Laut dem im August 2021 veröffentlichten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC stieg die Meeresoberfläche zwischen 1901 und 2018 weltweit im Schnitt um 20 Zentimeter an. Bis Anfang der 1970er-Jahre bedeutete dies einen Zuwachs von etwa 1,3 Millimeter pro Jahr. 2018 waren es dagegen jährlich bereits 3,7 Millimeter, und die Geschwindigkeit nimmt weiter zu. Selbst in optimistischen Szenarien rechnen Forschende bis 2100 mit einem zusätzlichen Anstieg von 28 bis 55 Zentimeter im Vergleich zu den Jahren 1995 bis 2014.

Wohlgemerkt, dies sind weltweite Durchschnittszahlen. Regional wird sich der Meeresspiegel noch wesentlich dramatischer verändern. Für den Atlantik rund um Europa etwa prognostizierte eine Studie ein Plus von rund einem Meter bis zur Jahrhundertwende gegenüber vorindustriellen Werten. Vielleicht noch schlimmer dürfte es den Südosten der USA treffen, wie eine aktuelle Untersuchung nun vermuten lässt.

Hochhäuser am Sunny Isles Beach, zwölf Kilometer nordöstlich von Miami, Florida. Der Süden des Sunshine State zählt zu den vom Meeresspiegelanstieg besonders gefährdeten Regionen der USA.
Foto: Getty Images/AFP/Joe Raedle

So schnell wie nie zuvor

Messungen der vergangenen Jahrzehnte zeigten, dass sich der Meeresanstieg an der Südost- und Golfküsten der Vereinigten Staaten in den letzten zwölf Jahren rapide beschleunigt hat und mittlerweile rekordverdächtige Werte erreicht. Laut den im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichten Zahlen war das Meeresniveau seit 2010 jedes Jahr um mehr als einen Zentimeter angestiegen.

Das Team um Sönke Dangendorf von der Tulane University führen die Beschleunigung auf die sich gegenseitig verstärkenden Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels und der natürlichen Klimavariabilität zurück. "Diese enormen Raten sind zumindest für das 20. Jahrhundert beispiellos und liegen dreimal höher als der globale Durchschnitt im gleichen Zeitraum", sagte Dangendorf. Warum der Meeresspiegel an manchen Orten stärker steigt als an anderen, erklärt Dangendorf im Online-Magazin "Nautilus".

Viele Faktoren

Für ihren Report haben die Forschenden Feld- und Satellitenmessungen miteinander kombiniert und auf dieser Grundlage versucht, jene Faktoren herauszuarbeiten, die zur Beschleunigung beigetragen haben. "Wir untersuchten systematisch die verschiedenen Einflussgrößen wie vertikale Landbewegung, Eismassenverlust und Luftdruck. Aber keine von ihnen konnte allein die jüngste Beschleunigung hinreichend erklären", sagte Noah Hendricks, Koautor von der Old Dominion University in Norfolk, Virginia.

So schnell stieg der Meeresspiegel in der Region noch nie: Um mehr als einen Zentimeter kletterte er zwischen 2010 und 2022 pro Jahr nach oben.
Grafik: Nature Communications/ Dangendorf et al.

Stattdessen stellte das Team fest, dass die Beschleunigung des Meeresanstiegs von den Küsten des Golfs von Mexiko bis zum Cape Hatteras in North Carolina stattfand und im Nordatlantik ebenso eine Rolle spielt wie in der Karibik. Das würde dafür sprechen, dass Veränderungen in der Dichte und Zirkulation des Ozeansfür das Phänomen verantwortlich sind. In den letzten zwölf Jahren hat sich der sogenannte subtropische Wirbel in dieser Region vor allem aufgrund veränderter Windmuster und der anhaltenden Erwärmung vergrößert. Das bedeutet auch, dass die wärmeren Wassermassen mehr Platz brauchen und sich auch nach oben hin ausdehnen, so die Forschenden.

Rückkehr zu gemäßigteren Werten

Die gute Nachricht ist, dass diese hohen Anstiegsraten auch wieder etwas zurückgehen. Wie die Gruppe schreibt, wird die mehrere Jahre andauernde, unglückliche Überlagerung von klimawandelbedingten Entwicklungen und Spitzen der wetterbedingten Variabilität wieder nachlassen und die Beschleunigung des Meeresanstiegs zu den gemäßigteren Werten früherer Jahre zurückkehren – zu jenen Werten also, die von den Klimamodellen vorhergesagt werden.

"Dies ist jedoch kein Grund zur Entwarnung", meinte Koautor Torbjörn Törnqvist (Tulane University). Die Beschleunigung sei zwar vergleichsweise kurzlebig, könnte aber weitreichende Folgen in Gebieten der USA haben, deren Feuchtgebiete, Mangroven und Küstenlinien ohnehin schon äußerst verwundbar sind und in deren Siedlungsgebieten mehrere Millionen Menschen leben. (tberg, 11.4.2023)