Fischsauce

Es gibt wenig, was mehr kulinarische Freude bereitet als vergammelter Fisch. Gut eingesalzen und so lange stehen gelassen, bis er sich verflüssigt hat, macht er als Fischsauce so ziemlich alles besser, was mit ihm in Berührung kommt – sei es Gemüse, Fleisch oder frischer Fisch.

Fischsauce ist das Gewürz der Gewürze, der Unterschied zwischen fad und aufregend, zwischen eh okay und ganz vorzüglich, und selbst wenn ein Gericht bereits sehr gut ist, wird es mit Fischsauce fast immer noch besser. Mit ein bisschen Konditionierung lässt schon der selbstbewusste Geruch einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Hier eine kleine Huldigung und Antworten auf hoffentlich fast alle brennenden Fischsauce-Fragen – als Auftakt zu einer kleinen, sicher nicht ganz regelmäßigen Serie, die sich häufigen asiatischen Zutaten und ihrer Verwendung widmen soll.

Foto: Tobias Müller

Ganz einfach: Fische, meist kleine wie Sardinen, werden mit viel Salz gemischt – zwischen 10 und 30 Prozent des Fischgewichts – und dann über mehrere Monate bei Raumtemperatur gelagert, entweder in großen Stahltanks, Betonbottichen oder, in der edlen Variante, Holzfässern. Enzyme in den Fischen zersetzen mit der Zeit das Fleisch, das Salz sorgt dafür, dass schädliche Bakterien keine Chance haben, die Party zu stören.

Wenn die Fische ziemlich komplett aufgelöst sind, wird die Flüssigkeit abgepresst, eventuell aufgekocht, nachgewürzt und dann abgefüllt – fertig ist die Fischsauce. Der feste Rest, der übrig bleibt – quasi die Fischsaucenmaische –, kann ebenfalls als Würzmittel verwendet werden.

Während die Fischsauce reift und die Fische zerfallen, entstehen jede Menge Glutamat und andere Geschmacksverstärker – Fischsauce macht daher alles, was mit ihr in Berührung kommt, noch einmal viel, viel besser. Der Prozess ist ähnlich wie jenem, der beim Trocken Reifen von Steaks abläuft, nur dass er hier auf die Spitze und zu noch beeindruckenderen Ergebnissen getrieben wird.

Ziemlich genau das Gleiche passiert beim Sojasauce machen, bloß, dass hier das Ausgangsprotein nicht Fisch, sondern eben Soja ist, und dass statt fischeigenen Enzymen solche des Schimmelpilzes Aspergillus oryzae (besser bekannt als Koji) zum Einsatz kommen. Glaubt man Harold McGee (und ich glaube ihm fast alles), dann war Fischsauce wahrscheinlich einst das Vorbild für Sojasauce, und ist bis heute in jenen Teilen Asiens populär, in denen Soja einfach nicht so gut gedeiht. Aber das ist alles eine eigene Geschichte.

Nicht jede Fischsauce ist gleich. Wenn Sie sie nur zum Kochen verwenden wollen, dann ist es nicht so wichtig, welche Fischsauce Sie kaufen. Wenn Sie aber auch Dipsaucen und Salatdressings daraus machen, zahlt es sich schon aus, auf Qualität zu setzen.

Lesen Sie außerdem die Zutatenliste: im Idealfall enthält ihre Fischsauce nichts außer Fisch und Salz. Bei manchen asiatischen Fischsaucen wird nach der Pressung unterschieden, ähnlich wie beim Olivenöl (die erste ist die beste, die folgenden immer weniger gut), und nach Proteingehalt, also wie viel Fisch in der Fischsauce ist (je höher, desto besser).

Foto: Tobias Müller

Gute Fischsaucen kosten schon ein bisschen Geld, weil aber selbst Fischsauce-Junkies mit einem halben Liter etwa mehrere Monate auskommen, lohnt sich die Investion in Qualität.

