Das Designduo Ante up in seinem vor drei Jahren gegründeten Studio. Links ist Benedikt Stonawski, rechts Hauke Unterburg zu sehen.
Foto: Jasmin Bermadinger

Einen Steinwurf vom Studio entfernt stand angeblich das Zelt von Großwesir Kara Mustafa. Zumindest wenn es nach einer Gedenktafel in der Neustiftgasse geht. "Das stimmt aber nicht! Sein Zelt wurde im 15. Bezirk, oben auf der sogenannten Schmelz aufgestellt", sagt Designer Benedikt Stonawski, der hier im Siebten mit seinem Kompagnon Hauke Unterburg arbeitet. "Dafür war die Wiener Werkstätte unser Nachbar", ergänzt Unterburg durchaus ein bisschen stolz. Die beiden betreiben seit 2020 in einer ehemaligen Tischlerei ihr Designunternehmen Ante up.

Das weiß getünchte Studio mit Tonnengewölbe und zwei kräftigen Stahlträgern an der Decke wirkt proper. Der langgezogene Raum, an dessen Miete sich auch eine Grafikerin und zwei Architektinnen beteiligen, lässt etwas Altes spüren, die Einrichtung Modernes. Eine Sitzgruppe im Mid-Century-Stil, Stellagen, ein paar Schreibtische, natürlich Bildschirme. Von den Wänden strahlt kaltes, weißes Licht aus vertikal angebrachten Neonröhren. Klingt ungemütlich, ist es aber nicht.

Eine Werkstatt gibt’s separat, sie ist ausgestattet mit Sägen, Werkbänken, Schraubstöcken, einem 3D-Drucker und allerlei Krimskrams. Insgesamt misst das kreative Revier 126 Quadratmeter, gefüllt mit Ideen bis unter die Decke. Manche findet man auf Post-its, die an den Mauern kleben. Weit unter dem blauen Fußboden sucht sich die Verlängerung der U-Bahn-Linie U2 ihren Weg durchs Erdreich. In letzter Zeit sei es aber ruhig geworden, dort unten.

Die Wahl des Namens

Den Namen des Studios haben sich die beiden beim Pokerspiel ausgeliehen. "Ante up bedeutet im weiteren Sinne, auf seine Karten zu vertrauen, bevor man sie überhaupt kennt. Wir erweiterten diesen Gedanken auf ein Grundvertrauen in unser Können", erklärt Stonawski, während er Filterkaffee kredenzt. Und Wasser.

Benedikt Stonawski (li.) und Hauke Unterburg beim Tüfteln in ihrer Werkstatt.
Foto: Jasmin Bermadinger

Gute Karten benötigten die beiden 31-jährigen Designer von Anfang an, denn sie starteten ihr Unternehmen mitten in der Pandemie nach einem Praktikum beim Designer Thomas Feichtner. Davor studierte Hauke Unterburg in Karlsruhe, Benedikt Stonawski im niederländischen Eindhoven, nachdem er das Tischlerhandwerk erlernt hatte. Aus heutiger Sicht sehen die Designer die Pandemie aber nicht als Hackl im Kreuz. Sie orten durchaus Vorteile durch den Start im Lockdown. "Das Ganze gab uns die Möglichkeit, uns zu orientieren und Dinge in Ruhe auszubaldowern. Während dieser Zeit brachten wir viel weiter und hatten nicht dieses ‚Muss, muss, muss‘ im Hinterkopf."

Dass Ante up wie viele Designstudios als Duo arbeitet, erachten die zwei als weiteren und nicht zu unterschätzenden Vorteil. Sie vergleichen es mit einem Pingpongspiel der Gedanken. Ständig Kompromisse eingehen zu müssen, erleben sie nicht als nervend, sondern als spannenden Part eines Prozesses. "Ist man allein, fällt es einem leichter, sich anzulügen. Außerdem reflektieren wir sozusagen zum Quadrat und haben auf diese Weise gelernt, miteinander zu funktionieren", sind sich die Entwerfer einig und erwähnen auch die nicht zu unterschätzende Bedeutung von Sparringpartnern als Sicht von außen. "Das kann jemand sein, der ein Praktikum absolviert, aber auch ein professioneller Business-Coach. Schließlich sind wir Unternehmer." Was sie in den zwei Jahren sonst noch für Erkenntnisse gewinnen durften? "Zum Beispiel, dass die erste Idee niemals die richtige ist, sondern meistens die zwanzigste."

