Künstlerische Darstellung des raren Tidal-Disruption-Events mit Jet, das nun erstmals in dieser Form beobachtet wurde.

Carl Knox – OzGrav, ARC Centre of Excellence for Gravitational Wave Discovery, Swinburne University of Technology

Sterne, die zu nahe an ein Schwarzes Loch herankommen, werden durch die enormen Gezeitenkräfte des Schwarzen Lochs auseinandergerissen, was als sogenanntes Tidal Disruption Event (TDE, Gezeiten-Sternzerriss-Ereignis) bezeichnet wird. In sehr seltenen Fällen – die Chancen stehen bei etwa 1 zu 100 – werden Plasma- und Strahlungsjets von den Polen des rotierenden Schwarzen Lochs ausgestoßen.

Schematische Darstellung eines Gezeiten-Sternzerriss-Ereignisses.
SciTech Daily

In noch selteneren Fällen sind diese Jets zufällig auf die Erde gerichtet. Genau das dürfte sich für die irdischen Beobachter im Februar 2022 zugetragen haben. Nun liegen die astrophysikalischen Auswertungen dieses Extremereignisses vor, das gleich mehrere Rekorde bricht – unter anderem auch den des am weitesten entfernten je beobachteten Schwarzen Lochs.

Vergleich mit der Zahnpastatube

Das, was sich bei Jet-Tidal-Disruption-Events tut, verglich John Archibald Wheeler, der Pionier der Schwarzen Löcher, vor über 50 Jahren mit "einer Zahnpastatube, die man in der Mitte fest zusammendrückt", wodurch das System "Materie aus beiden Enden ausstößt". Doch die Wissenschaft hat bisher nur eine Handvoll (genau genommen: vier) dieser Jet-TDEs beobachtet, die deshalb "sehr exotische und schlecht verstandene Ereignisse" sind, wie Nial Tanvir (Universität Leicester) erklärt.

Astronomen und Astronominnen sind daher ständig auf der Suche nach diesen extremen Ereignissen, um zu verstehen, wie die Jets eigentlich entstehen und warum nur ein so kleiner Teil der TDEs sie produziert. Im Februar sind sie fündig geworden. Damals entdeckten Forschende an der Zwicky Transient Facility (ZTF) in den USA eine neue Quelle sichtbaren Lichts, das zunächst an einen Gammastrahlenausbruch erinnerte – die stärkste Lichtquelle im Universum – und die Bezeichnung AT2022cmc erhielt.

Beobachtungen von 21 Teleskopen

Astronomen und Astronominnen aus aller Welt setzten daraufhin mehrere Teleskope rund um den Globus in Gang, um die geheimnisvolle Quelle genauer zu beobachten. Dazu gehörte auch das Very Large Telescope der ESO, das dieses neue Ereignis umgehend beobachtete. Die Daten zeigten, dass sich die Quelle in einer für diese Ereignisse beispiellosen Entfernung befand: Das von AT2022cmc erzeugte Licht begann seine Reise, als das Universum etwa ein Drittel so alt war wie heute.

Eine breite Spanne von Licht, von hochenergetischer Gammastrahlung bis hin zu Radiowellen, wurde von 21 Teleskopen auf der ganzen Welt gesammelt. Das Team verglich diese Daten mit verschiedenen Arten von bekannten Ereignissen, von kollabierenden Sternen bis hin zu Kilonovae, die bei der Verschmelzung von Doppelsternen entstehen. Das einzige Szenario, das mit den Daten übereinstimmte, war ein seltener Jet-TDE, das – zufällig – auf die gerichtet war.

Schematische Darstellung des Jet-TDEs: Beim Zerreißen eines Sterns entsteht in seltenen Fällen ein Jet aus optischem und UV-Licht.
Zwicky Transient Facility/R.Hurt (Caltech/IPAC)

Das fernste Schwarze Loch

Die VLT-Entfernungsmessung ergab, dass AT2022cmc das am weitesten entfernte TDE ist, das je entdeckt wurde, aber das ist nicht der einzige rekordverdächtige Aspekt dieses Objekts, dem am Mittwoch gleich zwei große Artikel in "Nature" und "Nature Astronomy" mit jeweils dutzenden Autorinnen und Autoren gewidmet sind.

So seien die wenigen bisher bekannten Jet-TDEs zunächst mit Hochenergie-Gammastrahlen- und Röntgenteleskopen entdeckt worden, wie Co-Autor Daniel Perley erklärt. "Das war die erste Entdeckung eines solchen Objekts bei einer optischen Durchmusterung." Das wiederum eröffnet einen neuen Weg zur Entdeckung von weiteren Jet-TDEs, der noch bessere Untersuchungen dieser seltenen Ereignisse und der extremen Umgebungen um Schwarze Löcher ermöglicht. (Klaus Taschwer, 30.11.2022)