Günter Roth (59) und Michael Roselieb (60) haben beide Karrieren hinter sich – und jetzt eine neue Firma.

Foto: Regine Hendrich

"Sicher nicht." Michael Roselieb reagierte auf die neue Gründungsidee seines langjährigen Bekannten Günter Roth spontan nicht gerade euphorisch. An Risikoaversion in Sachen Unternehmertum lag es nicht. Roselieb hatte eine Filmfirma und ein Tonstudio, bevor er sich mit den Früchten seines wirtschaftlichen Erfolgs zu einer landwirtschaftlichen Ausbildung entschloss, ein Grundstück im südlichen Burgenland erwarb und dort nun Obstbau betreibt und Schafe hält. An Kraft und Tatendrang mangelte es auch nicht, aber: Ein Plastikteil für Werbung im Supermarkt, das klang "eher unsexy", sagt Roselieb.

Diese Perspektive auf das Plastikteil hat sich rasch gedreht und wurde im Juni 2021 zum gemeinsamen Unternehmen Marty Media. Der gelernte Industriedesigner Günter Roth, viele Jahre bekanntes Gesicht in der Werbeszene (CEO der Aha Group), hatte seinen Co-Geschäftsführer – mittlerweile enthusiastisch – an Bord. Und mit Ex-Finanzmanager und nunmehrigem Business-Angel Christoph Gelbmann auch einen großen Investor.

Das alte Flugblatt führt zur neuen Idee

Der Hintergrund der Gründungsidee: Ikea hatte seinen Papierkatalog bereits eingestellt. Der Otto-Versand ebenso. Im Handel wurden die aufwendigen, teuren Postwurfsendungen bereits diskutiert. Erst ein Jahr später verkündete die deutsche Rewe-Gruppe, ab Sommer 2023 mit den Flugzetteln aufzuhören. 73.000 Tonnen Papier, 7000 Tonnen Kohlendioxid, 1,1 Millionen Liter Wasser und 380 Kilowattstunden Strom will der Konzern solcherart sparen – und der CO2-Neutralität näher kommen.

Es geht also um bessere Daten für Umweltreportings. Um die enorm gestiegenen Papierpreise und um eine Zukunftsausrichtung ins Digitale. Die Werbeaktivitäten der Händler bewegen sich zunehmend in Richtung digital, in Richtung Publisher-Plattformen. Die Entwicklungen gaben der Idee immer mehr Raum – welche Kommunikations- und Werbeformen können das Flugblatt ersetzen?

In Österreich scheint es langsamer zu verschwinden, die Lebensmittelketten zögern noch. Laut Erhebungen von Mindtake im Jänner des Jahres konsumieren noch mehr als zwei Drittel in Österreich Flugblätter, und Rabattaktionen sind im Lebensmittelhandel für 85 Prozent wichtig. Aber: Je jünger, desto häufiger wird online eingekauft, analysiert wiederum der Online-Vermarkterkreis, die Interessenvertretung der Online-Direktvermarkter. Dennoch: 89 Prozent kaufen ihre Lebensmittel stationär.

Wie schnell auch immer das Werbepapier des Lebensmittelhandels verschwindet, der von Lieferanten eingehobene Werbekostenzuschuss ist ein wichtiger, millionenschwerer Budgetposten der Händler und will zuungunsten des Flugblattes neu verteilt werden. Wie das gelingen kann, daran wird gerade gebastelt, es wird probiert und experimentiert.

Genau hier kommt Marty Media ins Spiel. Ein Plastikteil als Schiebegriff am Einkaufswagen dient als Display, das Aktionen, Angebote, maßgeschneiderte Produktempfehlungen während des Einkaufs ausspielt. Stromkosten für das Laden pro Jahr? Ein Euro, sagt Roth. Eigentlich seien diesem Teil nur wenige Produktgrenzen gesetzt. Der Einkaufswagen wird zum neuen Medienkanal. Und beispielsweise zum Medium gegen Lebensmittelverschwendung. Marty hat die Hardware und die Software und will einen Anteil am Werbekostenzuschuss. So weit das Geschäftsmodell.

Test bei Spar in Neunkirchen

Ausprobiert wird Marty gerade bei zwei Händlern. Einer davon ist Hans Steinberger, Geschäftsführer zweier Eurospar-Märkte in Neunkirchen. Seit Sommer des Vorjahres hat er 30 seiner 100 Einkaufswagerln mit Marty ausgerüstet. Und wie läuft es? "Es gibt Resonanz", sagt Steinberger. Ungelöst sei die Frage: Wie bringe ich Leute in einem Land mit sehr hoher Dichte an Lebensmittelhändlern in den Markt? Aber vor Ort hält er nach einigen Testmonaten Marty für eine künftige neue Lösung.

Wann wird für die beiden Gründer um die 60 das Geschäftsmodell ein echter Erfolg? Dafür brauchen sie zumindest eine Kette mit flächendeckender Marty-Ausrüstung. Das bedeute Ausrüstung für die Hälfte der verfügbaren Einkaufswagerln. Nicht jede und jeder möge das Display am Wagen, sagt auch Steinberger. Auf jedem Wagerl ergibt es auch für ihn keinen Sinn. Aktuell sind beide Geschäftsführer in Vermarktungsangelegenheiten unterwegs. "Enormes Potenzial" lautet der Slogan. (Karin Bauer, 7.3.2023)