Bilder der Verhaftung wurden unter anderem auf CNN ausgestrahlt.

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Washington – Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung brisanter US-Geheimdienstinformationen im Internet hat die US-Bundespolizei FBI am Donnerstag im Bundesstaat Massachusetts einen Verdächtigen festgenommen. Dabei handelt es sich um den 21-jährigen Militärmitarbeiter Jack Teixeira. Er ist Mitglied der Nationalgarde. Das bestätigte US-Justizminister Merrick Garland abends bei einer Pressekonferenz in Washington. Freitagmittag (Ortszeit) erschien Teixeira erstmals vor Gericht.

Der Zugriff sei "im Zusammenhang mit einer Untersuchung zur mutmaßlichen unbefugten Entnahme, Aufbewahrung und Weitergabe von geheimen Informationen zur Landesverteidigung" erfolgt. Laut "New York Times" droht dem Verdächtigen eine Anklage nach dem Spionagegesetz. Jedes einzelne Dokument könnte dabei eine eigene Anklage bedeuten. Pro Anklagepunkt könnten ihm wiederum bis zu zehn Jahre Haft bevorstehen. Am Freitag soll der mutmaßliche "Maulwurf" erstmals vor Gericht erscheinen.

Die Festnahme des 21-Jährigen durch das FBI erfolgte am Donnerstag gegen 14.30 Uhr (Ortszeit) vor einem Wohnhaus in North Dighton, einem Ort zwischen Boston und Providence im Osten der USA. CNN zeigte Bilder davon im Fernsehen. Dort war zu sehen, wie schwerbewaffnete Einsatzkräfte einen jungen, schlanken Mann in T-Shirt und kurzer Hose abführten. Die Festnahme sei ohne Zwischenfälle erfolgt und die Polizei führe weiter Ermittlungen in dem Haus durch, teilte das FBI mit. Die Bundespolizei durchsuchte am Donnerstagabend mehrere Wohnsitze, an denen sich der Verdächtige aufgehalten haben soll.

US-Medien identifizierten "Maulwurf"

US-Medien hatten zuvor erste Details zu den Ermittlungen und über den mutmaßlichen Maulwurf in Umlauf gebracht. Der Verdächtige habe beim Nachrichtendienst der Massachusetts Air National Guard gearbeitet. Diese Luftwaffen-Einheiten gehören zur Nationalgarde des Bundesstaates und sind in Friedenszeiten dem jeweiligen Gouverneur unterstellt. Der 21-Jährige habe eine Chatgruppe auf der bei Videospielern beliebten Plattform Discord geleitet. Dort sollen die Dokumente zuerst verbreitet worden sein.

Die "Washington Post" hatte unter Berufung auf Mitglieder der Gruppe ausführlich über den jungen Mann berichtet, den manche "OG" genannt hätten. Später identifizierte die Zeitung ihn ebenfalls mit seinem bürgerlichen Namen. Er habe die brisanten Unterlagen zunächst als Abschriften mit der Chatgruppe geteilt und später dort Fotos von ausgedruckten Dokumenten hochgeladen. Die "New York Times" schrieb, Details der Inneneinrichtung aus dem Elternhaus des 21-Jährigen, die auf Familienfotos in sozialen Medien veröffentlicht worden seien, stimmten mit Details am Rand einiger Fotos der veröffentlichten Geheimdokumente überein.

Unterlagen weiter verbreitet

Mitte März soll der Verdächtige aufgehört haben, Dokumente mit der Chatgruppe zu teilen, schrieb die "Washington Post". Grund war demnach, dass jemand aus dem Kreis – dem auch Nutzer aus Russland und der Ukraine angehört haben sollen – Ende Februar Unterlagen in einer anderen Gruppe gepostet und somit die abgesprochene Geheimhaltung gebrochen hatte. Anfang April, kurz bevor die "New York Times" über das Leck berichtete, habe der Mann verzweifelt gewirkt. "Er sagte, es sei etwas passiert, und er bete zu Gott, dass dieses Ereignis nicht eintrete", zitierte die Zeitung ein minderjähriges Mitglied der Gruppe.

Über die Motivation gibt es noch kein klares Bild, auch der Justizminister nannte keine Details. Feindselig gegenüber der US-Regierung sei "OG" trotz seiner düsteren Ansichten nicht gewesen, schrieb die "Washington Post" unter Berufung auf Menschen aus seinem Umfeld. Er sei nach Überzeugung der Chatnutzer auch kein russischer oder ukrainischer Agent gewesen.

