Im Gastblog gibt Marianne Buchegger Einblick, warum es für Demenzerkrankte wichtig ist, am öffentlichen und sozialen Leben teilzuhaben.

Menschen sind auf soziale Interaktion angewiesen. Wir fühlen uns dann wohl und sicher, wenn die drei psychologischen Grundbedürfnisse Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit erfüllt sind. Fallen eines oder mehrere der Grundbedürfnisse weg, erleben wir uns nicht mehr als Teil der Gruppe oder der Gesellschaft – wir fühlen uns abhängig, inkompetent und einsam.

Der Fokus von Tageszentren liegt primär auf der psychosozialen Begleitung. Ziel ist es, so viele Sinne wie möglich anzusprechen und zu aktivieren.
Foto: Aktion Demenz, Miro Kuzmanovic

Abhängig, inkompetent, einsam – drei Gefühlszustände, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen sehr gut bekannt sind. Drei Gefühlszustände, die, zumindest teilweise, verändert werden können.

Von der Einsamkeit zur Teilhabe

Einsamkeit ist, ähnlich dem Schmerz, ein Warnsignal für den Körper und löst Stress aus. Dieser Stress hat zur Folge, dass das Stresshormon Cortisol im Gehirn ausgeschüttet wird und die nicht überlebensnotwendigen Systeme wie die Verdauung gedrosselt werden. Der US-amerikanische Neurowissenschafter John T. Cacioppo hat in seinen Studien zur Einsamkeit nachgewiesen, dass Einsamkeit direkten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns, die Widerstandsfähigkeit der Psyche sowie die Entzündungswerte im Körper und Gehirn nimmt und krank macht. Bereits bestehende Erkrankungen können durch Einsamkeit rascher voranschreiten und sich verschlechtern. Für Menschen mit Demenz kann Einsamkeit daher eine schnellere Entwicklung ihrer Erkrankung bedeuten.

Angebote, die die Einsamkeit verringern und soziale Kontakte ermöglichen, Kompetenzen und Ressourcen fördern und die Menschen in ihrer Autonomie unterstützen, können dieser Entwicklung entgegwirken. "Wir haben zum Ziel, dass Menschen mit Demenz am öffentlichen und sozialen Leben in Vorarlberg teilhaben. Koproduktive Milieus, in denen Betroffene, Angehörige, Expertinnen, Experten, Institutionen und Ehrenamtliche auch in neuer Weise zusammenwirken, sollen gefördert und gestärkt werden. Ein Beispiel dafür sind die Demenzcafés", erzählt Daniela Egger, Leiterin der Aktion Demenz.

"Gemeinsam mit dem Mobilen Hilfsdienst öffnet die Aktion Demenz in der Gemeinde Lustenau einen Raum, in dem alle Gäste sein dürfen, wie sie sind – fit und rüstig, leicht vergesslich oder zunehmend dement. Ob es eine Diagnose gibt oder nicht, spielt keine Rolle. Es geht um das Zusammensein, das Gemeinsamsein, Plaudern, Kaffeetrinken – ein Stück 'normales' Leben. Das Bedürfnis danach ist groß, wöchentlich kommen mehr als 35 Gäste. Ein zweites Café in Bregenz steht kurz vor der Eröffnung", erzählt Egger.

Kunstvermittlung zu Hause

Menschen sind soziale Wesen, wir leben gerne in der Gruppe und sind nur ungern allein. Durch eine Demenzdiagnose sind die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen aus der Gruppe der "normalen" Menschen ausgeschlossen, sie fühlen sich nicht mehr dazugehörig. Aus diesem nicht Dazugehören entwickelt sich rasch Einsamkeit, die im schlimmsten Fall zur Isolation führen kann.

