Heftiger Schneefall in Kiew: Beim EU-Gipfel werden die Staats- und Regierungschefs neue Milliardenhilfen beschließen, um die Ukrainer und Ukrainerinnen durch den Winter zu bringen.

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Die Staats- und Regierungschefs der EU sind äußerst besorgt, dass sich in der Ukraine im Winter eine humanitäre Katastrophe ereignen könnte. Weil große Teile der Infrastruktur durch die russischen Bombardements zerstört wurden und werden, setzt der Mangel an Wärme und Energie den Menschen immer mehr zu.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel werden die Chefs der 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam mit der EU-Kommission der Ukraine maximale Hilfsgarantien geben. Das zeichnete sich am Mittwoch sehr konkret ab. Diplomaten sprechen von "Winterization" im Krieg. Man sei sich bewusst, dass es gemeinsam gelingen müsse, Millionen Menschen sicher über den Winter und durch die Kälte zu bringen. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird per Videoschaltung am Gipfel teilnehmen.

Deal mit Ungarn

Um das erfolgreich über die Bühne zu bringen, wurde im Streit mit Ungarn über Rechtsstaatsverletzungen und EU-Budgetsanktionen ein Deal gemacht, sodass die Regierung Orbán ihr Veto bei der EU-Zahlungshilfe im Volumen von 18 Milliarden Euro für die Ukraine aufgab. Diese wird beim Gipfel ebenso beschlossen wie eine Aufstockung der "Friedensfazilität" um zwei Milliarden Euro, sprich Waffenlieferungen.

Eng damit verbunden sind zwei weitere Hauptthemen des Gipfels: die Ausweitung der EU-Sanktionen gegen Russland und ein bei den EU-Energieministern am Dienstag erneut gescheitertes Paket zur Entspannung der Preis- und Versorgungskrise in Europa.

Ziel des EU-Gipfels wird sein, Moskau Entschlossenheit zu signalisieren. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) wählte bei einer Erklärung im Bundestag härteste Formulierungen: Russland sei "mit seinem gewaltigen Großmachtwahn" total isoliert. Die EU werde ihre Sanktionen so lange fortsetzen und ausweiten, solange Putin seinen brutalen Angriffskrieg fortsetzt.

Das entspricht ganz der Stimmungslage der Staats- und Regierungschefs. Sie werden die Energieminister auffordern, bei einem Treffen nächste Woche die offenen Fragen in einem Energiepaket zu lösen, um die Gaspreise zu senken, die Versorgungssicherheit in Europa zu erhalten, die Produktion erneuerbarer Energie zu beschleunigen.

Aussprache zu Migration und Schengen

Zu den strittigen Themen Migration und Erweiterung der Schengen-Gruppe um Rumänien und Bulgarien dürfte es nur eine Aussprache geben. Sie stehen nach dem Willen von Ratschef Charles Michel nicht auf der Tagesordnung.

Aber Italien will das Problem irregulärer Migration ansprechen, so wie Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), nachdem Österreich neben den Niederlanden gegen den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu Schengen votiert hatte. Premier Mark Rutte möchte, dass es dazu einen Schwerpunkt beim nächsten EU-Gipfel im Februar gibt. Das dürfte im Sinne von Bulgarien und Rumänien sein, die ihren Protest vorbringen wollen. Ob es dazu Beschlüsse geben könnte, ist offen.

Für sein Stimmverhalten in Sachen Schengen erntete Österreich am Dienstagabend Kritik im EU-Parlament. Die Entscheidung spalte die ganze Union, sagte etwa EU-Innenkommissarin Ylva Johansson.

Apropos EU-Parlament: Im Korruptionsskandal rund um die nun abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili gab Belgiens Polizei bekannt, dass bisher fast 1,5 Millionen Euro beschlagnahmt wurden. Laut ihrem Anwalt habe Kaili davon "nichts gewusst". Nur ihr ebenfalls festgenommener Lebensgefährte Francesco Giorgi könne "Antworten auf die Existenz dieses Geldes" geben.

Kaum Jubel in Bosnien

Ebenfalls beim EU-Gipfel wird Bosnien und Herzegowina der EU-Kandidatenstatus verliehen. Das Land hatte bereits 2016 darum angesucht. Die Zusage erfolgt nun nach den Wahlen Anfang Oktober und der sich abzeichnenden Regierungsbildung im Lande. Für großen Jubel sorgt die Vergabe des EU-Kandidatenstatus allerdings nicht, weil viele im Land nicht mehr an die Ernsthaftigkeit der EU-Erweiterung glauben.

Bosnien und Herzegowina liegt ab kommendem Jahr wegen des Schengen-Beitritts des Nachbarstaates Kroatien südlich der Schengen-Außengrenze. Um den Status eines EU-Kandidaten zu erlangen, musste Bosnien und Herzegowina eine umfassende Migrations- und Asylstrategie verabschieden.

Auch für den Kosovo ist der EU-Gipfel wichtig. Die Botschafter der EU-Mitgliedsstaaten einigten sich Anfang Dezember darauf, grünes Licht für Gespräche über die Visaliberalisierung des Kosovo zu geben, die spätestens am 1. Jänner 2024 abgeschlossen werden sollen. Eine Einigung mit dem EU-Parlament in der Frage gab es dann am Mittwochabend. Der Kosovo erfüllt seit vielen Jahren die Bedingungen für die Visaliberalisierung, die von einigen EU-Staaten aber immer wieder blockiert wurde.

Staatspräsidentin Vjosa Osmani will beim EU-Gipfel auch die Erlangung des Kandidatenstatus für den Kosovo beantragen. Die Vergabe kann aber viele Jahre dauern. Überschattet sind die Entscheidungen von der Gewalt im Norden des Kosovo, wo Nationalisten Polizei und Journalisten angriffen. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hat zuletzt sogar gedroht, Sicherheitskräfte in den Kosovo zu schicken. Deutschland und die USA haben dies wegen immanenter Eskalations- und Kriegsgefahr nun scharf zurückgewiesen. (Thomas Mayer aus Brüssel, Adelheid Wölfl, Kim Son Hoang, 15.12.2022)