Ohne neue Unternehmenshilfen wären Arbeitsplätze in Gefahr gewesen, argumentiert Martin Kocher.

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Hilfspakete gab es schon viele, aber was die türkis-grüne Regierung kurz vor Weihnachten vorgelegt hat, überrascht in der Dimension dann doch. Sie präsentierte das bisher größte Hilfspaket für Unternehmen. Bis zu neun Milliarden könnte es kosten.

STANDARD: In Österreich ist eine Debatte über die Vollkaskomentalität bei Unternehmen ausgebrochen. Die Kritik: Der Staat nimmt Betrieben fast alle Risiken ab. Zuerst mit den Förderungen in der Pandemie. Nun mit Zuschüssen wegen der Energiekrise.

Kocher: Das sehe ich nicht so. Es ist richtig, dass in den vergangenen Jahren die Erwartungshaltung gegenüber der Politik stark gestiegen ist. Und die Politik kann nicht alle Risiken abfedern. Aber wir haben jetzt zweimal erlebt, dass sich Risken materialisiert haben, die nicht in der Sphäre der Unternehmen liegen. In der Pandemie hat der Staat Betriebe schließen lassen, und dadurch war klar, dass es auch staatliche Maßnahmen zur Abfederung braucht. Und jetzt erleben wir einen Krieg in Europa, mit massiven Auswirkungen auf die Energieversorgung und die Energiepreise. Auch da können Unternehmen sehr, sehr wenig dafür, dass sie nun getroffen werden.

STANDARD: Betriebe können auch nichts dafür, wenn ihr Produkt durch technologischen Wandel nicht mehr nachgefragt wird. In einer Marktwirtschaft werden nicht alle Risiken abgefedert. Gilt das noch?

Kocher: Da muss man unterscheiden zwischen üblichen unternehmerischen Risiken, die ja weiterhin groß genug sind, und jenen Unsicherheiten, die politisch bestimmt sind. Da denke ich schon, dass der Staat die Aufgabe hat, zu verhindern, dass es jetzt zu massiven Flurschäden kommt. Wir müssen verhindern, dass durch die Energiekrise Arbeitsplätze und Unternehmen abwandern.

STANDARD: Ist der Grund dafür, dass die Hilfen so stark aufgestockt werden, das deutsche Hilfspaket gewesen? Dort kommt eine Gaspreisbremse für die Industrie ab 2023.

Kocher: Ja, das war aus meiner Sicht der Grund, weil da tatsächlich ein Wettbewerbsnachteil entstanden wäre durch die hohen Energiekosten bei uns. Wir wollten sicherstellen, dass Unternehmen bei uns nicht schlechter gestellt sind als in Deutschland.

STANDARD: Sind sie jetzt nicht bessergestellt?

Kocher: Die Obergrenzen für Zuschüsse sind vom EU-Recht vorgegeben und damit gleich. Wir geben insofern mehr, als Deutschland in diesem Jahr kein Paket hatte. Das heißt, für Unternehmen, die nicht an die Obergrenze bei Förderungen stoßen, ist Österreich attraktiver, weil es den Energiekostenzuschuss eins gibt. Deutschland hat heuer nur eine Einmalzahlung gemacht. Aber insgesamt, glaube ich, war Österreich erstens schneller, zweitens auch besser aufgestellt.

STANDARD: Es gibt keine Studien, die belegen, welchen Wettbewerbsnachteil Österreich ohne neue Hilfen gehabt hätte. Was hätte der Ökonom Kocher zum Minister gesagt, wenn dieser bis zu neun Milliarden Euro freigibt, ohne Belege in der Hand zu halten.

Kocher: Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass relative Preise eine Rolle spielen für Produktions- und Investitionsentscheidungen. Wie stark sich das auswirkt, hängt davon ab, wie lange die Preisunterschiede bestehen. Ich glaube, niemand kann das aktuell seriöser Weise einschätzen. Aber wenn man sich überlegt, dass die österreichische Industrie und vor allem auch die kleineren und mittleren Betriebe über zwei, drei Jahre substanziell höhere Energiekosten zu tragen hätten, dann wäre das schwer gewesen. Vielleicht hätten einige Unternehmen durchtauchen können. Aber die Gefahr wäre groß gewesen, dass viele Betriebe abwandern oder ihre Produktion verlagern.

STANDARD: Aber die Hilfen in Deutschland gelten für ein Jahr.

Kocher: Bis zu eineinhalb Jahre.

STANDARD: Die Voest produziert energieintensiv und exportiert viel nach Deutschland. Das Unternehmen rechnet im Geschäftsjahr 2022/2023 mit 2,3 Milliarden Euro Gewinn. Müssen wir da auch noch Energiekosten subventionieren, was gewinnen wir da als Volkswirtschaft?

Kocher: Es wäre ein Fehler, nur Betriebe zu fördern, die Verluste machen. Das würde heißen, man hält Zombieunternehmen am Leben. Es gibt aber klare Regeln: Bei höheren Förderbeträgen müssen Unternehmen nachweisen, dass ihr Gewinn eingebrochen ist. Was wir gewinnen? Wir stellen kleinen und mittleren Betrieben, die das dringend brauchen angesichts der steigenden Kosten, Liquidität bereit. Diese Unternehmen schaffen die meisten Arbeitsplätze. Und es gibt bei den Hilfen Auflagen an Firmen, wie die Beschäftigungsgarantie. Mit dem Geld schaffen wir auch etwas Spielraum bei den Betrieben dafür, dass im nächsten Jahr wieder gute Lohnabschlüsse möglich sind.

