Am Ende könnten es ausgerechnet harmlose Fotos aus seinem Elternhaus sein, die das "Phantom vom Pentagon" nun für lange Zeit die Freiheit kosten: Weil Journalisten der New York Times auf seinen privaten Aufnahmen in den sozialen Medien Details einer Tischdecke erkannten, die auch auf den Bildern der nun berühmt gewordenen Dokumente am Rande sichtbar sind, klickten für den Mann, der sich im Internet "OG" (Kurzform von "Original Gangster", also etwa "Urgestein") nannte, am Donnerstagabend die Handschellen.

Eine Woche nachdem die ersten der inzwischen etwa 80 geleakten Dokumente in sozialen Medien zu kursieren begannen, war es den US-Behörden mithilfe der penibel recherchierenden Journalisten gelungen, die Schlinge um den mutmaßlichen Maulwurf immer enger zu ziehen. Am Donnerstag war schließlich die wahre Identität des selbsternannten Gangsters ans Licht gekommen: Hinter dem so kryptisch wie pubertär klingenden Tarnnamen verbirgt sich demnach Jack Teixeira, 21 Jahre alt, Soldat und bei der Luftwaffe der Nationalgarde von Massachusetts auf der idyllischen Halbinsel Cape Cod stationiert.

Martialische Bilder

TV-Bilder aus dem Hubschrauber über dem Örtchen Dighton bei Boston, die die Festnahme des mutmaßlichen Geheimnisverräters live in alle Welt ausstrahlten, zeigen den jungen Mann in roten Shorts, wie er von einer schwerbewaffneten FBI-Sondereinheit nahe seinem Elternhaus festgenommen wird.

Später veröffentlichten mehrere US-Medien ein weiteres Foto des Verdächtigen, das den schon zuvor geäußerten Verdacht, bei dem Maulwurf handle es sich um einen Uniformierten, erhärtete: Auf einem "Selfie" zeigt sich der jugendlich wirkende Mann in einer Air-Force-Uniform.

Die martialisch wirkenden Bilder seiner Verhaftung legen nahe, dass er sie schon bald gegen eine Gefängniskluft wird tauschen müssen. Neben einem drohenden Zivilprozess, in dem dem jungen Mann die unerlaubte Weitergabe von geheimen Regierungsdokumenten vorgeworfen werden könnte, dürfte sich auch die Militärjustiz für den enttarnten "Original Gangster" interessieren. Am Freitag wurde er in Boston einem Richter vorgeführt. Das US-Justizministerium hat postwendend die Untersuchungshaft beantragt.

Jack Teixeira in Uniform.
Foto: Social Media Website/via Reuters

Fiasko für die US-Behörden

Für das US-Verteidigungsministerium kommt das, was Teixeira nun vorgeworfen wird, einem Fiasko gleich. Die strenggeheimen US-Regierungsdokumente, die seit der Karwoche von einem Videospielforum aus nach und nach an die breite Öffentlichkeit gelangten, haben in Hauptstädten auf der ganzen Welt für Aufregung gesorgt – vor allem aber in Russland und in der Ukraine, schließlich wurde auch öffentlich, wie die USA die Situation im Krieg einschätzen. Doch auch die Sicherheitsvorkehrungen der US-Behörden dürften einmal mehr zur Debatte gestellt werden.

Ein Whistleblower dürfte "OG" alias Jack Teixeira aber nicht sein. Anders als etwa Chelsea Manning und Edward Snowden, die Missstände in der US-Armee und die Abhörpraxis der NSA aufgedeckt hatten, ging es dem gefallenen Nationalgardisten womöglich nicht um Aufklärung, sondern um Prahlerei – das behaupten zumindest jene Mitchatter auf der Plattform Discord, die in den vergangenen Tagen in Medieninterviews die Spur zu "OG" gelegt haben.

Prahlerei gegenüber Teenagern

Dieser habe die gestohlenen Regierungsunterlagen zwischen den in der kleinen, während der langen Tage der Pandemie entstandenen Teenager-Chatgruppe üblichen rassistischen Witzchen und nerdigen Memes gepostet, um damit anzugeben, heißt es dort. Man habe sich zudem darauf geeinigt, die Unterlagen nicht weiterzuverbreiten, weil dies US-Interessen schade, schreibt die Washington Post.

So wie die anderen etwa 30 Mitglieder von "Thug Shaker Central" habe sich "OG" ansonsten als gottesfürchtig gegeben – dass er ein Waffennarr ist, legt zudem ein Video nahe, das der Washington Post vorliegt und Teixeira beim Schießtraining zeigt. Seit seiner Verhaftung, die wohl auch deshalb von einem Spezialkommando durchgeführt wurde, werden immer mehr Details über mögliche Hintergründe des mutmaßlichen Maulwurfs bekannt. So soll er aus einer "patriotisch" gesinnten Familie aus Rhode Island kommen und seit 2019 bei der Luftwaffe der Nationalgarde von Massachusetts dienen – wie schon sein Stiefvater bei der örtlichen Aufklärungsabteilung.

Mit Kommunikationsleitungen betraut

Für einen Whistleblower – aber auch für einen Angeber – keine schlechte Position: Konkret war der begeisterte Chatter Teixeira nämlich für die Datenleitungen des Standorts verantwortlich – ausgerechnet. Dass er dort Zugriff auf vertrauliche Dokumente des Verteidigungsministeriums erlangte, scheint plausibel. Formell stand der Mann, der sich in der Teenager-Chatgruppe gerne als Anführer aufspielte, hingegen recht weit unten in der militärischen Hackordnung. Im vergangenen Sommer, so legt ein Facebook-Posting seiner Einheit nahe, wurde Teixeira zum Airman First Class befördert – dem drittniedrigsten Dienstrang.

Weil "OG" als Waffennarr gilt und man mit Widerstand rechnete, baute die Polizei vor der Verhaftung sogar Straßensperren auf.
Foto: EPA/CJ GUNTHER

Dass Jack Teixeira einmal eine Soldatenlaufbahn einschlagen würde, habe sich aber schon in Kindesjahren abgezeichnet, heißt es auf CNN. Dass sie so endet, wie es nun den Anschein hat, weniger. Seine Faszination für Waffen und alles Militärische, so erinnern sich ehemalige Mitschülerinnen und Mitschüler, habe aus dem Teenager einen Einzelgänger gemacht, der "nicht viele Freunde" hatte. Auch an rassistische Bemerkungen wollen sich nun einige erinnern. Vor allem aber habe sich der mutmaßliche Maulwurf schon zu Schulzeiten als US-amerikanischer Nationalist zu erkennen gegeben – was für viele der Befragten nicht so recht mit dem Bild des Verräters zusammenpasst, das nun von ihm gezeichnet wird.

Panik zum Schluss

Fest steht, dass sich Jack Teixeira alias "OG" lange in Sicherheit wiegen durfte. Monatelang passierte nichts, weil die Gruppe aus Teenagern dichthielt. Erst als – vermutlich – einer seiner Kumpanen die geleakten Dokumente weiterleitete und schließlich russische Telegram-Kanäle auf die heißen Eisen aus Washington aufmerksam wurden, geriet er in Panik. "Ich wollte nie so werden. Ich habe zu Gott gebetet, dass das nie passiert. Nur Gott kann bestimmen, was von jetzt an passiert", tippte er als letzte Nachricht vor seiner Verhaftung in den Chat, der ihm nun zum Verhängnis werden dürfte. "OG" wird jeden Beistand gebrauchen können. (Florian Niederndorfer, 14.4.2023)