Die ÖVP, die in der Causa Umfragen selbst Beschuldigte ist, hatte einen Abtausch zwischen Beschuldigtenrechten und neuen Korruptionsdelikten in den Raum gestellt.

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Strengere Regeln für Handyabnahmen und mehr Transparenz für Beschuldigte: Das ist der Kern eines Reformvorschlags, den die Anwaltskammer vergangenen Montag vorstellte und der von der Wiener Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes ausgearbeitet wurde. Die ÖVP griff das Thema wohlwollend auf; Generalsekretär Christian Stocker stellte gar einen türkis-grünen Abtausch in den Raum: die Ausweitung von Beschuldigtenrechten gegen die von den Grünen geforderte Erweiterung des Korruptionsstrafrechts.

Drei Tage später übt Zerbes im STANDARD-Gespräch scharfe Kritik an diesen Aussagen. "Mein Vorschlag war als erster Aufschlag für eine sachliche Diskussion gedacht", sagt Zerbes. "Natürlich stehe ich zu meinen Überlegungen." Dass sie jetzt aber von der ÖVP als Verhandlungsmasse im Austausch mit einer Reform des Korruptionsstrafrechts oder der Bundesstaatsanwaltschaft verwendet werden, halte sie für einen "intellektuell und politisch falschen Weg".

"Gesamtes Leben auf Smartphone"

Die Anwaltskammer hatte mit Verweis auf den Gesetzesvorschlag von Zerbes vor allem strengere Voraussetzungen für die Abnahme von Mobiltelefonen oder Festplatten gefordert. Datenträger gelten rechtlich als Gegenstände und können damit ähnlich wie Messer, Bücher oder Kalender relativ einfach sichergestellt und ausgewertet werden. Heutzutage speichern Menschen aber praktisch ihr gesamtes Leben auf ihrem Smartphone, argumentierten die Kammer und Zerbes.

Damit komme die Sicherstellung von Handys einer herkömmlichen Telefonüberwachung, für die strengere Voraussetzungen gelten, sehr nahe. Die Regeln für Handy-Sicherstellungen sollen deshalb auf ein ähnliches Niveau angehoben werden. Konkret würde das bedeuten, dass Ermittlerinnen und Ermittler Handys oder Laptops nur mehr dann mitnehmen dürfen, wenn ein dringender Tatverdacht besteht und sie eine Straftat verfolgen, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

Zerbes schlägt im Entwurf zudem mehr Transparenz für Beschuldigte vor. In der Praxis wüssten diese oft selbst gar nicht, welche Daten am Smartphone waren oder trotz Löschung noch von IT-Forensikern aufgefunden werden können. Beschuldigte sollen laut dem Vorschlag daher innerhalb kurzer Fristen eine genaue Kopie des Datenträgers erhalten, um die Informationen auch zu ihrer eigenen Verteidigung nutzen zu können.

"Gute Argumente in beide Richtungen"

Zerbes ist Professorin für Strafrecht an der Universität Wien.
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Mehr Transparenz für Beschuldigte sei der zentrale Aspekt ihrer Forderung, sagt Zerbes im STANDARD-Gespräch. In der Frage der Schwelle für die Anlasstat, die laut dem Entwurf bei über einem Jahr Freiheitsstrafe liegen soll, gebe es "gute Argumente dafür und dagegen, die diskutiert werden müssen – und zwar mit allen Stakeholdern, insbesondere mit Vertretern der Staatsanwaltschaft".

Im STANDARD hatte etwa Bernd Ziska, Vizepräsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, kritisiert, dass der Reformvorschlag die Verfolgung von Kinderpornografie, gefährlicher Drohung und Stalking erschweren könnte. Auch Barbara Ille, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, sieht den Entwurf deshalb kritisch.

"Habe nicht für politische Deals gearbeitet"

Den Einwand, dass Zerbes hätte wissen müssen, dass der Vorschlag von der ÖVP aufgegriffen wird, will die Strafrechtlerin auf STANDARD-Nachfrage nicht stehen lassen. "Ich habe weder für einen bestimmten Betroffenen noch für eine politische Partei und deren 'Deals' gearbeitet, sondern angestoßen durch die Berufsvertretung der Verteidiger." Auftraggeber sei das Institut für Anwaltsrecht der Universität Wien gewesen.

"Soll ich von vornherein immer damit rechnen, dass meine Überlegungen parteipolitisch verwertet werden, sobald ich mich aus dem geschützten Umfeld der Uni hinauswage?", fragt Zerbes. "Wenn das so ist, dürfte ich höchstens zu völlig harmlosen Themen Stellung nehmen. Das Gleiche müsste für alle Experten gelten. Dann wird man aber niemanden mehr finden, der sich sachlich zu irgendwelchen Geschehnissen äußert." (Jakob Pflügl, 24.11.2022)