Jochen Jung: Verleger und Autor.

Foto: Eva-Maria Repolusk

Ehe ich in der Früh die Augen aufschlage, um mein Vorhandensein zu überprüfen, melden sich ein paar Traumsplitter, denen ich im Halbdunkel meiner Schlafreste hinterhertaste, ehe ich sie als unenträtselbar beiseiteschiebe – und mit einem Hauch von Wehmut zu früherem Traummüll verdunsten lasse.

Und wie (auch) immer, jemand, der mich schon lange, wenn nicht schon sehr lange kennt (und, wie ich glaube, so heißt wie ich), übernimmt die Regie der nächsten Stunde, in der ich mich vom Badezimmer bis zur Küche umtreibe. Die nötigen Entscheidungen dieser Phase (Welches Hemd? Welche Marmelade?) treffen sich wie von selbst.

Sogar das Wetter, so "anders" es an diesem Morgen auch sein mag, zwingt nicht zu ungewohnten Entscheidungen und gibt sich mit Üblichem zufrieden. Leider gilt das zunächst auch für die Lektüre der Zeitungen. Ich sitze, wo ich immer sitze, und meistens blättere ich ohne besondere Erwartungen, und wenn dann doch etwas Überraschendes zu lesen ist, kann ja die Zeitung nichts dafür, die mir im Übrigen selbstlos die Fernsehprogramme anbietet.

In den Hausschuhen bleiben

Ehe ich dann die Schuhe wechsle, wird mir plötzlich klar, dass ich auch heute im Hausschuh bleiben muss. Da sitze ich jetzt auf der zweiten Treppenstufe und verfolge mit dem Straßenschuh in der Hand den Weg des Schnürsenkels von Loch zu Loch, wobei irgendjemand in mir fragt, warum der Senkel einmal von oben und das nächste Mal von unten in das anschließende Loch will.

Aber schon nach ein paar sinnenden Momenten lasse ich es gut sein und denke nicht weiter nach, ob anders wirklich besser wäre. Ähnlich Undeutliches schlendert durch meinen Kopf, als ich ihn hebe, auf die gegenüberstehende leere Wand starre und denke, dass das jetzt kein Denken ist, sondern eine Mischung von dürftigen Botschaften meiner Sinne, die wie mehrstimmige Musik mir das Durcheinander des Morgens schenkt und darauf wartet, dass sich daraus eine Melodie verselbstständigt.

Ich öffne das Fenster und höre das Trillern eines Vogels, der in dem Baum gegenüber von Ast zu Ast fliegt und jedes Mal in einer ähnlichen, aber doch neuen Situation hockt. Ich spüre hingegen, dass ich am Rand eines Geschehens bin, das auch ohne mich gut auskommt. (Jochen Jung, 18.4.2020)