Die Cheopspyramide (im Hintergrund mit fehlender Spitze) ist das einzige noch erhaltene Weltwunder der Antike und war über 3.800 Jahre lang das höchste menschengemachte Bauwerk der Erde.
Foto: EPA/KHALED ELFIQI

Es war wohl ein kleiner Howard-Carter-Moment, als ein internationales Forschungsteam erstmals mit eigenen Augen (und Kamerahilfe) eine zwar vermutete, aber bis zuletzt unbewiesene Kammer in der Cheopspyramide von Gizeh erblickte: Die Gruppe nutze einen schmalen Spalt zwischen den Steinen, durch den ein Endoskop geschoben wurde. Dahinter tat sich ein erstaunlich großer Hohlraum auf, wie die Forschenden nun berichten.

Die Entdeckung bestätigt lange gehegte Vermutungen. Seit 2015 liefert das Projekt Scan Pyramids Hinweise auf Anomalien hinter den massiven Steinwänden des Pyramideninneren – Nahrung für Theorien über verborgene Gänge und unentdeckte Räume. Die nun erfolgte Bestätigung dieser Spekulationen ist unter anderem einem Wissenschafterteam der Technischen Universität München (TUM) zu verdanken, das seit 2019 an Scan Pyramids beteiligt ist.

Die neu entdeckte Kammer: Seit vermutlich 4.500 Jahren hat hier niemand mehr hereingeschaut.
Foto: TUM/ScanPyramids

Myonen, Radar und Ultraschall

Die Forschenden arbeiteten unter anderem mit der sogenannten Myonentomografie. Dabei macht man sich Elementarteilchen zunutze, die bei Wechselwirkung zwischen kosmischer Strahlung und der oberen Atmosphäre entstehen. Die Myonen haben den Vorteil, dass sie Gestein annähernd widerstandslos durchdringen. Von der Zahl der Myonen, die auf ihrer Bahn dennoch abgelenkt werden, kann man auf Dichteunterschiede im Aufbau der Pyramide schließen. Zur genaueren Untersuchung setzten die Wissenschafter aus München auch Methoden wie Radar und Ultraschall ein.

Obwohl die ägyptische Cheopspyramide als eines der am besten untersuchten Bauwerke der Welt gilt, ist sie offensichtlich noch immer für Überraschungen gut. Seit 4.500 Jahren thront die Große Pyramide auf dem Giseh-Plateau westlich von Kairo. Sie ist die älteste der drei Giseh-Pyramiden, das einzige noch erhaltene Weltwunder der Antike und hielt über 3.800 Jahre lang den Rekord als höchstes menschengemachtes Bauwerk der Erde.

Der Querschnitt durch die Cheopspyramide zeigt rechts die Lage der neu entdeckten Struktur oberhalb des eigentlichen Pyramideneingangs. Über der Großen Galerie lassen frühere Scans ebenfalls auf einen großen Hohlraum hoffen.
Illustr.: ScanPyramids

Bis zu neun Meter lang

Der massive Bau, für den über sechs Millionen Tonnen Gestein aufeinandergetürmt wurden, macht es Forschern bis heute schwer, sich ein vollständiges Bild vom Inneren der Cheopspyramide zu machen. Bekannt war bisher, dass die heute 138 Meter hohe Pyramide drei Hauptkammern und zahlreiche Gänge enthält. Die sogenannte Große Galerie ist eine dieser drei Kammern und stellt mit einer Länge von 46 Metern und einer Raumhöhe von über acht Metern die größte bekannte Struktur dar. Scans aus dem Jahr 2017 fanden mithilfe der Myonentomografie den Schatten eines vielleicht 30 Meter langen Raumes über der Großen Galerie – ein Hinweis auf weitere unentdeckte Räumlichkeiten.

Die nun entdeckte Kammer liegt gut 20 Meter tiefer und nahe der nördlichen Außenseite oberhalb des ursprünglichen Eingangs der Pyramide, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Sie ist zwar deutlich kleiner als eine der Großen Kammern, überschreitet aber die ursprünglich vermutete Größe von fünf Meter Länge deutlich, sagte das Team um Christian Grosse von der TUM. Die Radar- und Ultraschallmessungen und vor allem die endoskopische Beobachtungen würden sogar auf einen neun Meter langen und über zwei Meter hohen Korridor hindeuten, wie das ägyptische Ministerium für Altertümer bei einer Pressekonferenz berichtet.

Die Illustrationen zeigen die Lage des Raumes oberhalb des ursprünglichen Zugangs zur Pyramide.
Illustr.: EPA/EGYPTIAN MINISTRY OF TOURISM AND ANTIQUITIES

Seit 4.500 Jahren ungesehen

Für die endoskopischen Blicke in die Kammer nutzte das Team einer Lücke zwischen den Steinen des Chevrons, einer massiven Steinkonstruktion innerhalb der Pyramide. Durch den Spalt konnte es ein dünnes Rohr in die Kammer führen, das den Forschenden als Führung für ihre Kameralinse diente.

Die Endoskopbilder bestätigten schließlich auch die Existenz des Raums. "Einen Hohlraum in einer Pyramide zu entdecken ist schon etwas Besonderes. Aber dass diese Kammer groß genug ist, um mehrere Menschen aufzunehmen, das macht es noch viel bedeutender", sagte Grosse.

Eine Farbaufnahme in geringerer Auflösung. Das Team vermutet, dass der Raum mehr als fünf Meter lang ist.
Foto: Reuters/THE EGYPTIAN MINISTRY OF ANTIQUITY

Was liegt dahinter?

Im Inneren des Raumes sind keine Fußspuren oder ähnliche Hinweise auf menschliche Aktivitäten zu erkennen. Die Forschungsgruppe vermutet daher, dass diesen Raum seit der Errichtung der Cheopspyramide vor 4.500 Jahren kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen hat.

Möglicherweise handelt es sich um einen unvollendeten Korridor, der dazu diente, das Gewicht der Pyramide vom fast sieben Meter tiefer liegenden Haupteingang oder von einer anderen, noch unentdeckten Kammer fortzuleiten, vermuten die Forschenden. Ob es hinter der Rückwand des Raumes weitere Dinge zu entdecken gibt, sollen künftige Untersuchungen enträtseln. (tberg, red, 3.2.2023)