Bilder vom Polizeieinsatz in Massachusetts.
Foto: EPA/CJ GUNTHER

Brisante Informationen

Schon seit Wochen kursieren im Internet geheime Dokumente von US-Stellen – angeblich vom Nachrichtendienst CIA und vom Pentagon – zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Informationen zu Waffenlieferungen, Einschätzungen zum Kriegsgeschehen. Aber auch Details zu angeblichen Spähaktionen der USA gegen Partner. Laut BBC legten etwa einige Dokumente das Ausspähen von UN-Generalsekretär António Guterres nahe. Es sollen auch Gespräche mit seiner Stellvertreterin Amina Mohammed belauscht worden seien. Aus den Papieren gehe zudem hervor, dass die USA Guterres' Verhalten gegenüber Russland angesichts des Ukrainekriegs für zu weich halten.

"Die Notwendigkeit, die Unverletzlichkeit der UN-Kommunikation zu respektieren, gilt für alle Mitgliedsstaaten", sagte Guterres' Sprecher Stephane Dujarric in New York. Er bedauerte, dass private Gespräche "verzerrt und öffentlich" gemacht wurden.

US-Justizminister Merrick Garland bestätigte die Festnahme am Donnerstagabend.
Foto: AP Photo/Evan Vucci

Unklar ist, welche Dokumente und Informationen authentisch sind und was möglicherweise bearbeitet wurde. Für die US-Regierung ist die Sache höchst unangenehm. Es stellen sich Fragen dazu, wie verlässlich die Amerikaner sind, wie gut sie ihre Geheimnisse und die ihrer Partner schützen und wie loyal sie Verbündeten gegenüber sind.

US-Präsident Joe Biden hatte sich am Donnerstag bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Nach seinem Wissen seien in den Unterlagen keine Echtzeit-Informationen enthalten, die große Konsequenzen hätten, sagte er am Rande eines Besuches in Irland, wo ihn die Causa einholte. Er sei nicht besorgt über das Datenleck an sich, aber darüber, dass es dazu gekommen sei. Laut CNN ist Biden über den Ermittlungsstand, so auch über die Festnahme, stets auf dem Laufenden gehalten worden.

US-Medien berichteten kurz vor Ostern erstmals über das Leck, ohne die Dokumente selbst zu veröffentlichen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erfuhr nach eigenen Angaben erst zu dem Zeitpunkt, etwa vor einer Woche, von dem Datenleck – obwohl das Material da schon wochenlang im Netz umherging.

Oberst Reisner: "Darauf können die Russen natürlich reagieren"

Warum das Datenleck erst so spät entdeckt wurde, erklärte Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer am Donnerstagabend in der "ZiB 2": "Wenn man nicht weiß, wo man nachschauen muss und kann, findet man diese Dinge nicht."

Aus militärischer Sicht seien in den Dokumenten "keine wesentlichen Neuheiten dabei, weil viele Dinge in Expertenkreisen bereits vermutet worden sind", sagt Reisner. Die Art des Leaks gebe jedoch Hinweise darauf, dass ein großer Anteil der Dokumente Originale seien und der Wahrheit entsprächen. Wenn man die Inhalte unter dieser Annahme genauer betrachte, könne man schon Ableitungen treffen, was eine Seite von der anderen wisse.

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer war am Donnerstagabend in der "ZiB 2":
ORF

Positiv sei zwar, dass es keine klaren Hinweise in den Dokumenten gebe, wann, wo und in welchem Umfang die ukrainische Frühjahrsoffensive starten soll. Jedoch sei die Info enthalten, dass die USA selbst an deren Erfolg zweifeln würden. Auch Infos über Waffensysteme seien enthalten. Reisner nennt als Beispiel "endphasengesteuerte Präzisionsbomben". Die USA hätten sich von deren Lieferung viel erhofft. Aus den Dokumenten gehe aber hervor, dass Russland es möglicherweise schaffe, deren GPS-Empfänger zu stören und sie damit in ihrer Effektivität einzuschränken.

Kriegsentscheidend könne der Datenleak dann werden, sollte man in den Dokumenten erkennen können, warum die Amerikaner in der Lage waren, russische Strategiezüge vorauszusehen. Reisner: "Darauf können die Russen natürlich reagieren und ihre Taktiken ändern. Das kann den Verlauf des Krieges möglicherweise nachhaltig beeinflussen." (APA, ag, 14.4.2023)