In der Nähe von Halle an der Saale im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt wurden dutzende Skelettreste einer ausgestorbenen Elefantenart entdeckt, wie das Foto aus dem örtlichen Landesmuseum für Vorgeschichte zeigt.
Foto: Imago / Steffen Schellhorn

In der Steinzeit zogen nicht nur Säbelzahnkatzen, Nashörner und Wollhaarmammuts durch Europa: Einen beeindruckenden Anblick bot auch der Europäische Waldelefant, der mehr als vier Meter hoch wachsen und 13 Tonnen schwer werden konnte. Damit waren die Vertreter dieser Spezies – die vor etwa 33.000 Jahren ausgestorben ist – in den vergangenen drei Millionen Jahren die größten Tiere, die an Land lebten. Wollhaarmammuts waren hingegen nur wenig größer als heute lebende Elefanten, und der größte Afrikanische Elefant, der bisher wissenschaftlich vermessen wurde, kam auf die vier Meter Schulterhöhe, die ein Waldelefant-Bulle einst gut zustande bringen konnte.

Dass der riesige Elefant damit auch ein Ziel prähistorischer Jägerinnen und Jäger war, ist naheliegend – und wurde nun endlich auch nachgewiesen, in Deutschland. In einer großen Braunkohlegrube bei Halle an der Saale (nahe Leipzig) stieß man schon in den 1980er- und 90er-Jahren auf mindestens 70 Waldelefanten beziehungsweise auf das, was nach 125.000 Jahren von ihnen übrig blieb. Feine Seesedimente sorgten dafür, dass die fossilen Knochen gut konserviert wurden.

Studienautorin Sabine Gaudzinski-Windheuser neben der Rekonstruktion eines männlichen Europäischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus, früher: Elephas antiquus).
Foto: Lutz Kindler, LEIZA

Auf Fleisch und Fettpolster hatten es damals, während der Altsteinzeit, die Neandertaler abgesehen, wie die Forschungsgruppe um Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz herausfand. Im Fachmagazin "Science Advances" zeigt sie die Schnittspuren an den Elefantenknochen, die darauf hinweisen, dass Fleisch mithilfe von Werkzeugen abgelöst wurde. Und zwar große Mengen an Fleisch – bis zu vier Tonnen. Der Körper eines der kolossalen Tiere dürfte damit hunderte Menschen mit Mahlzeiten versorgt haben, in getrocknetem Zustand auch über längere Zeitspannen hinweg.

Überraschend viele erwachsene Männchen

Das lässt neue Schlüsse auf das Zusammenleben der Neandertaler zu, wie das Forschungsteam ausführt. Sie könnten in viel größeren Gemeinschaften zusammengelebt haben, als man bisher annahm. Waldelefanten als Beute konnten nicht nur viele Neandertaler versorgen: Um ein so großes Tier koordiniert zu jagen, zu töten und zu zerlegen, seien bereits viele Beteiligte nötig gewesen.

Die Schnittspuren zeigen, dass das Fleisch der Waldelefanten von den Knochen gelöst wurde – hier an einem Fußknochen.
Foto: APA / AFP / Monrepos

Dass sie damals wohl tatsächlich Jagd auf die Elefanten machten und sich nicht nur hin und wieder von Kadavern ernährten, die ohne Zutun von Menschen (oder menschenähnlichen Verwandten, wie es die Neandertaler waren) verstorben waren, ist eine der neuen Erkenntnisse der Studie. Am Fundort Neumark-Nord war italienischen Paläontologinnen und Paläontologen bereits vor einiger Zeit aufgefallen, dass überraschend viele erwachsene und männliche Tiere entdeckt wurden. "Die Entdeckung von eindeutigen Schnittspuren gab den Anstoß zu einer intensiven Untersuchung der Elefantenüberreste", sagt Gaudzinski-Windheuser.

Größenunterschiede

Über viele Monate hinweg analysierte ihre Gruppe mit einem Team der Universität Leiden in den Niederlanden die ganze Sammlung. Von großen und schweren Knochen hin zu kleineren Fragmenten waren es mehr als 3.000 Überreste, die vom Europäischen Waldelefanten stammten und bisher in der Braunkohlegrube geborgen wurden. Die Schnittspuren zeigten, dass über mindestens 2.000 Jahre hinweg Elefanten dazu beitrugen, die Neandertaler zu ernähren. "Dies ist der erste eindeutige Beweis für die Elefantenjagd in der menschlichen Evolution", sagt der niederländische Prähistoriker Wil Roebroeks, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Die Erstautorin beim Untersuchen eines Oberschenkelknochens des ausgestorbenen Elefanten.
Foto: Lutz Kindler, LEIZA

Bei Europäischen Waldelefanten sind Männchen wesentlich größer als Weibchen: Während Bullen 4,20 Meter groß und sechs bis 13 Tonnen schwer werden konnten, blieben Elefantenkühe unter drei Metern Schulterhöhe und wurden meist nicht schwerer als sechs Tonnen. Daraus ergab sich ein größerer Jagderfolg, wenn ein massereicher erwachsener Bulle erlegt werden konnte – daher der Überhang bei den mit Schnittspuren versehenen Funden, erklärt das Studienteam.