STANDARD: Gehen Sie selbst in den Supermarkt? Da gibt es viele Produkte, bei denen nicht klar ist, warum sie teurer werden. Kaffee zum Beispiel ...

Kocher: Ich gehe selbst einkaufen, bin aber Teetrinker ...

STANDARD: Kaffee ist um 20 Prozent teurer geworden. Es wirkt, als würden viele Preise raufgesetzt, weil es Händler durchsetzen können. Hier werden Gewinne mitgenommen. Für Deutschland ist diese These sogar schon belegt.

Kocher: Ich denke eher, dass die Zahlen zeigen, dass eine volle Weitergabe der Kosten nicht möglich ist. Im Jahresdurchschnitt wird die Inflation bei ungefähr acht Prozent gelegen sein. Die Produzentenpreise für Unternehmen sind um das Doppelte gestiegen. Jetzt kann man immer sagen, das wird vielleicht nachgeholt, aber es wird auf Basis einer simplen Rechnung klar, dass über alle Bereiche der Wirtschaft hinweg ungefähr die Hälfte des Kostenanstiegs weitergegeben wurde. Das zeigt, dass der Wettbewerb funktioniert. Für einzelne Branchen mag das anders sein.

STANDARD: In den USA sind die Energiepreise deutlich niedriger als in Europa. Wie wird sich das auswirken?

Kocher: Gerade bei energieintensiven Unternehmen besteht die Gefahr einer Deindustrialisierung in Europa. Wenn diese Schere bei den Preisen lange andauert, dann werden wir Produktion verlieren. Das führt dazu, dass Arbeitsplätze verlorengehen und strategische Abhängigkeiten entstehen, die wir nicht haben wollen. Das betrifft nicht die gesamte Wirtschaft, wohl aber Bereiche wie Stahl, Papier, Glas, Zement und Düngemittel.

STANDARD: Es sieht so aus, als würden Preisunterschiede lange bestehen.

Kocher: Idealerweise schaffen wir es kurzfristig, die Entwicklung abzufedern und dann möglichst bald die Ursachen des Preisanstieges auf europäischer Ebene zu bekämpfen. Es gibt keinen Grund, warum in Europa die Preise für Gas dauerhaft höher sein sollten, es gibt einen Weltmarkt. Dazu kommt, dass an der Infrastruktur gebaut wird, neue Pipelines, neue Terminals für Flüssiggas. Damit sollte der Preis nach unten gehen, auch wenn es dauert.

STANDARD: Ein Grund für die Unternehmenshilfen war ja, dass sie Betrieben Planungssicherheit geben wollten. Sie sind ja auch Arbeitsminister. Wie sieht es mit der Planungssicherheit für die 133.000 Notstandshilfebezieher aus? Müsste die Notstandshilfe nicht mit der Inflation mitsteigen?

Kocher: Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die auch dieser Gruppe zugutegekommen. Für dieses Jahr haben uns alle bestätigt, dass es für die unteren Einkommensbereiche im Durchschnitt gelungen ist, die Kostensteigerungen der Haushalte auszugleichen. Wir haben zudem Sozialleistungen ab dem kommenden Jahr indexiert, die Familienleistungen indexiert und natürlich auch die Ausgleichszulage, die für viele relevant ist, stark erhöht, stärker als die Inflation sogar. Wir werden weiter darauf achten, dass es hier zu keiner massiven Armutsgefährdung kommt. Im Rahmen der Arbeitslosenversicherung haben wir ja eingebettet in eine größere Reform eine Valorisierung der Notstandshilfe diskutiert, da haben wir leider keine Einigung darüber erzielt.

STANDARD: Eines Ihrer Ziele war bei dieser Reform, die geringfügigen Zuverdienstmöglichkeiten für Jobsuchende einzuschränken. Das hätte mehr Menschen aktivieren sollen. Warum nicht die Geringfügigkeit von aktuell 485,85 Euro generell streichen?

Kocher: Ich bin da offen für jede Diskussion. Das haben wir auch kurz angesprochen. Das wäre eine Frage, die steuerlich und im Sozialversicherungsrecht zu lösen wäre. Ich kann da als Arbeits-/Wirtschaftsminister nichts machen, aber eine Diskussion darüber, ob diese Art der Geringfügigkeit Sinn macht, ist durchaus angebracht, weil sie einfach zu gewissen Fehlanreizen führt an der Grenze zwischen eben der Geringfügigkeit und knapp darüber.

STANDARD: Erklären Sie das bitte.

Kocher: Unterhalb der Grenze zahle ich keine Steuern und keine Sozialversicherung, darüber zahle ich dann gleich recht viel. Das heißt, es gibt eventuell Menschen, die vielleicht mehr arbeiten würden, aber das nicht machen, weil sie das abschreckt. Und damit habe ich weniger Arbeitsstunden, und das kann nicht optimal sein.

STANDARD: Das andere Problem ist, dass sich fehlende Versicherung rächen kann, etwa in der Pension.

Kocher: Klar. Man muss immer dazusagen, dass eine geringfügige Beschäftigung natürlich attraktiv ist für Gruppen wie Studierende, für Pensionisten, weil sie eben dadurch einen Anreiz haben und auch natürlich eine relativ gute Netto-Brutto-Betrachtung haben, wenn sie für einige Stunden in der Woche arbeiten. (András Szigetvari, 27.12.2022)