In Europa fehlen laut einer neuen Studie Millionen Frauen für Tech-Berufe.
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Sollen in Europa immer mehr Innovationen entstehen, müssen deutlich mehr Frauen in technische Berufe einsteigen. Denn bis 2027 fehlen sonst bis zu vier Millionen Arbeitskräfte in Technologiejobs – während Frauen derzeit nur 22 Prozent dieser Berufe in Europa besetzen. Das Potenzial gegen den Fachkräftemangel ist riesig, besagt eine neue Studie der Unternehmensberatung McKinsey zu Frauen in Tech-Berufen.

Gelinge es den 27 EU-Mitgliedsstaaten, den Frauenanteil in Tech-Rollen bis 2027 auf 45 Prozent anzuheben, könnte Europas BIP um 260 bis 600 Milliarden Euro steigen. In den letzten Jahren hat sich allerdings wenig getan. Seit 2016 stagniert die Zahl der Absolventinnen in Mint-Fächern. Waren es 2016 noch 33 Prozent Frauen mit Bachelor-Abschluss im Mint-Bereich, sank die Zahl bis 2020 sogar leicht auf 32 Prozent. Vor allem in schnell wachsenden Feldern, wie etwa Clouddienste oder Softwareentwicklung, finden sich die wenigsten Frauen.

Stereotype in Ausbildungen

Dabei gibt es keine Hinweise darauf, dass Burschen oder Männer besser in Mathematik oder Informatik sind als ihre Kolleginnen oder Mitschülerinnen. Nach der Schule gibt es trotzdem deutlich weniger junge Frauen, die eine akademische Ausbildung in Mint-Fächern abschließen. In der Disziplin der Informations- und Kommunikationstechnik gibt es derzeit etwa nur 19 Prozent weibliche Studierende.

Gründe für die ungleiche Entwicklung sind meist gesellschaftliche: Immer noch wird Mädchen nicht genauso viel Kompetenz in Mint-Fächern zugesprochen wie Burschen. Dazu kommen noch allgemeine Stereotype gegenüber Frauen und zu wenig Unterstützung durch Lehrerinnen, Kommilitonen oder Eltern. Außerdem finden junge Mädchen und Frauen im Technologiebereich zu wenig weibliche Vorbilder, die motivieren können.

So kommt es häufig auch vor, dass Frauen mit Mint-Abschluss später keinen Tech-Job ausüben. Im Bereich Produktmanagement und UX/UI-Design liegt der Frauenanteil bei 46 Prozent. Dabei sind es in Jobprofilen mit Datenbezug, wie Data Engineering oder Data Analytics, nur 30 Prozent. In den Bereichen Cloud und Softwareentwicklung finden sich nur acht Prozent Frauen.

Handeln für Geschlechterdiversität

Um gezielt mehr Frauen in Tech-Berufe zu bringen, formulierten die Studienautorinnen und -autoren Handlungsfelder. Wichtig sei es, Technologiepositionen neu zu definieren. Männliche Führungskräfte müssten eine Kultur der Unterstützung schaffen, effektiv sponsern, Vorurteile abbauen und flexible Arbeitsmodelle begünstigen. Unternehmen sollten außerdem Mitarbeiterinnen besser binden, indem sie diese als wichtigen Leistungsindikator für die Bewertung von Führungskräften positionieren.

Außerdem könnte man den Talentpool zu artverwandten Profilen ausweiten und diese Talente dann spezifischer ausbilden und ihre technologischen Fähigkeiten weiterentwickeln. Das könne für Frauen mit und ohne Mint-Hintergrund möglich sein. Bereits in der Universität anzusetzen ist laut Studienautoren ebenfalls wichtig: Mehr und bessere Praktika, Mentoring und Coaching von Frauen bei der Vorbereitung auf den Eintritt in den Arbeitsmarkt sollen zu weniger Studienabbrüchen führen.

Gezielte Initiativen

Einige Initiativen gibt es bereits, um Frauen gezielter in Mint-Berufe zu bringen. Das Projekt FEMtech vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) wurde gestartet, um Frauen im Mint-Bereich zu vernetzen, zu fördern und ihnen Bildung und Wissen zugänglicher zu machen.

Mit ihrem Projekt "Women and Code" bieten etwa die Wienerinnen Barbara Ondrisek und Eva Lettner kostenlose Programmierworkshops für Frauen an. Neu startete außerdem das Build! Gründerzentrum Kärnten die Female-Empowerment-Workshopreihe, die Frauen aus dem Bereich Technologie mit ihren Ideen und Zielen zur Selbstständigkeit unterstützen soll.

Zusammen mit dem Inkubatorennetzwerk AplusB in Vorarlberg, Tirol und Salzburg werden die Teilnehmerinnen zu den Themen Mindset, Glaubenssätze und Persönlichkeitsentwicklung in der siebenwöchigen Workshopreihe gecoacht. "Es hapert bei Frauen nicht an den Qualifikationen, sondern oft an Selbstvertrauen", sagt Theresa Omann, die Leiterin des Projekts und Marketingleiterin des Gründerzentrums Kärnten. Das Angebot sei kostenlos, interessierte Bewerberinnen müssten sich jedoch bis 31. Jänner auf der Homepage des Gründerzentrums bewerben. (Melanie Raidl, 24.01.2023)