Oktopoden sind fremdartige Lebewesen mit verblüffender Intelligenz. Den Gebrauch von Werkzeugen oder das blitzschnelle Zählen von Gegenständen kennt man eigentlich von wenigen hochentwickelten Wirbeltieren wie Affen oder Vögeln. Doch sind Vögel und Affen vergleichsweise nah mit dem Menschen verwandt, im Gegensatz zu Oktopoden, deren Linie sich bereits vor etwa 550 Millionen Jahren von jener der Wirbeltiere abspaltete. Damals galt die Fähigkeit, auf ein Ziel zuzuschwimmen, bereits als intellektuelle Großleistung.

Auch das Auge hatte die Natur damals noch nicht erfunden. Es entwickelte sich später bei Weich- und Wirbeltieren unabhängig voneinander. Oktopoden sind ein gutes Beispiel für einen Effekt namens konvergenter Evolution, bei der bestimmte nützliche Konzepte mehrmals unabhängig voneinander entstanden.

Eine Gruppe mit Forschenden aus dem deutschen Göttingen, Neapel, Zürich, Okinawa und Kiew hat nun versucht, dem Phänomen der Weichtierintelligenz auf die Spur zu kommen. Sie hat erstmals die Gehirnströme von Oktopoden gemessen und die Ergebnisse den Experiments in der Fachzeitschrift "Current Biology" publiziert.

Oktopoden sind die intelligentesten Weichtiere. Ihr Hirn hat etwa so viele Nervenzellen wie das eines Hundes, entwickelte sich aber vollkommen eigenständig.
Foto: Tamar Gutnick, Michael Kuba

Beim Menschen misst man Gehirnströme mithilfe von am Kopf aufgesetzten Elektroden, die dort Spannungsunterschiede registrieren und ein "Elektronenzephalogramm", kurz EEG, aufzeichnen. Die an der Kopfhaut messbaren Spannungsschwankungen stammen von der elektrischen Aktivität der Gehirnzellen, die manchmal im Akkord aktiviert werden und so bis nach außen hin elektrische Aktivität verursachen, die bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse auf mentale Vorgänge erlaubt.

Sensoren für Vögel

Bei Tieren sind derartige Untersuchungen schwieriger, wurden aber beispielsweise an Vögeln mithilfe spezieller Sensoren bereits durchgeführt. Bei Oktopoden gibt es zusätzliche Herausforderungen: Sie besitzen neben ihren drei Herzen ganze neun Gehirne. Acht davon stehen mit den Armen in Verbindung, hinzu kommt ein zentrales, größeres Gehirn, auf das sich die Forschenden konzentrierten. Dem Team gelang es, mehreren Oktopoden Sensoren für Vögel zu implantieren, um ihre Hirnströme aufzuzeichnen, während sie sich frei bewegen.

Dazu mussten die Komponenten, ein Sensor und ein Datenspeicher, adaptiert und in flexible Kunststoffhüllen verpackt werden, um das Tier nicht zu behindern. Für die Forschungen setzte das Team auf drei Große Blaue Kraken mit der Fachbezeichnung Octopus Cyanea. Sie besitzen einen natürlichen Hohlraum im Inneren des Körpers, der den Datenspeicher aufnahm. Der Sensor wurde mitten zwischen die Gehirnlappen des Krakens platziert. "So konnten wir Hirnströme und Verhalten synchron aufzeichnen. Das ist ein entscheidender Schritt für die Erforschung des Krakenhirns", erklärt Michael Kuba, der an der Universität Neapel forscht.

Es stellte sich daraufhin die Frage, ob Parallelen zu Wirbeltieren feststellbar waren. Bei Säugetieren und den zu ihnen gehörenden Menschen erzeugt der im Temporallappen gelegene Hippocampus im Schlaf charakteristische EEG-Muster, die mit der Festigung von Erinnerungen in Verbindung gebracht wurden: langsame Spannungsausschläge mit überlagerten hochfrequenten Schwingungen, sogenannten sharp waves with ripples.

Die Gehirnwellen eines der schlafenden Versuchstiere.
Science X: Phys.org, Medical Xpress, Tech Xplore

Zwölf Stunden dauerten die Aufzeichnungen. Dabei wurde das Team tatsächlich fündig. Einige Signaturen ähnelten jenen, die aus den Gehirnen vieler anderer Tiere bekannt waren. "Im Kraken beobachteten wir Ausschläge, die in Größe und Zeitverlauf den Sharp Waves ähneln, allerdings ohne die Ripples", erläutert Andreas Neef vom Göttingen-Campus-Institut für Dynamik Biologischer Netzwerke. Doch die Messung förderte auch langsame Schwingungen mit einer Frequenz von zwei Hertz zutage, die keinem bekannten Aktivitätsmuster ähneln.

Wie entwickelte sich Intelligenz?

"Auf der Suche nach grundlegenden Bedingungen für Intelligenz und Kognition sind Kraken genau die richtigen Tiere für den Vergleich mit Wirbeltieren. Dabei ist es wichtig, Hirnaktivität in Beziehung zum Verhalten zu setzen", sagt Tamar Gutnick, der ebenfalls an der Universität Neapel forscht. Doch das wird eine Aufgabe für künftige Forschung, denn in der nun durchgeführten Studie ließen sich keine Übereinstimmungen zwischen Verhalten und Gehirnströmen feststellen.

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Oktopoden werden gelegentlich als Orakel eingesetzt, um Fußballergebnisse vorherzusehen. Was der Oktopus darüber denkt, ist bislang nicht bekannt.
Foto: Roland Weihrauch / EPA / picturedesk.com

Die Bedeutung der Forschungen geht jedenfalls über das Verständnis der Intelligenz dieser faszinierenden Tiergruppe, der in den letzten Jahren dank der Oscar-gekrönten Dokumentation "Mein Lehrer, der Oktopus" erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wurde, hinaus. Es geht um die Frage, wie sich Intelligenz evolutionär entwickelt hat. Und gerade dank ihrer Fremdartigkeit sind Kraken die idealen Studienobjekte. (Reinhard Kleindl, 1.3.2023)