf das zentrale Nervensystem hat.

Konzert und Studie

Welche Aspekte der Musik Menschen zum Tanzen animieren, hat sich nun ein Team um Daniel Cameron von der McMaster University genauer angesehen. Dafür verwandelten die Neurowissenschafter ein Live-Konzert gleichsam in ein Untersuchungslabor. Das überraschende Resultat der Studie: Bässe, die eigentlich zu tief sind, um sie bewusst zu hören, förderten signifikant den rhythmischen Bewegungsdrang.

"Ich bin ausgebildeter Schlagzeuger, und den größten Teil meiner Forschungskarriere konzentrierte ich mich auf die rhythmischen Aspekte der Musik und darauf, wie sie uns in Bewegung versetzt", sagte Cameron. "Musik ist eine biologische Kuriosität. Sie dient nicht direkt der Fortpflanzung, sie ernährt uns nicht und schützt uns auch nicht – also warum mögen Menschen Musik, und warum bewegen sie sich gerne zur Musik?"

3D-Bewegungserfassung und Spezialboxen

Cameron und seine Gruppe nutzten für die Untersuchungen das McMaster Live-Lab, einen Veranstaltungsraum, in dem sich Wissenschaft mit Musikaufführungen verbinden lässt. Das Labor ist mit 3D-Bewegungserfassung ausgestattet und besitzt ein Soundsystem, das unterschiedliche Konzertumgebungen nachbilden kann. Außerdem kommen dort spezielle Lautsprecher zum Einsatz, die auch extrem tiefe, für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbare Frequenzen wiedergeben können.

Für die im Fachjournal "Current Biology" veröffentlichte Studie rekrutierten die Forschenden Freiwillige, die dem Konzert des Musikerduos Orphx bewohnen sollten. Die beiden kanadischen Musiker Rich Oddie und Christina Sealey machen vor allem Techno, Industrial und experimentelle Musik, sind international bekannt und können auf zahlreiche Veröffentlichungen vor allem über unabhängige Musiklabels verweisen.

Zwölf Prozent bewegungsfreudiger

Die Konzertbesucher wurden mit bewegungsempfindlichen Stirnbändern ausgestattet, um ihre Tanzbewegungen aufzuzeichnen. Zusätzlich wurden sie gebeten, vor und nach der Veranstaltung Fragebögen auszufüllen. Während des 45-minütigen Konzerts unterlegten die Forschenden die Musikdarbietung in regelmäßigen Abständen mit sehr tiefen Basssounds, die unterhalb der Hörschwelle liegen – und dennoch hatten diese Einspielungen messbare Auswirkungen auf die Tanzfreude der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denn die Bewegungen nahmen während dieser Phasen um zwölf Prozent zu.

"Das Musikerduo war begeistert, weil beide es sehr spannend fanden, dass Bässe die Wahrnehmung von Musik so verändern können, dass sie sich auf die Bewegung auswirken", sagte Cameron. "Die Studie hatte eine hohe ökologische Validität, da wir ein echtes Musik- und Tanzerlebnis für die Menschen bei einer echten Live-Show boten."

Niedrige Frequenzen und Gleichgewicht

Das Vibrationsgefühl durch die Bässe, das durch direkten Kontakt und die Interaktionen zwischen Innenohr und Gehirn entsteht, ist eng mit dem motorischen System verknüpft. Die Forscher vermuten daher, dass diese physikalischen Prozesse bei der neurologischen Verbindung zwischen Musik und Bewegung eine bedeutende Rolle spielen. "Sehr tiefe Frequenzen können auch die Gleichgewichtsempfindlichkeit beeinträchtigen und das Bewegungserlebnis der Menschen verbessern", sagte Cameron. "Um festzustellen, welche Gehirnmechanismen daran beteiligt sind, müssen die Auswirkungen niedriger Frequenzen aber weiter untersucht werden." (tberg, 7.11.2022)