Egger erzählt: "Die Lockdowns in der Corona-Pandemie haben die Isolation sehr verstärkt, betroffene Menschen und ihre Familien waren tatsächlich allein. Deshalb hat die Aktion Demenz während der Pandemie auch noch andere Angebote erstellt, beispielsweise die Musikkuriere. Ehrenamtliche Musikerinnen und Musiker bringen Livemusik ins Wohnzimmer, während der Lockdowns spielten sie im Garten oder auf dem Balkon. Auch das Kunsthaus Bregenz griff die Idee auf und schickt seither Kunstkuriere auf den Weg, um Menschen, die nicht mehr in eine Ausstellung gehen können, Kunstvermittlung nach Hause zu bringen."

Tagesstruktur um Sinne zu aktivieren

Ein weiterer wichtiger Punkt im Kampf gegen die Einsamkeit von Menschen mit demenzieller Erkrankung sind die Tagesstrukturen wie Tageszentren oder Tagesbetreuungen für Menschen mit Demenz. Der Fokus liegt in diesen Einrichtungen primär auf der psychosozialen Begleitung, in einem zweiten Schritt erst auf der Pflege. Ziel dieser Einrichtungen ist es, so viele Sinne wie möglich anzusprechen und zu aktivieren, Geist und Körper in Bewegung zu halten.

So wechseln sich zum Beispiel Gedächtnistrainings mit Yogagruppen, Kunsttherapie mit Gartengruppen, Gleichgewichts- und Hanteltraining mit tiergestützter Therapie ab – jeder Tagesgast soll sich "abgeholt" fühlen und etwas zum Angebot beitragen können. Der Mehrwert der Tagesstrukturen liegt im Wiedererlangen des Zugehörigkeitsgefühls zu einer Gruppe. Die Menschen erleben wieder soziale Teilhabe und Wirksamkeit. Durch das Einbinden in die Aktivitäten kann das eigene Wirken und dadurch der Selbstwert, die Selbstwirksamkeit erfahren werden.

Ergänzend zu den Tagesstrukturen gibt es österreichweit etliche Hauskrankenpflegeorganisationen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für viele Menschen im Laufe der Pflegebeziehung zu wichtigen Bezugspersonen werden.

In der Corona-Pandemie waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Hauskrankenpflegeorganisationen oftmals die einzigen Fenster zur Außenwelt und haben unendlich wichtige Arbeit gegen die Vereinsamung der ihnen anvertrauten Personen geleistet. Jede vertretene Berufsgruppe, von den (ehrenamtlichen) Besuchsdiensten über die mobilen Alltagsbegleiterinnen, die Heimhelfer und die Pflegeassistentinnen bis hin zu den Pflegefachassistenten und diplomierten Pflegepersonen, hat in diesen letzten Jahren ihren Beitrag gegen die Einsamkeit geleistet.

Demenzcafés, Tagesstrukturen und mobile Hauskrankenpflegedienste haben einen wichtigen positiven Doppeleffekt – zum einen werden Menschen mit Demenz ein Stück weit aus ihrer Einsamkeit geholt, sie erleben regelmäßig soziale Einbindung und Teilhabe, erfahren sich selbst wieder als wertvollen Teil der Gemeinschaft. Zum anderen erleben die An- und Zugehörigen in dieser Zeit Entlastung und haben Zeit, ihren Bedarfen und Bedürfnissen nachzugehen.

Der Kampf gegen Einsamkeit und die Vereinsamung von Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen ist ein Kampf für Prävention und für die Entlastung des Gesundheitssystems. Soziale Teilhabe, Wahrnehmung der Bedürfnisse und Erleben von Selbstwirksamkeit haben positive Effekte auf den gesamten Organismus und können, gemeinsam mit adäquater medizinischer Begleitung, das Leben von Menschen mit Demenz positiv verändern.

In ganz Österreich entstehen und entwickeln sich dem beschriebenen Demenzcafé ähnliche Angebote wie das Café Zeitreise der Caritas in Kärnten, Niederösterreich und Wien oder das Alzheimercafé in Niederösterreich. Demenzfreundliche Gemeinden, Städte und Orte entstehen und entwickeln sich. Der nachhaltige Aus- und Aufbau sowie eine gesicherte Finanzierung dieser Unterstützungs- und Beziehungsangebote müssen Ziel einer sorgenden und demenzfreundlichen Gesellschaft sein. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 19.4.2023)