In den vergangenen fünf Jahren war die Grundwassersituation in Mitteleuropa deutlich schlechter als zuvor, zeigen Satellitendaten zur globalen Massenverteilung.
Foto: Reuters

Die Sommermonate der Jahre 2018 und 2019 waren heiß. Zu heiß. Welche Auswirkungen die Dürre damals auf das Grundwasser in Mitteleuropa hatte, zeigte 2020 eine in Geophysical Research Letters publizierte Studie. Ein Team um Eva Börgens vom Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam errechnete, dass das Bodenwasser 2018 mit 112 und 2019 mit 145 Gigatonnen unter den Werten eines Durchschnittsjahres lag. Zum Vergleich: Die mittlere Differenz des stark schwankenden Wasserspeichervolumens in Winter und Sommer liegt bei etwa 150 Gigatonnen. Es fehlte also fast so viel Wasser, wie eine normale saisonale Schwankung ausmacht.

Eine Besonderheit der Studie war die Art der Erhebung. Basis der Auswertung waren Daten der neuen Satelliten der Mission Grace-Fo, die erst im Mai 2018 ins Orbit starteten. Dabei messen zwei Satelliten – die Wissenschaftscommunity nennt sie Tom und Jerry – sehr genau die Massenverteilung auf der Erde, woraus sich dann die Grundwasserverteilung ableiten lässt. Börgens und Team schrieben damals, das Defizit sei so groß, "dass eine Erholung innerhalb eines Jahres nicht erwartet werden kann".

Niedrige Pegel

Nun wurden auch die Werte für die Folgejahre ermittelt – mit ernüchterndem Ergebnis: "Es gab seit 2019 keinen signifikanten Anstieg der Grundwasserspiegel. Die Pegel sind gleichbleibend niedrig", sagt Torsten Mayer-Gürr vom Institut für Geodäsie der TU Graz. Der Wissenschafter und seine Grazer Kollegenschaft arbeiten mit dem GFZ in Potsdam und mit weiteren nationalen und europäischen Partnern im EU-Projekt G3P zusammen, das sich mit der Grundwasserberechnung aus den Grace-Daten beschäftigt.

Das Messen der Masseverteilungen durch Satellitendaten wird seit über 20 Jahren betrieben. 2002 startete das erste Grace-Satellitenpaar, das 15 Jahre Daten lieferte, bevor 2018 die leistungsfähigeren Nachfolger den Dienst aufnahmen. Die deutsch-amerikanischen Satelliten umkreisen die Erde im Abstand von etwa 200 Kilometern. Dabei vermessen sie mittels Mikrowellensignals laufend ihren Abstand, etwa auf tausendstel Millimeter genau – also einem Bruchteil eines menschlichen Haares. Aufgrund der Abstandsschwankungen kann man auf Veränderungen der Gravitation und der zugrunde liegenden Masse schließen. "Fliegt der erste Satellit auf eine größere Masse – etwa ein Bergmassiv – zu, beschleunigt er leicht. Hat er die Masseansammlung passiert, reduziert sich die Geschwindigkeit wieder. Ebenso ist es mit dem hinteren Satelliten", veranschaulicht Mayer-Gürr.

Karte der Massenverteilung

Um aus den Rohdaten, die auf diese Art gemessen werden, eine Massenverteilung auf der Erde zu rekonstruieren, müssen sie durch aufwendige Analysen bereinigt werden. "Die Daten beinhalten viele Effekte, die uns nicht interessieren – vom Strahlungsdruck der Sonne über atmosphärische Massevariationen durch Hoch- und Tiefdruckgebiete bis zur Reibung der Restatmosphäre, die in dem niedrigen Orbit der Satelliten noch vorhanden ist", zählt der Wissenschafter auf.

"Jeden Monat kann auf diese Art eine komplette Karte der Masseverteilungen der Erde erstellt werden. Der Großteil der Veränderungen, die wir dabei sehen, wird durch Wasser hervorgerufen." Aus Modellierungen, die auf Basis der Daten erfolgen, lassen sich Klimawandelfolgen ablesen. "Beim Eisschwund in Grönland und der Antarktis ist der Trend signifikant", sagt Mayer-Gürr.

Genaue Analyse nötig

"Beim Meeresspiegelanstieg sieht man eine signifikante Beschleunigung. Hier lässt sich mit weiteren Messtechniken genau zeigen, welcher Anteil des Anstiegs auf die Eisschmelze und welcher direkt auf die Erwärmung des Wassers zurückzuführen ist." Bei Berechnungen dieser Art ist eine genaue Kenntnis des Geosystems nötig – so auch bei der Grundwasseranalyse. "Dass man wirklich alle Masseänderungen sieht, ist der größte Vorteil, aber auch der größte Nachteil der Grace-Mission", bringt es Mayer-Gürr auf den Punkt. "Von den Gesamtmasseveränderungen durch das Wasser muss der Anteil von Flüssen, Seen, Gletschern, Schnee und Bodenfeuchte abgezogen werden."

Es braucht ein ganzes Netzwerk von Fachexperten im europaweiten G3P-Projekt, um die Rechnung komplett zu machen. Seit Beginn der Grace-Mission wurden die Modelle zunehmend genauer. Oft wurde bei Etablierung neuer Methoden die gesamte Datenzeitreihe neu ausgewertet. Die Erkenntnisse wurden zudem durch Messungen am Boden experimentell bestätigt. Künftig soll die Genauigkeit aber noch weiter zunehmen.

Aus zwei werden vier

Für die 2030er-Jahre ist eine Nachfolge-Mission geplant, bei der neben der Nasa auch die europäische Raumfahrtagentur Esa, zu deren Etat das österreichische Klimaministerium beiträgt, mit an Bord sein wird. "Die Idee ist, zwei Satellitenpaare, die zueinander geneigt sind, im Orbit zu positionieren. Ihr Zusammenspiel kann die räumliche und zeitliche Auflösung stark erhöhen. Die globale Massekarte könnte dann nicht mehr nur monatlich, sondern wöchentlich oder täglich erstellt werden", sagt Mayer-Gürr.

Bleibt zu hoffen, dass bis dahin auch wieder bessere Nachrichten vom Bodenwasser in Europa zu vermelden sind. Die Werte seit 2018 zeigen immerhin das größte Defizit in der ganzen Grace-Geschichte. (Alois Pumhösel, 10.2.2023)