Andrea Riseborough, unerwartet nominiert als beste Schauspielerin für die diesjährigen Oscars.

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Am Wochenende kam es zu einem kleinen Buschfeuer in Hollywood. Zündfunke war die Nominierung der 41-jährigen britischen Schauspielerin Andrea Riseborough als beste Schauspielerin für ihre Rolle als Südstaatenalkoholikerin in To Leslie. Der Indie-Film war zwar nach seiner Premiere beim South-by-Southwest-Filmfestival von der Kritik gelobt worden, an den Kinokassen spielte er aber nur 27.000 Dollar ein.

Ohne starkes Studio im Rücken konnte sich To Leslie keine klassische Oscar-Promotion leisten. Doch der Regisseur Michael Morris und seine Ehefrau, die Schauspielerin Mary McCormack, haben offenbar einflussreiche Freunde und Freundinnen, die dazu beigetragen haben dürften, dass sich Riseborough gegen starke Kontrahentinnen aus weit umsatzstärkeren Filmen durchsetzen konnte – was zu Lobbying- und Rassismusvorwürfen führte.

Hollywood-Adel stimmte für Riseborough

So machten Susan Sarandon, Helen Hunt und Birdman-Co-Star Edward Norton auf ihren Social-Media-Accounts auf Riseborough aufmerksam, und Hollywood-Adel wie Charlize Theron, Jennifer Aniston, Gwyneth Paltrow, Amy Adams sowie Kate Winslet veranstalteten Screenings und Events für To Leslie. Winslet bezeichnete Riseboroughs Performance als "die beste weibliche Leistung auf dem Bildschirm, die ich je gesehen habe", und selbst Riseboroughs nunmehr direkte Konkurrentin Cate Blanchett sprach sich für die Britin aus.

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Wiederaufflammen von #OscarsSoWhite

Kritik kam vonseiten derjenigen, die aus dem Rennen geschmissen wurden: Darunter sind einige Filme von afroamerikanischen Teams, was laut Guardian zu einem erneuten Aufflammen der #OscarsSoWhite-Bewegung führte. Und tatsächlich fällt auf, dass Jordan Peeles Nope bei den diesjährigen Awards sträflich übergangen wurde, ebenso wie The Woman King oder Till, ein Historiendrama über einen Lynchmord, für den die Hauptdarstellerin Danielle Deadwyler auf der Shortlist stand und bereits als Fixstarterin gehandelt wurde. Chinonye Chukwu, die Regisseurin von Till, kritisierte denn auch die Filmindustrie für "die Aufrechterhaltung des Weißseins und einer unverhohlenen Frauenfeindlichkeit gegenüber schwarzen Frauen".

Danielle Deadwyler in "Till" – manche Kritiker befanden, dass sie ihrer Chance auf den Oscar beraubt wurde.
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Doch hat Riseborough wirklich einer schwarzen Schauspielerin den Rang abgelaufen? Die prominente Liste von Riseboroughs weißen Unterstützerinnen, darunter zahlreiche Oscarpreisträgerinnen, zeigt tatsächlich, dass die Academy allzu lange schwarze Darstellerinnen übergangen hat – ein historisch-strukturelles Rassismusproblem ist nicht zu leugnen. Die Nominierung der wenig bekannten Britin als, wie mancherorts behautet, Machwerk eines weißen Netzwerkes darzustellen, scheint dann doch ein wenig zu weit zu gehen. Denn neben Danielle Deadwyler und Viola Davis haben auch Jessica Chastain (The Good Nurse), Olivia Colman (Empire of Light) oder Rooney Mara (Women Talking), Margot Robbie (Babylon), Anya Taylor-Joy (The Menu) und Emma Thompson (Good Luck to You, Leo Grande) den Kürzeren gezogen – sie alle schafften es nicht in die Oscar-Endrunde, trotz toller Leistungen und unterstützender Kampagnen.

Haben Chancen auf einen Oscar: Ana de Armas, Michelle Yeoh, Andrea Riseborough, Michelle Williams und Cate Blanchett.
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Geld versus Freunde?

Letztlich ist erstmals eine Marketingstrategie erfolgreich gewesen, die der seit den 1990er-Jahren gängigen millionenschweren Studiopromotion möglicherweise bald den Rang abläuft. Wie in der Politik kann auch die kostengünstigere, durch Social Media gestützte Graswurzelkampagne zum Erfolg führen, sofern man eine gute Leistung erbracht und (äußerst) einflussreiche Fürsprecher hat. Den Vorwurf der Freunderlwirtschaft wird man sich im Team To Leslie zwar anhören müssen, doch der Regelbruch des Lobbying lag schließlich nicht vor. Die Academy jedenfalls teilte mit, dass die umstrittenen Kampagnen für Riseborough in Onlinenetzwerken zwar Anlass für "Beunruhigung" gäben, aber "nicht ein Niveau erreicht hätten, das die Annullierung der Nominierung erfordern würde".

Die Schauspielerin Christina Ricci äußerte sich am Samstag zu dem ganzen Wirbel skeptisch: "Es ist schon komisch, dass der 'überraschenden Nominierung' (was bedeutet, dass nicht Unmengen von Geld ausgegeben wurden, um diese Schauspielerin zu positionieren) einer legitimen brillanten Leistung mit einer Untersuchung begegnet wird. Verdienen also nur die Filme und Schauspieler, die sich die Kampagnen leisten können, Anerkennung? Das kommt mir elitär und exklusiv und, offen gesagt, sehr rückständig vor." (Valerie Dirk, 2.2.2023)