Lärm und Menschenansammlungen können bei Autistinnen und Autisten schnell Stress auslösen.
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Klagenfurt – Menschen mit einer Autismusdiagnose können sich durch soziale Kontakte leicht überfordert fühlen. Da sie emotionale Zwischentöne oder nonverbale Signale nicht immer gut entziffern können, lösen Sozialkontakte Stressreaktionen, Angst oder Aggressionen aus. Häufig wollen sich Betroffene lieber an Orte zurückziehen, wo sie ungestört für sich allein sein können.

Digitalisierte Wohnumgebung, funktionales Mobiliar

Forschende der FH Kärnten in Klagenfurt haben sich in dem EU-Interreg-Projekt Senshome mit der Freien Universität in Bozen die Frage gestellt, wie man das Leben Betroffener mit technischen und innenarchitektonischen Mitteln erleichtern könnte. "Betroffen von Störungen im Autismusspektrum sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 0,6 Prozent der Weltbevölkerung", sagt Daniela Krainer, Senshome-Projektleiterin an der FH Kärnten. "Für Österreich sind es etwa 87.000 Personen, also eine recht große Gruppe."

Um funktionale und praxisrelevante Ergebnisse erzielen zu können, wurden in dem dreijährigen Forschungsprojekt alle Beteiligten miteinbezogen und Senshome in Form eines partizipativen Forschungsprojekts umgesetzt. In einem ersten Schritt wurden 200 Betroffene, Familienangehörige und Betreuungspersonen zu Workshops und Fragebogenaktionen eingeladen, um über Situationen und Phänomen zu berichten, die für sie als "kritisch" oder "gefährlich" gelten. Herausgekommen ist aus dieser Analyse eine digitalisierte Wohnumgebung für Personen im Autismusspektrum und neues funktionales Mobiliar. Ziel ist es, Betroffenen zu helfen, angst- oder aggressionsauslösende Situationen zu reduzieren.

Warnung vor Stress

Eines der wichtigsten Ergebnisse: Betreuungspersonen wie auch Betroffene wollen oft schon vor Betreten von Räumen wissen, ob sie dort stressauslösende Situationen wie Lärm oder Menschenansammlungen erwarten. Um diese Vorwarnung technisch umzusetzen, wurde eine typische Wohnumgebung mit Sensoren ausgestattet, deren aktuellen Werte über Schnittstellen auf Tablets abgerufen werden können. Die App zeigt an, ob der Lärmpegel im grünen Bereich liegt, aber auch, ob sich schon zu viele Leute in einem Raum befinden. Das kann als Warnung vor dem Eintreten dienen.

Assistenz für das Alltagsleben bietet aber auch eine breite Palette anderer Funktionen: etwa Sicherheitsfunktionen wie das automatische Abschalten von Herdplatten oder die Anzeige des Tagesplans auf einem Monitor in Form von Piktogrammen. Entwickelt hat das Forschungsteam auch "Rückzugsmöbelstücke": etwa einen "shelter seat", also einen Sessel in Form eines Strandkorbs, oder Trennelemente für den Einsatz auf Tischen.

Mehr Inklusion nötig

Eine ähnliche stressreduzierende Rückzugsfunktion erfüllt auch ein Raumteiler mit Fenster: Er bietet die Möglichkeit, Aufenthaltsräume oder Garderoben von außen zu beobachten – und bei Überfüllung zu meiden. "Solche Elemente würden sich auch für Warteräume in Ordinationen eignen. Personen im Autismusspektrum würden das sehr schätzen", meint Krainer.

Die einzelnen Senshome-Elemente, die im Test von Betroffenen und Betreuungspersonal sehr gut aufgenommen wurden, sollen als Anregung verstanden werden. "Sie können modular und integriert eingesetzt werden", sagt Krainer. Keine der Entwicklungen wurde in irgendeiner Form markengeschützt oder patentiert. Krainer: "Unser Projekt soll das Verständnis für Inklusion und Betroffene aus dem Autismusspektrum stärken." (Norbert Regitnig-Tillian, 7.12.2022)