Bekommen Sie Hunger? Mit Feigen, Bergkäse oder Salami: Was geht über ein Jausenbrot?

Foto: Julia Pühringer

Pilzaufstrich? Hauptsache, der Zitronenthymian wird nicht vergessen!

Foto: Julia Pühringer

Paradeiserbrot, Verhackert mit Zwiebel und Granatapfelkernen, Schinkenbrot mit Kren und feinen Gurkenscheiben oder auch einfach nur zehn Zentimeter Kabanossi, o du Kinderglück, auf einer ansonsten leeren Scheibe frischen Brotes: Ich habe offenbar eine neue kulinarische Konstante in meinem Leben, das stelle ich fest, als ich Beweisfotos für diesen Text hier am Handy suche. Fotos von der Familie – Jausenbrot –, Fotos vom Kind mit halblangen Haaren, mittellangen Haaren, langen Haaren, Jausenbrote immer wieder, Fotos von den weltbesten Freundinnen, dazwischen Brote, von der klapprigen Mama, Jausenbrote, Fotos von wichtigen Passagen in Büchern, schon wieder ein Jausenbrot, Fotos von Recherchen auf Hochhäusern und in Parks und in Museen, vom Freibad, von Urlauben (besuchen Sie doch mal diese legendäre Brutalismuskirche über Triest!), und schon wieder ein Brot, diesmal Parmaschinken mit ältlichem Schimmelkäse und Zitronenthymian.

Wie man sein Jausenbrot gestaltet, wird auch auf Insta gerne hergezeigt.

An den Tagen, an denen mir die Deadlines das Hirn verstellen und die sich im Kreis drehenden Gedanken keine sinnvoll aneinandergereihten Buchstaben für Texte mehr ausspucken wollen, kommt mittags der Hunger und damit die Ausrede für zehn Minuten hochkonzentrierte manuelle Tätigkeit in der Küche. Danach geht dann auch das mit den Buchstaben wieder.

Meditatives Schnippeln

Endlich bekommen sie ihren Auftritt: Das Brot von vor- oder vorvorvorgestern, die seit Monaten, wenn nicht Jahren im Kühlschrank wohnenden kleinen Glasln mit diversen Senfen, die man meinte, in schicken Lebensmittelabteilungen kaufen zu müssen, oder geschenkt bekam, die kleine Feigenmarmelade aus dem Urlaub, die Reste von altem Käse und Salami, die steinhart in ihrem Butterbrotpapier warten, und der letzte kleine ältliche Kirschparadeiser. Aber natürlich, ein bisschen Understatement ist sie auch, die Behauptung "was noch im Kühlschrank war" – die Wahrheit ist: Ein perfektes Jausenbrot beginnt zumeist am Marktstandl.

Ein österreichischer Klassiker.

Ich kenne mich auf dem Markt in der Nähe, in meinem Fall den Linzer Südbahnhofmarkt, mittlerweile perfekt aus. Weiß, wo ich kriege, was ich will, ohne dabei Geld zu bluten, Manchego, Bergkäse, die scharfe Salami oder die durchsichtig aufgeschnittene mit Fenchel, die manchmal direkt aus dem Papier verschwindet und den Weg bis aufs Brot gar nicht mehr erlebt, weil sie so herrlich ist. Das frische Gemüse vom Markt schmeckt tatsächlich deutlich besser, und außerdem kann man in Mengen wie "eine Handvoll" oder "ein paar" Sachen bestellen und der Frau vom Marktstandl dabei zuschauen, wie sie die Dinge in Papier wickelt und sie zärtlich nacheinander in die Tasche stapelt, damit auch ja nichts zerdrückt wird. Alles hält länger, weil es noch nicht zigmal in einem Supermarkt umgedreht wurde, sondern zumindest nur im Kühlschrank, ja, da muss ein alter Fenchel wohnen in der Gemüselade, das ist bei uns so Brauch, wissen Sie, und mich gelegentlich vorwurfsvoll anschauen.

