Die Österreichische Akademie der Wissenschaften wird sich offiziell ab dem 27. Jänner des wieder sehr aktuellen Themas Antisemitismus annehmen.

ÖAW

Es war eine Ankündigung, die viele auch an der Akademie der Wissenschaften überraschte, als der Physiker Anton Zeilinger – damals noch Präsident der ÖAW und noch nicht Nobelpreisträger – ein Zentrum zur Erforschung des Antisemitismus in Aussicht stellte. "Das ist ein Pflänzchen, das wir jetzt einmal wachsen lassen", sagt Zeilinger damals, "das darf man nicht übereilen."

Rund ein Jahr später und unter der Präsidentschaft von Heinz Faßmann ist es nun so weit: Am 27. Jänner, dem Gedenktag zur Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945, wird der neue Forschungsschwerpunkt "Antisemitismus der Gegenwart" starten, koordiniert von der Historikerin Heidemarie Uhl, die am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW tätig ist.

Mit der Initiative wolle man auch einen "Kontrapunkt zu den politisch aufgeladenen Kontroversen setzen", erklärte ÖAW-Präsident Heinz Faßmann am Donnerstag in einer Aussendung. Wohin die Forschungsreise gehen wird, sei aber noch offen, sagt Uhl. Obwohl das Thema Antisemitismus in Österreich vielerorts erforscht wird, fehlte bisher eine institutionelle Verankerung, erklärt die Zeithistorikerin im Gespräch mit der APA. Für Uhl ist die im internationalen Vergleich "späte Gründung eine Chance".

Internationaler Stand der Forschung

So sollen sich im Zuge einer Bestandsaufnahme unter Projektleitung von Helga Embacher von der Universität Salzburg und Alexandra Preitschopf von der Uni Klagenfurt Expertinnen und Experten dem breiten Forschungsbereich systematisch annähern. Das vordringliche Ziel ist es, den internationalen Stand im Rahmen eines Erhebungsprojekts zu analysieren und auf dieser Basis die Ausrichtung der neuen Einrichtung zu definieren und möglichst nicht auf bekannten Schienen zu fahren.

Die grundlegende Ausrichtung auf die Gegenwart biete eine Reihe an Möglichkeiten, erklärt Uhl. Nicht ausgeschlossen sei aber auch, dass im Rahmen des ebenfalls gestarteten "Fellowship Programme" auch einmal Projekte stärker mit dem Rückblick auf das so ungeheuer persistente gesellschaftliche Phänomen durchgeführt werden.

Späte Aufarbeitung der eigenen Geschichte

Die ÖAW selbst hat ihre eigene Geschichte, die nicht erst ab 1938 von Antisemitismus geprägt war, erst recht spät aufgearbeitet. Beiträge dazu finden sich in einem von Uhl mitherausgegebenen Band aus dem Jahr 2013, in dem auch darauf verwiesen wird, dass bereits in der Zwischenkriegszeit jedenfalls kaum mehr jüdische Wissenschafter in die philosophisch-historische Klasse der Akademie aufgenommen wurden. Und auch noch nach der NS-Zeit, in der alle noch verbliebenen jüdischen Mitglieder gehen mussten, hielt der Antisemitismus an.

1951 und 1957 etwa gab die ÖAW zwei großformatige Bände "Österreichische Naturforscher, Ärzte und Techniker" heraus. Etliche wichtige Forscher jüdischer Herkunft wie der Zoologe Hans Przibram oder der Hormonforscher Eugen Steinach, die beide sogar an einem Akademie-Institut forschten, fehlen in diesen Bänden.

Das überrascht auch deshalb nicht wirklich, weil für die Zusammenstellung der Namen der Botaniker Fritz Knoll sorgte. Als von den Nazis eingesetzter Rektor der Uni Wien war Knoll 1938 mitverantwortlich für die rassistische und politisch motivierte Vertreibung von mehr als 250 Forschenden seiner Hochschule gewesen. Ende der 1950er-Jahre brachte er es noch bis zum Generalsekretär der ÖAW.

Traurige Aktualität des Themas

Doch zurück zur Gegenwart. Die traurige Aktualität könne dem Thema Antisemitismus nicht abgesprochen werden, sagt Faßmann, die Verbreitungsmechanismen und dazu benutzten Medien unterlägen aber Veränderungen, die es aufzuzeigen und zu diskutieren gelte. "Wie funktioniert das Gedächtnis des Antisemitismus? Woher kommen diese Bilder, und warum lassen sie sich so leicht hervorrufen?" seien Grundfragen, die man aus aktueller Perspektive auch aus der Sichtweise von Social Media und Co untersuchen sollte, sagte Uhl.

Die neue Struktur gelte es nun mit "innovativen" Ansätzen und Inhalten zu füllen. Man wolle aber sehr bewusst nicht mit einem fix vorbereiteten Forschungsprogramm starten. Genau auseinandersetzen werde man sich allerdings mit den Ergebnissen der seitens des Parlaments alljährlich durchgeführten Erhebungen über Wahrnehmungen und Einstellungen der in Österreich lebenden Bevölkerung zum Antisemitismus. Diese und andere internationale "Monitoring"-Daten stehen den Forschern für tiefere Analysen zur Verfügung. Mit den Erkenntnissen aus den wissenschaftlichen Tätigkeiten möchte man in der Folge auch in die breitere Öffentlichkeit gehen. (APA, tasch, 26.1.2023)