Thunberg mit weiteren Protestierenden.

Foto: Reuters / Christian Mang

Lützerath –Die Räumung des Dorfes Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus nähert sich dem Abschluss. Am Freitag begann die Polizei mit der Räumung des letzten Gebäudes. Danach müssten noch einige Aktivisten aus Baumhäusern geholt werden, sagte ein Polizeisprecher. Außerdem hielten sich noch zwei Personen in einem Tunnel auf. Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach stieg am Freitag ein Stück weit in den Tunnelschacht hinein. Unterdessen besuchte die Umweltaktivistin Greta Thunberg das Protestcamp in Lützerath. Sie zeigte sich empört über Polizeigewalt.

Unsichere Konstruktion

Die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkräfte der Feuerwehr und des THW übernehmen, sagte er anschließend. "Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen." Die Konstruktion sei nicht sicher. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekettet seien, wisse er nicht. "Kontaktbeamte versuchen gerade, Kontakt aufzunehmen und mit den Betreffenden zu sprechen", sagte er. Deren Kommunikation mit Telefon funktioniere nicht mehr, man versuche es jetzt mit Funkgeräten.

Am Donnerstag hatte ein auf der Plattform Youtube eingestelltes Video zweier vermummter Männer für Aufsehen gesorgt. "Pinky" und "Brain" geben darin an, sich in dem Tunnel unter Lützerath aufzuhalten. "Wir haben Hinweise, dass das Video authentisch ist", bestätigte die Polizei.

Habeck rügt Proteste

Die Nacht auf Freitag verlief nach Polizeiangaben ruhig. Freitagfrüh tauchten Aktivisten, unter anderem solche der Gruppe Extinction Rebellion, vor der RWE-Konzernzentrale in Essen auf. Sie forderten einen Stopp der Räumung Lützeraths. Drei von ihnen ketteten sich an ein Rolltor und blockierten dadurch die Einfahrt. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwagen an, nachdem der RWE-Sicherheitsdienst den Vorfall gemeldet hatte.

Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) zeigte wenig Verständnis für die Proteste gegen den Abriss von Lützerath. "Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol", sagte Habeck dem "Spiegel".

Das Dorf sei eben nicht das Symbol für ein Weiter-so beim Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinland, sondern "es ist der Schlussstrich", sagte Habeck. Man ziehe den Kohleausstieg im dortigen Kohlerevier um acht Jahre auf 2030 vor, was immer auch Ziel der Klimabewegung gewesen sei. "Wir retten fünf Ortschaften und Höfe mit rund 450 Bewohnern. Der Hambacher Forst ist gesichert worden. Die genehmigte Abbaumenge für Kohle im Tagebau wurde durch die Vereinbarung halbiert."

Ein Bagger reißt ein Gebäude ab.
Foto: APA/dpa/Federico Gambarini

Offener Brief der Grünen

Doch unterdessen rumort es an der Parteibasis der Grünen: Einen offenen Brief gegen die Räumung unterzeichneten bis Freitagvormittag mehr als 2.000 Grünen-Mitglieder. Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur werden in dem Brief aufgefordert, die Aktion sofort zu stoppen. Der "ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen", heißt es. "Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser Klimaabkommen, dem Ampel-Koalitionsvertrag und dem letzten Vertrauen der Klimagerechtigkeitsbewegung."

Der Co-Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, warnte vor einer Entfremdung der Grünen von der Klimabewegung. "Gerade jetzt bräuchten die Grünen die Unterstützung der Klimabewegung", sagte er dem Nachrichtenportal "t-online". "Der RWE-Deal hilft da überhaupt nicht."

Thunberg: "Entsetzlich zu sehen, was hier passiert"

Für Samstag ist in Lützeraths Nachbarort Keyenberg eine große Kundgebung angekündigt. Die Polizei rechnet mit 6.000 bis 7.000 Teilnehmern. Zu der Veranstaltung will auch die bekannte Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden kommen. Sie wolle die Aktivisten dabei unterstützen, Lützerath zu verteidigen, hatte die 20-Jährige auf Twitter geschrieben. "Kommt ab 12.00 Uhr dazu, um mit uns Leben zu schützen und Menschen vor Profiten Vorrang zu geben", appellierte sie. "Wir wollen zeigen, wie People-Power aussieht, wie Demokratie aussieht."

Thunberg hat bereits am Freitag Lützerath besucht und das Vorgehen der Polizei bei der Räumung des rheinischen Dorfes scharf kritisiert. "Es ist empörend, wie die Polizeigewalt ist", sagte Thunberg. Sie besichtigte auch den Krater des Braunkohletagebaus und hielt dabei ein Schild mit der Aufschrift "Keep it in the ground" ("Lasst es im Boden") hoch. Was in Lützerath geschehe, sei "schockierend", sagte Thunberg. Leider geschähen ähnliche Dinge überall auf der Welt. "Es ist entsetzlich zu sehen, was hier passiert." Viele Menschen hätten seit Jahren versucht, dies zu verhindern.

Landesinnenminister Herbert Reul sagte der "Bild"-Zeitung, in Nordrhein-Westfalen dürfe jeder demonstrieren, "auch die aus der Ferne anreisende Frau Thunberg". "Ich hoffe, sie sorgt dafür, dass ihre Mitstreiter friedlich bleiben und sich an die Regeln halten."

Solidarität mit den Aktivisten in Lützerath kam auch aus Österreich: Mitglieder der Letzten Generation sprachen den Ausharrenden ihre Unterstützung aus. Außerdem setzten sich Vertreter der Letzten Generation nach dem Ende der Aktion am Freitag vor der Wiener Secession in den Zug, um gegen die Räumung Lützeraths an Ort und Stelle zu demonstrieren. Auch eine Delegation von Fridays for Future wollte am Abend den Nachtzug nehmen, um bei den Großprotesten am Samstag dabei zu sein. "Die Abbaggerung von Lützerath ist auf energiepolitischer Sicht nicht notwendig, zeigen unabhängige Studien. Hier wird das 1,5-Grad-Limit sinnlos gesprengt und die Klimakrise angeheizt", so Fridays for Future in einer Aussendung.

Mehrheit gegen Ausweitung der Braunkohleabbaugebiete in Deutschland

Nach einer Umfrage des ZDF-"Politbarometer" ist eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Ausweitung der Braunkohleabbaugebiete, wie sie derzeit nach der Räumung von Lützerath geplant ist. 59 Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine solche Ausdehnung aus – 33 Prozent sind dafür. Vor allem eine deutliche Mehrheit (87 Prozent) der Grünen-Wähler ist gegen das Vorhaben. Hingegen wird von 60 Prozent aller Befragten eine stärkere Nutzung der Kohlekraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung als richtig erachtet. 36 Prozent sprechen sich dagegen aus. (APA, red, 13.1.2023)