Formensprache

Bei der Produktion des Hockers "Opponent" fallen keine Reststücke an.
Foto: Ante up

Die Formensprache von Ante up ist eine unkonventionelle. Stilistische Anleihen aus der weiten Welt des Designs und seiner Epochen sind schwer auszumachen. Hier trifft Gefinkelt-Witziges auf materialtechnisch Durchdachtes. Fast weist das eine oder andere Objekt experimentellen Bastelcharakter auf, im positiven, überraschenden und nachhaltigen sowie stabilen Sinne. Scheu scheinen die beiden nicht zu kennen, und das macht ihre Kollektion so erfrischend wie ressourceneffizient – Aha-Effekt inklusive. Man nehme den metallfreien Eichenholz-Hocker Opponent, der mit ein wenig Fantasie an ein kubistisches Profil von Picasso erinnert. Dabei ist seine Erscheinung nicht in erster Linie Kreativität geschuldet, sondern der Schonung von Rohstoffen. Bei der Herstellung des Möbels mit dem trefflich gewählten Namen entstehen keinerlei Reststücke. Jedes Holzteil im ökologisch verleimten Objekt wird verwertet. Ecken, die beim Sägen einer Rundung übrig bleiben, machen dem Hocker Beine. Die Ressourcen scheinen gewissermaßen mitzugestalten, werden zum Teil der Lösung. Hergestellt wird der smarte Hocker in einer Tischlerei bei Wien, die Geflüchteten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.

Die Kollektion "Bivalve" besteht aus Behältnissen, die der 3D-Drucker ausspuckt. Das Grundmaterial stammt zu 100 Prozent aus biologischer Landwirtschaft.
Foto: Ante up

Drauf hat’s auch die dreiteilige Schalen- und Becherkollektion Bivalve. Das Organische schlägt sich nicht nur im Erscheinungsbild, sondern ebenso in der Materialwahl nieder. Die Gefäße, die überdimensionalen Nudeln gleichen, basieren auf sogenanntem PLA-Filament, mit dem der 3D-Drucker gefüttert wird. Der Biokunststoff wird aus Maisstärke gefertigt und mit Abfällen der Lebensmittelindustrie vermischt. Dazu zählen etwa Weizen, Kaffee oder die Schalen von Miesmuscheln aus der Gastronomie. Gedruckt wird die Kollektion inhouse.

Beim Tisch "Tomb Table" werden sechs Natursteinplatten ineinandergesteckt. Er bringt es auf 54 Kilo.
Foto: Ante up

Im Vergleich dazu kommt der Tomb Table wie ein schwergewichtiges Steckspiel daher. In seinem Fall handelt es sich um einen skulpturalen Tisch, bei dem sechs identische Natursteinplatten ohne Werkzeug ineinandergesteckt werden und eine Glasplatte tragen. Der Begriff "Grab" im Namen des 54 Kilo schweren Objekts bezieht sich wohl lediglich auf die drei Steinarten. Formensprachlich erscheint das Teil durchaus heiter.

Hypothesen-Check

Ante up wollen nicht mit ihrem Namen, sondern mittels ihrer Produkte bekannt werden. "Unser Stil muss nicht erkennbar sein. Eine fixe Formensprache engt viel zu sehr ein. Früher, auch bei den alten Meistern, zum Beispiel des italienischen Designs, stand die Lösung fest, bevor man sich mit dem eigentlichen Problem, das es zu lösen galt, beschäftigte." Anders formuliert: Stonawski und Unterburg stellen sich als Designer die Frage, ob ein neues Produkt Teil der Lösung oder Teil des Problems ist. Mode und Trends sind nicht ihr Ding. Die beiden sprechen gern von einem strukturierten Hypothesen-Check, von einem holistischen Zugang. Mit dem Begriff Nachhaltigkeit wollen sie nicht zeitgeistig hausieren gehen, sondern ihre Produkte kreislauffähig gestalten. "Die Menschen verstehen nicht immer sofort, was wir mit diesem Adjektiv meinen. Ich erwähne in einer solchen Situation gerne die Bierflasche als besonders talentiertes Kreislaufprodukt", sagt Unterburg und lächelt.

Und was noch? Ante up wollen Dinge vereinfachen, nicht nur optisch, sondern auch oder gerade was Ressourcen betrifft. "Wir möchten Verantwortung auf unsere Nutzer übertragen. Die Menschen, die unsere Objekte kaufen, sollen mit diesen umgehen können, sie pflegen, verstehen und notfalls selbst reparieren. Wir denken ein Produkt von Anfang bis zu seinem möglichen Ende, und es macht ungeheuren Spaß, sich mit neuen Materialien auseinanderzusetzen." Das rechtfertigt auch das Design neuer Dinge und erübrigt im Falle von Ante up ein ordentliches Stück weit die Frage, warum noch immer neue Sessel entworfen werden, da es doch schon so viele gibt. Die Formen von Ante up folgen also nicht nur der Funktion, sondern weitaus mehr. Die Kolleginnen und Kollegen von der Wiener Werkstätte hätten bestimmt Augen gemacht. Vor allem wenn der 3D-Drucker einen Zahnputzbecher aus Muschelschalen ausspuckt. (Michael Hausenblas, RONDO, 19.2.2023)