Knäckebrot geht auch

Eine der wichtigsten Kulturtechniken im Erwachsenenleben mit regelmäßigen Einkäufen (manchmal kommt mir vor, ich habe als junge Person einfach nichts gegessen und nur geraucht, aber so ganz kann das nicht stimmen, und, bitte, machen Sie doch mal wieder eine Mammografie) beginnt mit der Beantwortung der ewigen Frage: Was tun mit altem Brot? Derweil man also im Kühlschrank kramt, wird das Brot getoastet, wenn es sonst schon zu zäh ist. Kein Brot mehr da? Knäckebrot geht auch, mit dem habe ich mich versöhnt, seitdem mich eine schwedische Freundin auf den Geschmack gebracht hat, es hält ewig, und irgendwann kommt immer sein großer Auftritt, dann, wenn wirklich gar nichts mehr da ist. Denn extra einkaufen gehen für das Jausenbrot ist gegen die Spielregeln.

Zitronenthymian auf alles

Ist noch Gemüse da? Drei Stück Paprika zu den letzten zwei Blättern Schinken? Noch Kren im Glasl für obendrauf? Zumindest ein halber alter Apfel, den man scheibchenweise auf den Käse legen kann, oder eine in Auflösung befindliche Birne? Fehlt noch was Süßes oder was Salziges auf dem Brot? Ein kleiner zusammengekratzter Löffel von der Preiselbeermarmelade der Malerfürstin, um ihn auf die Leberpastete draufzutun, samt Zitronenthymian (Zitronenthymian! Auf alles! Lebensmotto!)? Das selbstgemachte Verhackert vom Markt, das es dort nur vor zehn Uhr gibt, weil es danach die Pensionistinnen und Pensionisten mit Tagesfreizeit weggekauft haben? Kann man noch ein paar Kerne vom Granatapfel vom türkischen Geschäft gegenüber retten und drauftun? Das schon etwas weiche Radieschen in Scheiben auf den Schinken legen, weil ja, bei Jausenbroten zählt auch die Optik.

Ein fancy Restlessen mit Erdäpfeln und Perlzwiebeln.

Ein schönes Brot schmeckt besser. Okay, außer bei viel frischer Butter auf einer Scheibe knusprigem Brot, das kann man in freier Wildbahn sowieso nie fotografieren, denn es ist zu schnell weg. Oder Schnittlauchbrot! Nicht nur im legendären Kleinen Café auf dem Franziskanerplatz, sondern daheim, den frischen Schnittlauch in einen Hügel aus kleinen Ringerln schneiden, und das Butterbrot verkehrt herum draufdrücken, bis der Schnittlauch dran haftet, bisschen Salz: die Herrlichkeit. Daneben ein, zwei, drei Radieschen geviertelt in diesem albernen schwarz-weiß gepunkteten Schüsselchen wegen der Farbgebung, ja natürlich braucht der Mensch dringend so alberne Schüsselchen, auch wenn man sie regelmäßig verflucht, weil sie im Kastl fürchterlich im Weg sind.

Das geschmierte Glück

Ich zücke mein billiges gerilltes Jausenmesser – ich liebe es, damit schneide ich mir nicht in die Finger, wenn ich Paradeiser in dünne Scheiben schneide, weil ein Paradeiserbrot ohne blutende Finger ist das beste, auf Butter oder Krenaufstrich mit Salz, ein paar Tropfen Olivenöl und den letzten Blättchen vom Basilikum draufgezupft. Oder: Paradeiser dünn auf Schinken und Eiaufstrich. Nein, niemand kann in Würde ein Paradeiserbrot essen, aber es sieht mir hier eh niemand zu. Dazu ein Wunder aus Brie oder Camembert, den man vorsätzlich einen halben Tag außerhalb des Kühlschranks liegen lassen hat, damit er noch mehr zerrinnt, mit Quittengelee und Birne und Pfeffer, und habe ich schon gesagt, dass ohne Zitronenthymian gar nichts geht. Ein kurzer Disclaimer hier für Eltern, nur falls jemand fragt: Nein, das Kind äße solche Brote nie und nimmer und kostete sie auch nur mit Todesverachtung. Die bleiben allein für mich.

Was Leichtes: Entenleberpastete mit ungarischer Wurst (Kolbász) als Beilage.

Nach einer kurzen Meditation überm Brot gibt’s jedenfalls nicht nur ein Brett voller Jause, sondern dank einer Füllstandskontrolle des Kühlschranks auch eine Einkaufsliste für später. Einen freien Kopf. Und nachdem das schöne Werk in Sekundenschnelle "inhaliert" ist, kann es weitergehen mit dem Tagwerk. Weil nichts macht sich von selbst, aber immerhin: Das kleine Glück zwischendurch kann man sich selbst aufs Brot schmieren. (Julia Pühringer, 21.4.2023)