2.500 Portionen Elefantenfleisch

Außerdem vermutet man, dass die Männchen weniger im Verband einer Herde unterwegs waren, sondern eher als Einzelgänger. Ein weiterer Faktor, der die Jagd beeinflusste, denn ein einzelnes Tier anzugreifen war einfacher und sicherer, als potenziell eine ganze Herde gegen sich aufzubringen.

Gut erkennbare Schnittspuren an den Fußknochen eines Elefanten zeigen: Womöglich wurden die Fettablagerungen in den Fußpolstern der Tiere genutzt.
Foto: Wil Roebroeks, Universität Leiden

Die Fachleute berechneten sogar, wie viele Portionen das Fleisch eines zehn Tonnen schweren Waldelefanten ergeben haben könnte. Demnach hätte er 2.500 Mahlzeiten à 4.000 Kilokalorien liefern können, was bei erwachsenen Neandertalern eine üppige Tagesration für sehr sportliche Menschen wäre. Man könnte also 25 Personen (wenn sich der Personenbegriff auf Neandertaler ausweiten lässt) locker für 100 Tage versorgen, wobei fraglich ist, ob ein einziger erlegter Elefant derart lange vorsorgte (und das Fleisch so lange haltbar gemacht wurde).

Bisher wurden Neandertaler-Gemeinschaften aber oft auf eine Individuenzahl von 25 – oder weniger – geschätzt. Entsprechend zeigt die Studie also, dass weitaus größere soziale Gruppen möglich waren. Umgekehrt kämen 100 Neandertaler für rund einen Monat damit aus, 350 ließen sich für eine Woche verpflegen. Den Autorinnen und Autoren zufolge sei es wahrscheinlich, dass Neandertaler wenigstens zeitweise in größeren Verbänden zusammenkamen – beziehungsweise dass sie in großem Stil fleischliche Nahrung konservieren und lagern konnten.

Schlechtes Image der Neandertaler

Die zahlreichen Bearbeitungsspuren – hier an einem Oberarmknochen eines Elefanten – lassen auf das Verhalten von Neandertalern vor 125.000 schließen.
Foto: Sabine Gaudzinski-Windheuser und Lutz Kindler

Das erweitert die Palette des bisher bekannten Wissens über diese Menschenart, die sich zumindest zeitweise erfolgreich mit dem modernen Menschen Homo sapiens fortpflanzte, aber vor etwa 30.000 Jahren ausstarb – bis auf ein überschaubares Erbe in heute lebenden Populationen. In einem Begleitartikel weist Verhaltensökologin Britt Starkovich von der Universität Tübingen darauf hin, dass immer deutlicher werde: Neandertaler waren nicht alle gleich, "und es sollte uns nicht überraschen, dass sie über ein ganzes Arsenal an Verhaltensweisen der Anpassung verfügten, die es ihnen ermöglichten, in den vielfältigen Ökosystemen Eurasiens über 200.000 Jahre lang erfolgreich zu sein".

Auch macht Starkovich darauf aufmerksam, dass den Neandertalern in der Popkultur und im heutigen Sprachgebrauch wie keinem anderen nahen menschlichen Verwandten Unrecht geschehe. Immerhin werden sie – wie auch generell "Höhlenmenschen" – als Synonym für Dummheit und Rückwärtsgewandtheit herangezogen. Dabei zeigen gerade die Studien der jüngsten Vergangenheit immer wieder, wie ähnlich sie modernen Menschen waren.

Brandrodung vor 125.000 Jahren

Auch die Studie zur Elefantenjagd unterstreicht den Einfluss, den auch Neandertaler auf die Ökosysteme, zu denen sie gehörten, ausübten. Nicht zuletzt wird diskutiert, ob schon in prähistorischen Zeiten Menschen durch Jagd dafür gesorgt haben, dass Teile der Großwildfauna ausgestorben sind. Auch Studienautor Wil Roebroeks sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass die Neandertaler "nicht einfach nur Sklaven der Natur waren; keine Ur-Hippies, die davon lebten, was die Natur ihnen so gab". Stattdessen hätten sie ihre Umwelt aktiv mitgestaltet.

Das machte die Forschungsgruppe bereits vor gut einem Jahr mit einer weiteren bemerkenswerten Studie deutlich. Die Auswertung von Funden derselben Stätte, die ebenfalls im Fachmagazin "Science Advances" veröffentlicht wurde, zeigt: Vor 125.000 Jahren veränderten Jäger-Sammler-Gemeinschaften die Region durch Brandrodung. Die gezielte Nutzung des Feuers, auf die das Team aufgrund gefundener Holzkohle und Steinwerkzeuge schließt, könnte den Vorteil gehabt haben, dass die Umgebung leichter überschaubar war. Und sie wäre ein Indiz dafür, dass die Gattung Homo schon vor weitaus mehr als rund 10.000 Jahren – zu Beginn von Landwirtschaft und Sesshaftwerdung – Landschaften in großem Stil veränderte. (Julia Sica, 3.2.2023)