  • Red Boat ist eine sehr gute asiatische Fischsauce. Sie ist schon lange im Internet und seit kurzem auch offline in Wien bei Yip Hint und bei Sussitz am Karmelitermarkt zu bekommen. (Um die 12 Euro der halbe Liter.)
  • Colatura di Alici aus dem süditalienischen Cetara ist die meiner Meinung nach beste Fischsauce, sowohl jene von Netuno als auch jene vom Konkurrenten Delfino. Sie kostet allerdings noch einmal deutlich mehr als Red Boat und ist ebenfalls nur im Spezialgeschäft erhältlich. (Um die 25 Euro der halbe Liter)
  • Die exzellente Traunsee-Fischsauce aus kleinen Salzkammergut-Fischen ist die Fischsauce der Wahl für den Nachhaltigkeits- und Qualiätsfanatiker, oder den Fischsauce-Connaisseur, der glaubt, schon alle Fischsaucen zu kennen. (Hier geht es nicht um den Preis)
  • Squid Brand: Wem das alles zu teuer und zu viel Schischi ist: Ich war jahrelang mit Squid Brand zum Kochen sehr glücklich. (Um die 3 Euro der halbe Liter)
Foto: Tobias Müller

Es gibt – oder besser: gab – zwei große Fischsaucen-Traditionen auf der Welt, die europäische und die südostasiatische. Im heutigen Südwesten Chinas und im Mekong-Delta dürften Menschen das erste Mal auf die Idee gekommen sein, Fische einzusalzen und vergären zu lassen – schon vor mehreren Jahrtausenden wurden dort zunächst Süßwasserfische zu Fischsauce verarbeitet.

Schnell breitete sich die Methode auch in den Küstengegenden aus, und bis heute hat Südostasien den weltweit größten Reichtum an vergorenen Fischprodukten – von Saucen wie Thailands Nam Plaa oder Malaysias Budu bis hin zu Shrimp- und Fischpasten, etwa Indonesiens Trassi. (Auch die Urform von Sushi war vergorener Fisch: Statt der kleinen Fische für die Fischsauce wurden größere Fische in Reis gepackt und dort gesäuert, der Reis nach dem Prozess ursprünglich entsorgt. Heute vergären die Japaner und die Chinesen lieber Soja statt Fisch.)

Ob die europäische Tradition aus Asien herübergekommen oder selbstständig entstanden ist, ist meines Wissens nicht geklärt. Sicher ist jedenfalls, dass Fischsauce das wichtigste Würzmittel der europäischen Antike war.

Im römischen "Apicius", dem ältesten überlieferten Kochbuch der westlichen Welt, gibt es fast kein salziges Gericht, das nicht mit ihr gewürzt wird, und dank Mosaiken wissen wir, dass einer der reichsten Männer Pompejis ein Fischsaucenhändler war. "Scaurus' beste Fischsauce auf Makrelenbasis" ist bis heute auf einem Mosaik zu lesen, das am Fußboden seines Hauses gefunden wurde.

Während die asiatische Tradition höchst lebendig ist, ist die europäische fast ausgestorben: im 16. Jahrhundert setzten sich statt vergorener Sauce ganze eingesalzene Fische durch, die Salzsardellen. Im kleinen italienischen Fischerdorf Cetara an der Amalfiküste, nicht weit von Pompeji, wird allerdings bis heute eine Fischsauce abgefüllt: die Colatura di Alici.

Der größte Unterschied zwischen heutigen europäischen und asiatischen Produkten ist, dass in Asien alles vom Fisch eingesalzen wird, während die meisten europäischen Sardellen ohne Kopf und Eingeweide ins Salz kommen. Für die Colatura di Alici werden Sardellen mit Salz in kleine Holzfässer geschichtet, mit einem Stein beschwert und zwischen zwölf und 18 Monaten reifen gelassen. Dann wird unten in das Fass ein Loch gebohrt – die abtropfende braune Flüssigkeit wird abgefüllt und für vergleichsweise ziemlich viel Geld verkauft.

Sie ist sehr salzig, also zunächst einmal vorsichtig dosieren.

Essen, das mit Fischsauce gewürzt wird, schmeckt nicht nach Fisch, sondern einfach besser. Bei Eintöpfen verschwindet sie mitunter ganz im Hintergrund. Wird sie am Anfang des Kochens zugegeben, werden Sie sie am Ende kaum mehr heraus schmecken, geben Sie sie erst ganz am Schluss zu, ist ihr Eigenschmack deutlicher zu erkennen.

Das wars.

Nein. Sie enthält so viel Salz, dass Bakterien eher keine Chance haben. Je älter sie wird, desto haltbarer sollte sie höchstens werden, weil die Flüssigkeit verdampft und die Salzkonzentration steigt. (Anmerkung: Ich nehme an, rein theoretisch könnte sie schimmeln. Allerdings ist mir in meinem bisherigen an Fischsaucen gar nicht so armen Leben noch nie eine verschimmelte Fischsauce untergekommen. Falls Ihre schimmelt, schmeißen Sie sie weg.)

