Harry Kane war nach dem Ausscheiden Englands physisch wie psychisch am Ende. Am Montag muss er aber wieder bei Tottenham antreten.

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Harry Kane ist von der Bildfläche verschwunden, zumindest für einige unbeobachtete Atemzüge. Nur eine Woche blieb Englands Kapitän, um die große Enttäuschung zu verarbeiten und den Kopf freizubekommen. Nachdem sein Traum vom Weltmeistertitel so schmerzhaft zerplatzt war, soll der 29-Jährige am Montag schon wieder im Trainingszentrum von Tottenham Hotspur auftauchen und sich im Eilverfahren bereit machen für die fast nahtlose Rückkehr in den Alltag eines Profifußballers.

Auch für weitere Stars wird dies nach der ungewohnten Winter-WM zu einer mentalen Belastungsprobe führen. Während sich die Katar-Fahrer aus der deutschen Bundesliga zwar ebenfalls nach und nach bei ihren Arbeitgebern zurückmelden müssen, frühestens aber erst wieder am 20. Jänner in Pflichtspielen gefordert sind, erweisen sich die Planungen besonders auf der Insel als gnadenlos.

Boxing Day

La Liga in Spanien startet am 31. Dezember, Italien mit der Serie A am 4. Jänner. In England steht sogar noch vor Weihnachten das Achtelfinale im Ligapokal an, am berühmten Boxing Day kurz nach dem Fest, also am 26. Dezember, sind dann die Spurs um Kane erstmals gefordert. Tottenham bestreitet gleich das erste Spiel in Brentford. Alleine zehn Spieler aus der englischen Premier League schmücken die Kader der WM-Finalisten Argentinien und Frankreich.

Contes Sorgen

"Es wird einige Zeit dauern, um darüber hinwegzukommen", hatte das Aushängeschild des englischen Fußballs nach der 1:2-Niederlage im Viertelfinale der WM gegen Frankreich gesagt. Kane musste mit seinem verschossenen Elfmeter besonders viel verdauen. Laut englischen Medien sorgt sich sein Klubtrainer Antonio Conte entsprechend, der Italiener will daher die mentale Verfassung seines Leistungsträgers in einem persönlichen Gespräch erfassen.

Doch klar ist auch: Es geht um Titel und Millionen in einem System, das wenig Rücksicht nimmt und viel von seinen Hauptprotagonisten verlangt. Jürgen Klopp, der Teammanager des FC Liverpool und ein Kritiker zu hoher Belastung, geht vergleichbar zum Ligakonkurrenten vor. "Jeder kriegt eine Woche Pause, um sich mental und körperlich neu einzustellen", sagte der 55-Jährige zur Planung mit seinen WM-Spielern.

Das könnte zu wenig sein, davon ist jedenfalls Sami Khedira überzeugt. "Jetzt wieder direkt ins Tagesgeschäft zu wechseln, das wird die große Kunst sein. Wir werden die eine oder andere Verletzung sehen, weil es total anstrengend ist, so große Wettbewerbe in so einem kurzen Zeitraum zu spielen", sagte der deutsche Weltmeister von 2014 schon vor Turnierbeginn.

Da scheint Iliman Ndiaye besonders gefährdet. Der Offensivmann aus dem Senegal, der in Katar drei Spiele für die Afrikaner bestritt, könnte schon am Montag, lediglich 24 Stunden nach dem Finale in Lusail, im englischen Unterhaus gegen Wigan Athletic im Trikot von Sheffield United wieder zum Einsatz kommen.

Zurück im Alltag

Amir Abedzadeh hat sogar schon seit einer Woche seinen Ligaalltag zurück. Der Ersatztorhüter des Iran stand schon acht Tage nach dem WM-Aus wieder in der zweiten spanischen Liga bei Ponferradina zwischen den Stangen. Und blieb beim 0:0 gegen Levante ebenso ohne Gegentor wie drei Tage später beim 1:0 gegen Lugo.

Ein Extrembeispiel ist der Marokkaner Walid Cheddira. Der Stürmer spielt beim SSC Bari in der Serie B, die während der WM nicht pausierte. Francesco Moriconi, Trainer der Apulier, beklagt das Fehlen seines Stammspielers bitter, schließlich hat Cheddira in zwölf Spielen dieser Saison neun Tore für den Aufstiegskandidaten geschossen. Am Samstag könnte er noch im kleinen Finale gegen Kroatien zum Einsatz kommen. Das einige Stunden später angesetztes Bari-Spiel bei Reggina wird sich für den Legionär nicht ausgehen, wohl aber das Heimschlagerspiel gegen den FC Genua am 26. Dezember.

Mehr geht auch

An eine Reduktion des Programms denkt weder die europäische Fußballunion (Uefa) noch der Weltverband Fifa, der immer noch eine WM alle zwei Jahre wünscht. Am Freitag teilte Fifa-Präsident Gianni Infantino zudem mit, dass die Klub-WM ab 2025 mit 32 Mannschaften ausgespielt wird. Bisher waren es sieben. Zudem soll es in ungeraden Jahren Miniturniere im März geben. In diese Länderspielfenster sollen die World Series mit Teilnehmern aus verschiedenen Konföderationen passen. (sid, lü, 16.12.2022)