Wahlen stehen im Banne der steigenden Preise. Die Regierung gerät unter Druck, effiziente Strategien gegen die Teuerung vorzulegen. Beliebte Bühne dafür sind Gipfelgespräche. Als nächster Kandidat, der sie betreten wird, macht sich Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) bereit. Er will die Lebensmittelbranche zur Räson rufen. Debatten mit Österreichs mächtigsten Handelsketten sollen am 8. Mai klären, ob gepfefferte Preiserhöhungen sachlich gerechtfertigt sind.

Viele Lebensmittelpreise laufen aus dem Ruder. Schuld daran tragen unter anderem fixe kalkulierte Aufschläge.
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Wie groß sind die Chancen, dass Rauch Einblick in die intransparenten Kalkulationen der Supermärkte erhält? Wer sind die Preistreiber in der extrem verschachtelten und verzweigten Wertschöpfungskette hinter Lebensmitteln? Und an welchen Rädchen könnte Rauch drehen, um die aus dem Ruder laufenden Kosten für Konsumenten bei ihrem täglichen Einkauf zu bremsen?

Eines vorweg: Im Alleingang ohne Wirtschaftsministerium läuft für die Grünen gar nichts. Ihr Ruf nach einer Senkung der Mehrwertsteuer auf wichtige Grundnahrungsmittel etwa wird in der ÖVP auch zukünftig wenig Gehör finden. Zu schwer wiegt die Umsatzsteuer fürs Budget. Zu groß ist das Risiko, dass das finanzielle Zuckerl wirkungslos bleibt und das Auslaufen der Entlastung die Bevölkerung erst recht zeitversetzt wie ein Bumerang trifft.

Schuss nach hinten

Auch staatliche Preisdeckel halten oft weniger, als sie versprechen. Ungarn etwa wollte die starke Teuerung bekämpfen, indem Kosten für wichtige Lebensmittel wie Eier, Zucker, Mehl und Öle künstlich niedrig gehalten werden. Der Schuss jedoch ging nach hinten los.

Einzelhändler sahen sich dazu gezwungen, Produkte unter dem Einkaufspreis zu verkaufen. Um selbst nicht kräftig draufzuzahlen, erhöhten sie die Preise anderswo. Ungarn hat mittlerweile mit knapp 46 Prozent die höchste Lebensmittelinflation in der Europäischen Union. Explodiert sind die Preise vor allem für Milchprodukte und Backwaren.

Mehr Verzerrung als Senkung

Mehr zur Verzerrung als zur Senkung von Kosten beigetragen haben einst auch Österreichs staatliche Preisfestsetzungen. Viele Produzenten teilten unter dem Mantel der Versorgungssicherheit Märkte unter sich auf. Günstiger wurde es für ihre Kunden unter dem Strich erst infolge von mehr Wettbewerb nach Österreichs Beitritt zur EU.

Knapp 30 Jahre später fehlt es jedoch wiederum an Konkurrenz – diesmal weniger in der Industrie als im Handel. Drei Supermarktriesen teilen sich in Österreich fast 90 Prozent des Marktes. In Deutschland sind es zumindest fünf Konzerne.

Sozialminister Johannes Rauch vertraut auf Gipfelgespräche mit dem Handel. Am 8. Mai wird diskutiert.
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Es liegt in der Natur von Oligopolen, dass sie Preise weitgehend unabhängig von der Nachfrage bestimmen und damit hoch halten. Das aus Sicht vieler Ökonomen effizienteste Mittel, um die Inflation zu dämpfen, liegt daher in mehr Wettbewerb. Der Handel selbst erinnert im Gegenzug an die enorme Dichte an Verkaufsfläche hierzulande – die zweithöchste in Europa. Sein Tenor: Man beobachte einander mit Argusaugen und könne es sich gar nicht leisten, um ein paar Cent teurer als Supermärkte der Rivalen ums Eck zu sein.

Gleiche Margen, höhere Gewinne

Welche Hebel also bleiben gegen Teuerung – abseits der Eindämmung der Kosten für Energie sowie für Löhne und einer stärkeren Kontrolle durch die Wettbewerbsbehörde?

Marktforscher bringen die Tücken der Aufschlagskalkulation ins Spiel. Demnach schlägt jeder in der Wertschöpfungskette eine Marge auf die Fixkosten. Da sich Lebensmittel allein aufgrund kostspieligeren Stroms und Personals verteuerten, stiegen in Relation auch die absoluten Gewinne – selbst wenn sich die Margen an sich nicht erhöhten.

Multiplikatoreffekt

Der Multiplikatoreffekt ist gewaltig – vor allem in stark arbeitsteiligen Branchen rund um Lebensmittel, in denen jeder, von Herstellern von Saatgut und Düngemitteln über Bauern, Industrielle und Händler bis hin zum Fiskus, einen Teil vom Kuchen will, um neue Investitionen zu stemmen. Vom Ei bis zu Schlachtung und Verkauf durchläuft allein ein Huhn gut sechs Betriebe.

Ob der Staat mit gutem Beispiel vorangehen und im Dienste niedrigerer Preise lieber mit Deckungsbeiträgen kalkuliert soll, wodurch seine Steuereinnahmen nicht automatisch steigen, gehört abgewogen. Schließlich gehören auch die Sozialleistungen eines Landes finanziert.

Dass sich Unternehmen vom Sozialministerium ins Gewissen reden lassen, ihre Erträge zeitgleich nicht auszubauen, darf bezweifelt werden. Preise bildet abseits von Planwirtschaft immer noch der Markt.

Teurere Eigenmarken

Was Konsumentenschützer zuletzt alarmierte, waren vor allem erhebliche Aufschläge auf Eigenmarken der Supermärkte, die sich im Preiseinstiegsbereich bewegen. Der Handel agiert hier über Partner quasi selbst als Produzent. 70 bis 80 Prozent ihrer Kosten fallen in der Herstellung an, jene für Marketing und Verkauf haben wenig Gewicht. Teure Rohstoffe schlagen daher in Relation stärker auf den Verkaufspreis durch als bei Marken der Industrie.

Allerdings erlebten günstige Handelslabels einen veritablen Boom. Je größer der Absatz, desto günstiger wird die Produktion, was Mehrkosten vielfach wohl kompensiert.

Ein Blick auf die Gewinne der Lebensmittelbranche sollte Aufschluss darüber geben, wer Preise über die Gebühr angeheizt hat. Auf dem Servierteller präsentiert werden einem diese nicht. Supermärkte sprechen von deutlich gesunkenen Erträgen 2022. Wobei Vergleiche mit den beiden Corona-Jahren zuvor, in denen die Geschäfte vieler Vollsortimenter alle Rekorde sprengten, hinken.

Dass große internationale Produzenten, anders als der Handel, zweistellige Margen aufweisen, ist ebenso wenig klares Indiz dafür, dass sich die Industrie per se ein Körberlgeld holt. Viele der Markenriesen agieren weltweit. Schwächelt etwa Europa, fetten bessere Absätze auf anderen Kontinenten die Bilanzen auf.

Für die Suche nach Sündenböcken für die hohe Inflation werden Gipfelgespräche nicht reichen. (ANALYSE: Verena Kainrath, 27.4.2023)