Bald ist es ein Jahr her, dass Angela Merkel aus dem Berliner Kanzleramt ausgezogen ist. Am 8. Dezember 2021 hat sie ihrem Nachfolger Olaf Scholz den Schlüssel übergeben, symbolisch natürlich nur. Seither hat sie ein neues Büro, und man würde natürlich gern wissen, wie es dort aussieht.

30. Jänner 1991: Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel nach einer Kabinettssitzung mit Familien- und Seniorenministerin Hannelore Rönsch.
Foto: Imago / Sepp Spiegl

Licht ins Dunkel bringt nun der "Spiegel" in einer großen Titelstory. Der Journalist Alexander Osang hat Merkel im ersten Jahr ihrer Altkanzlerinnenschaft nicht nur begleitet, sondern auch ein Gespräch mit ihr geführt. Einiges hat sie aus dem Kanzleramt mitgenommen: ein Gemälde des ersten deutschen Kanzlers, Konrad Adenauer, gemalt von Oskar Kokoschka, vier große Schachfiguren und einen Ableger des großen Affenbrotbaumes.

"Wie eine Puppenstube"

"Es wirkt wie eine Puppenstube, die man für Angela Merkel gebaut hat, damit sie sich nach den 16 Jahren im Kanzleramt nicht so fremd fühlt in dem schmucklosen Verwaltungsgebäude am Brandenburger Tor", schreibt Osang. Doch es geht natürlich nicht nur um Büroausstattung, sondern auch um Weltpolitik, insbesondere um Russland.

2. Oktober 2001: Angela Merkel mit ihrem Mentor Helmut Kohl.
Foto: imago/IPON

"Ich hätte mir schon 'ne friedlichere Zeit gewünscht nach meinem Abschied, weil ich mich ja viel mit der Ukraine beschäftigt habe", sagt Merkel. Überraschend aber sei der Krieg Russlands nicht gekommen, denn "das Abkommen von Minsk" war ausgehöhlt.

"Ich hatte nicht mehr die Kraft"

Im Sommer 2021 habe sie versucht, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im EU-Rat noch einmal ein eigenständiges europäisches Gesprächsformat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin herzustellen. Aber, so Merkel: "Von einigen gab es Widerspruch dazu, und ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg."

20. August 2021: Angela Merkel bei ihrem letzten Moskau-Besuch als Kanzlerin mit Wladimir Putin im Kreml.
Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Sie habe dann, so die Altkanzlerin, andere um Rat gefragt, ob sie tätig werden könnten. Die Reaktionen beschreibt Merkel so: "Die eine sagte: 'Das ist zu groß für mich', der andere zuckte mit den Schultern: 'Das müssen die Großen machen.'" Wenn sie noch einmal angetreten wäre, dann hätte sie "da weitergebohrt", so Merkel.

Merkel als Lame Duck

Aber nach vier Amtszeiten war Schluss, und dass sie eine Lame Duck sei, habe Putin sie bei ihrem letzten Besuch in Moskau, im August 2021, auch spüren lassen. Merkel: "Das Gefühl war ganz klar: 'Machtpolitisch bist du durch.' Für Putin zählt nur Power. Er hatte zu diesem letzten Besuch auch Lawrow (den russischen Außenminister, Anm.) mitgebracht, sonst haben wir uns häufiger unter vier Augen getroffen."

8. Juni 2015: Angela Merkel und Barack Obama sorgen beim G7-Gipfel in Bayern für ein denkwürdiges Foto, das auch viele Memes nach sich zog.
Foto: AFP/MICHAEL KAPPELER

Auf die Frage, ob sie bereue, bei der Bundestagswahl 2021 nicht noch einmal angetreten zu sein, antwortet Merkel: "Nein. Da musste mal jemand Neues ran. Innenpolitisch war es überreif. Und außenpolitisch war ich zum Schluss auch bei so vielem, was wir wieder und wieder versucht haben, keinen Millimeter mehr weitergekommen. Nicht nur, was die Ukraine angeht. Transnistrien und Moldau, Georgien und Abchasien, Syrien und Libyen. Es war Zeit für einen neuen Ansatz."

"Bin im Verpuppungsstadium"

Merkel erzählt auch über sich, wie es ihr nun geht, nach 16 Jahren Vollstress im Kanzleramt: "Ich bin jetzt in der Reflexionszeit angekommen. Das Hamsterradphänomen wird weniger." Ein andermal erklärt sie: "Ich bin gerade in so einem Verpuppungsstadium. Man wird durch verschiedene Phasen gehen. Die erste Phase ist, Abstand zur täglichen Politik zu bekommen."

25. Juli 2022: Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer bei den Bayreuther Festspielen – einer der seltenen öffentlichen Auftritte nach dem Ende ihrer politischen Karriere.
Foto: AFP/Christof Stache

Mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann schreibt die Altkanzlerin an ihren Memoiren, diese sollen 2024 erscheinen. Sie tritt manchmal auch öffentlich auf, aber nicht oft. Neun Mitarbeiter hat sie, so viele wie kein deutscher Regierungschef a. D. Das Kanzleramt hat schon Sparsamkeit angemahnt. Als das herauskam, erklärte Büroleiterin Baumann sehr ausführlich, dass alles im Rahmen sei.

Merkel selbst erzählt im "Spiegel", dass sich Baumann unlängst beschwert habe, es sei zu kalt im Büro. Und dass sie, also Merkel, ihrer Mitarbeiterin dann geraten habe: "Da zieht man sich 'ne Strickjacke an."

Keine Lust auf den Parteitag

Apropos Termine: Einen hat Merkel nicht wahrgenommen: den Parteitag der CDU im September im Hannover. Sie kam nicht kurz persönlich vorbei, was nicht überall in der Partei verstanden wurde.

Aber Merkel hat nun ja auch ein bisschen Privatleben. Da schaut sie dann "The Crown" und "Babylon Berlin". Mit Sport hat sie es nicht so. Im Sommer, bei einem Besuch in Salzburg, rutschte sie in einem Lokal auf dem nassen Boden aus und riss sich das Kreuzband. Das erzählte sie nun auch dem Journalisten Osang und sagte auch noch: "Die Österreicher sind immer so aufgeregt, wenn es um Prominente geht." (Birgit Baumann aus Berlin, 25.11.2022)