Damit Menschen mit Behinderung selbstverständlicher im Arbeitsleben werden, muss sich noch vieles verändern.
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Längst sind Unternehmen gezwungen, wegen des Fachkräftemangels kreativer zu werden und neue Zielgruppen anzusprechen. Das Ringen um neues Personal sei auch ein Treiber für mehr Inklusion in Betrieben, sagt Wolfgang Kowatsch, Co-Gründer von myAbility, einer Unternehmensberatung mit Schwerpunkt Inklusion. "Um die Teilhabe am Arbeitsmarkt von Menschen mit Behinderung zu verbessern, muss aber noch mehr getan werden."

Caroline Casey hat vor drei Jahren die Intitiative The Valuable 500 gegründet.
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Deutlicher wird Caroline Casey. Die Irin, sie ist selbst stark sehbeeinträchtigt, hat vor drei Jahren die Initiative The Valuable 500 gegründet, mit der die 500 mächtigsten CEOs der Welt dazu bewegt werden sollen, die Inklusion von Menschen mit Behinderung in ihre Unternehmensagenda aufzunehmen. Denn: "Trotz eines steigenden Bewusstseins in Unternehmen beim Thema Diversity wird der Bereich Menschen mit Behinderung dabei nach wie vor meist ausgeblendet", sagt Casey. Dadurch werde aber echte Veränderung verhindert.

Und sie bewegt sich doch

Beim Thema Inklusion sei in den vergangenen Jahren dennoch einiges weitergegangen. Das Thema habe sich vom Rand wegbewegt, es sei in der Öffentlichkeit sichtbarer geworden. Sie beobachte immer öfter inklusivere Modekampagnen, innovative Lösungen im Produktdesign. Dann ist da auch die Schauspielerin Selma Blair, die bei Dancing with the Stars ihre Diagnose multiple Sklerose öffentlich machte. "Es scheint, als ob wir endlich ein ‚Re-Branding‘ von Behinderung erleben, weg von den unglücklichen Seelen, die Mitleid brauchen", sagt die Aktivistin. Und auch für Kowatsch sei eine massive Weiterentwicklung bei einem inklusiveren Arbeitsmarkt spürbar. "Früher mussten wir Unternehmen erklären, was Inklusion bedeutet, mittlerweile gibt es in den meisten Firmen einen Ansprechpartner dafür." Dennoch hapert es an der Umsetzung. "Wie können Unternehmen Menschen mit Behinderung ansprechen, wo können sie überhaupt gefunden werden – die Bereitschaft für ein inklusives Arbeitsumfeld allein reicht nicht, es muss auch auf den Boden gebracht werden", ergänzt er.

Casey liefert dafür Daten aus zwei Umfragen. Bei der von ihr initiierten Erhebung "The Valuable Truth" gaben 47 Prozent der befragten Unternehmen an, dass fehlende Bewerbungen von Menschen mit Behinderung eines der größten Hindernisse darstelle. Umgekehrt ergab eine von Virgin Media und Scope durchgeführte Untersuchung, dass allein in Großbritannien mehr als eine Million Menschen mit Behinderungen gerne arbeiten würden, ihnen aber diese Möglichkeit verwehrt bleibt.

Verpflichtung zur Barrierefreiheit

2025 tritt der European Accessibility Act (EAA) in Kraft. Damit werden Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern oder mehr als zwei Millionen Euro Jahresumsatz verpflichtet, sämtliche Ausschreibungen, Online-Dienstleistungen, Selbstbedienungsterminals und elektronische Kommunikationsdienste barrierefrei zu gestalten. Kowatsch erwartet sich dadurch zwar keinen Gamechanger, aber doch große Veränderungen. "Diese Vorgaben gibt es ja bereits, durch den Act werden sie nachgeschärft, und auch die Konsequenzen für Unternehmen bei Nichteinhaltung werden stärker."

Wolfgang Kowatsch gehört zum Gründungsteam von MyAbility.
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Handlungsbedarf sieht Kowatsch in Österreich in der Politik. Hier müsse vieles noch einfacher gestaltet werden, sagt er. Dazu gehört mehr Klarheit bei den Förderungen und auch weniger Föderalismus. Das Argument, dass man Menschen mit Behinderungen aufgrund des Kündigungsschutzes erst gar nicht einstellt, lässt Kowatsch nicht gelten. "Diese Hürde wurde von sechs Monaten auf vier Jahre ausgeweitet. Das ist eine ausreichende Zeit, um zu schauen, ob diese Person ins Unternehmen passt und auch ihre Arbeitsleistung erbringen kann."

Braucht noch mehr

Auch für Casey ist der EAA nur eine Maßnahme, der weitere folgen müssen. "Wir können uns nicht zurücklehnen und denken: ‚Das war’s‘, denn die gesetzlichen Vorgaben reichen einfach nicht aus. Derzeit haben weniger als zehn Prozent unserer Valuable-500-Unternehmen einen Chief Diversity Officer, der an die Vorstandsebene berichtet." Die Integration von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz ist für Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen wichtig. Ein Bericht der kanadischen Return on Disability Group zeige, dass zwar 90 Prozent der Unternehmen behaupten, Vielfalt sei ihnen wichtig, aber nur vier Prozent haben Arbeitsplatzrichtlinien, in denen das auch berücksichtigt wird. Sie appelliert an Unternehmen: "Arbeitgeber müssen eine Kultur fördern, in der sich Bewerber mit Behinderungen sicher fühlen, keine Angst vor Vorurteilen haben und für ihr Können anerkannt werden. Firmenchefs haben es in der Hand."

"Menschen mit Beeinträchtigung als Normalität zu sehen ist Schlüssel und Herausforderung zugleich", ergänzt Kowatsch. Hier sind Politik, Organisationen und Gesellschaft gleichermaßen gefordert. Und Casey ergänzt: "Inklusion ist für alle da, man kann sich Inklusion nicht aussuchen – entweder ganz oder gar nicht." (Gudrun Ostermann, 22.2.2023)