Ein besonders gewagter Weltmeister-Tipp ist Brasilien nicht.

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Wien/Lusail – Seit 2002 läuft Brasilien der "Hexa", dem sechsten WM-Titel der Verbandsgeschichte, nach. Trotz 20 Jahren des Wartens sehen sich die Brasilianer aus guten Gründen als Titelkandidat in Katar: Die Qualifikation verlief exzellent, zudem sind Schlüsselspieler wie Neymar im besten Alter, um die Erwartungen schultern zu können. Andererseits: Das dachte man auch 2018.

Vor vier Jahren wurde die Seleção von gnadenlos effizienten Belgiern 2:1 besiegt. Aus der Traum im Viertelfinale. Die erste Niederlage in einem Pflichtspiel unter Teamchef Adenor Leonardo Bachi, genannt Tite, war kein Entlassungsgrund, der "Professor" gerufene Tite durfte bleiben – und führt das Land nun ein letztes Mal zu einer Endrunde. Der Rücktritt des 60-Jährigen nach der WM steht bereits fest. Geht es nach 215 Millionen freudig-ekstatischen Brasilianern, wird er dies als Weltmeister tun.

Niederlagen sind selten

In 50 Länderspielen (inklusive Testspiele), die Brasilien seit dem letzten WM-Spiel absolviert hat, kamen nur zwei Niederlagen dazu. Beide Male war Argentinien (Superclasico 2019, Copa America 2021) besser. Die 18 Spiele umfassende WM-Qualifikation beendete Brasilien ungeschlagen als Erster, also vor dem Erzrivalen. Der Punkteschnitt unter Tite liegt jenseits von 2,40.

Es braucht (fast) schon WM-Spiele, um Brasilien verlieren zu sehen: 2006: 0:1 gegen Frankreich im Viertelfinale; 2010: 1:2 gegen die Niederlande; Heimturnier 2014: das Trauma, Mineiraço, 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland; 2018: 26:8 Torschüsse gegen Belgien reichen nicht. Seit Rivaldo und Ronaldo 2002 in Yokohama Deutschland düpierten und damit der Nation den fünften Titel nach 1958 (Schweden), 1962 (Chile), 1970 (Mexiko) und 1994 (USA) schenkten, schlugen die Europäer vierfach zurück.

Die diesjährige Gruppe mit den Gegnern Serbien, Schweiz und Kamerun ist tückisch, darf aber kein Stolperstein sein. Nach über sechs Jahren unter Tite sollten die Spieler wissen, was von ihnen verlangt wird. Der Trainer kann auf eine erfahrene Defensive und überbordendes Offensivtalent zurückgreifen.

Die dominante Figur ist noch immer der inzwischen 30-jährige Neymar. Im Trikot der Neureichen von Paris Saint-Germain tritt er seit Wochen, wenn nicht Monaten brillant auf. Er hat in dieser Saison für PSG in 20 Pflichtspielen 15 Treffer erzielt und zwölf Torvorlagen gegeben. Traditionell treffsicher ist er im Teamtrikot: Mit 75 Toren in 121 Länderspielen hat er bald Pelé eingeholt (77 Tore).

Neun Stürmer

Vielleicht gerade weil Tite in der Heimat seit Jahren in der Kritik steht, sein Team zu defensiv aufzustellen, nimmt er gleich neun Stürmer von internationaler Klasse mit. Selbst da konnte sich der Teamchef den Luxus leisten, Liverpool-Routinier Roberto Firmino daheim zu lassen. Neben Neymar stehen die jungen Real-Madrid-Torgaranten Vinicius Junior und Rodrygo, Gabriel Jesus und Gabriel Martinelli vom Premier-League-Leader Arsenal, Richarlison (Tottenham), Raphinha (Barcelona), Antony (Manchester United) und Pedro (Flamengo) im Kader.

Eine erfahrene Defensive soll ihnen den Rücken freihalten. Mit Casemiro (ManUnited) und Fabinho (Liverpool) sind bekannte Abfangjäger im Mittelfeld dabei. Eine Etappe dahinter dirigiert Marquinhos (28, PSG) die Abwehr, zumeist unterstützt von Thiago Silva (38, Chelsea) oder Eder Militao, dem Nebenmann von David Alaba bei Real Madrid. Daniel Alves (39) dürfte seine Erfahrung zumindest abseits des Platzes einbringen. Auf der Tormannposition lautet die Frage Manchester City oder Liverpool, Ederson oder Alisson. (APA, 14.11.2022).