Das heißt allerdings nicht, dass sie mit der Zeit besser wird. Wie fast alles oxidiert auch Fischsauce langsam. Das macht sie nicht gesundheitsschädlich, aber doch weniger genüsslich zu essen – irgendwann schmeckt sie einfach etwas schal und fad. Lagern Sie ihre einmal geöffnete Fischsauceflasche daher am besten kühl und dunkel. Sie müssen Sie nicht in den Kühlschrank stellen, aber es schadet nicht, falls Sie Platz haben (niedrige Temperatur verlangsamt Oxidationsprozesse), und brauchen Sie sie innerhalb eines halben Jahres auf. Sie ist zwar nach sechs Monaten immer noch bedenkenlos verwendbar, aber vielleicht nicht mehr ganz so gut.

Die Einsatzmöglichkeiten von Fischsauce sind fast unbegrenzt. Ich verwende sie oft genau so, wie ich Salz verwenden würde. Es gibt kaum einen Eintopf, kaum ein gebratenes Gemüse, dem ein Schuss Fischsauce nicht gut tun würde. Ein lieber Freund, dessen Familie keine Fischsauce mag, mischt sie stets in die Sauce seines Paprikahendls, das seine Familie über alles liebt.

Es wäre daher leichter, zu sagen, was man mit Fischsauce NICHT würzen kann, und auch in Gruß-aus-der-Küche-Rezepten kommt sie unproportional oft vor. Hier eine völlig unvollständige Liste an Verwendungsmöglichkeiten:

  • Zum Ablöschen der Pfanne nach dem Braten von Calamari/Fisch/Steak/Hühnerbrust/Tofu/Wasauchimmer – ergibt mit etwas Zitronensaft oder Wasser eine herrliche Pfannensauce
  • Zum Würzen jeglichen Eintopfs, dem beim ersten Kochen das Gewisse Etwas fehlt
  • Zum Würzen jeglichen gebratenen oder blanchierten Gemüses, das so für sich einfach noch ein bisserl fad schmeckt
  • Zum Würzen jeglicher Saucen oder Pastasaucen, die noch nicht ganz befriedigend schmecken
  • Als Pastasauce an und für sich
  • Statt Salz in einem Salatdressing
  • In jeglicher Speise mit Fisch und Meeresfrüchten als Geschmacksverstärker
  • Zum Marinieren von Fleisch (bzw. statt Salz in jeglicher Marinade oder Pökelmischung)
  • Als Dip (pur oder gewürzt) für Steaks oder anderes gebratenes Fleisch

Fischsaucefans aller Länder, bitte postet mehr!

Zum Schluss noch ein universaler Köstlichmacher, den ich mit leichten Abwandlungen fast jede Woche mache, für mich so etwas wie die Über-Fischsauce-Sauce. Sie ist perfekt, um damit Hühnerteile für den Grill vorzubereiten oder gebratenes Rindfleisch oder gegrillten Fisch damit zu begießen.

Die Mengenangaben sind nicht genau und richten sich nach Geschmack und nötige Menge.

  • 1 daumengroßes Stück Ingwer, geschält
  • 2-3 Thai Chilis
  • 3-4 Knoblauchzehen, geschält
  • 1-2 EL Zucker (oder Honig)
  • 3-4 EL Fischsauce
  • 5-6 Korianderstängel (Blätter für später aufheben)
  • Saft einer Zitrone oder von 2 Limetten
Foto: Tobias Müller

Zucker, Ingwer, Chili, Korianderstängel und Knoblauch in einem Mörser zu einer Paste mörsern. Mit Fischsauce und Zitrussaft mischen. Fleisch entweder über Nacht darin marinieren oder die Sauce als Dressing für Gegrilltes verwenden.

Ist besonders gut auf sehr reifen Fleischparadeisern und süßen Fisolen.

  • 2 El Fischsauce
  • 1-2 Thai Chili, fein gehackt
  • 1-2 TL Zucker
  • Saft einer Zitrone
  • 3-4 EL Olivenöl

Alles mischen und über die Tomaten gießen. 10 Minuten ziehen lassen und servieren.

Salat vom Grill – Das Wasserfallschwein

Szegediner Kimchifleisch

Thai Rindfleischsalat

Pasta con Colatura di Alici

Gebratener Reis

Geschmorter Lammbauch mit Zwetschken

(Anmerkung: Teile dieser Geschichte sind bereits hier erschienen.)