Bild nicht mehr verfügbar.

Befinden wir uns schon im spätfossilen Zeitalter? Für Förderstaaten hätte eine Abkehr von Öl und Gas enorme Auswirkungen.

Foto: Reuters/Nick Oxford

Es steht außer Zweifel: Öl war der Rohstoff des 20. Jahrhunderts. Wer es hatte, hatte es gut. Wer es brauchte, musste es teuer kaufen oder sich mit politischem Kalkül oder Kriegen erkämpfen. Bei internationaler Energiepolitik geht es im Wesentlichen um das Haben und Nichthaben von Öl und Gas. Ein nicht unwesentlicher Teil der Weltpolitik hing und hängt zumindest indirekt mit Öl zusammen. Das könnte bald vorbei sein.

Denn es könnte langweiliger werden, prognostiziert die International Renewable Energy Agency (Irena). Und langweilig ist – zumindest wenn es die Geopolitik betrifft – oft gut. Heißt: stabil und friedlich.

Denn der Abschied von fossilen Brennstoffen könnte nun doch schneller als erwartet stattfinden. Selbst die größten Förderer von Öl, Kohle und Gas sind von ihrem Produkt nicht mehr restlos überzeugt. Die ohnehin schon stark im Preis gefallenen Photovoltaik-Module könnten bis Mitte dieses Jahrzehnts noch einmal um 60 Prozent günstiger werden. Bis dahin sollen auch E-Autos günstiger sein als Verbrenner, prognostiziert Irena. Kohle, Öl und Gas aus der Erde zu holen könnte sich schon bald nicht mehr auszahlen. Ganz unabhängig von Klimagesetzen und CO2-Steuern.

Viele Gewinner, große Verlierer

Staaten wie Saudi-Arabien könnte diese Entwicklung noch teuer zu stehen kommen. Der weltgrößte Erdölexporteur finanziert seinen Staatshaushalt zu rund 90 Prozent aus dem Ölexport. Dass die Petrodollars irgendwann ausbleiben könnten, hat Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) schon 2016 erkannt. Mit seinem Projekt "Saudi Vision 2030" will er das Königreich unabhängiger vom Öl machen. Die Wirtschaft soll privater und effizienter werden, überbordende Subventionen werden gestrichen, was das Land auch attraktiver für Investoren machen soll.

Größtes Prestigeprojekt ist aber wohl die Planstadt Neom. Im Süden des Landes soll auf einer Fläche der Größe Belgiens soll eine nachhaltige, smarte Stadt entstehen. Auch ist es unter anderem der Angst vor dem Ölkollaps zu verdanken, dass in den letzten Jahren nicht weniger als eine soziale Revolution im Land stattgefunden hat: Frauen dürfen Auto fahren, religiöse Regeln wurden gelockert. Mit echter Freiheit hat das natürlich wenig zu tun, auch MbS geht rigoros gegen Andersdenkende vor. Ironischerweise drohen die Milliardenverluste aus dem infolge der Corona-Krise gefallenen Ölpreis das Zukunftsprojekt zu stoppen.

Auf einer Fläche, so groß wie Belgien, will Saudi-Arabien die Stadt für die Zeit nach dem Öl bauen.
Foto: Neom Newsroom

Dabei könnte der Ölpreiseinbruch nur ein Vorgeschmack sein. In Zukunft wird Energie lokaler produziert werden. Einerseits, weil sich Strom schwer in Tanker füllen und um die Welt schiffen lässt – andererseits, weil Energie aus Wind oder Sonne fast überall auf der Welt zur Verfügung steht. Auch Institutionen wie die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) würden in so einer postfossilen Welt an politischem Einfluss verlieren, so Irena.

Besonders profitieren werden laut der Agentur kleine Inselstaaten, die bisher aufwendig Kohle und Sprit für Generatoren importieren mussten und nun autark Strom produzieren können. Auch Europa, das derzeit stark von Energieimporten abhängig ist, könnte von seiner Expertise, etwa den vielen Patenten im Bereich der erneuerbaren Energien, profitieren.

Bhutan finanziert schon heute einen nicht unbeachtlichen Teil seines Staatshaushalts durch den Export von Strom aus Wasserkraft.
Foto: APA/AFP/LILLIAN SUWANRUMPHA

Russland zeigt wenig Ambition zur Klimawende

China wiederum, momentan noch größter CO2-Produzent, könnte seine Vorreiterrolle ausbauen: Schon jetzt fließen 45 Prozent aller Investitionen in grüne Energie nach China. Dort liegen auch viele der benötigten Rohmaterialien für Photovoltaik-Module und Batterien. Das trifft auch auf Länder wie Bolivien, die Mongolei oder die Demokratische Republik Kongo zu, woher 60 Prozent des weltweit verwendeten Kobalts stammen.

China weiß diesen Ressourcenreichtum für sich zu nutzen: Bereits 2008 begrenzte die Volksrepublik den Export von Seltenerdenmetallen ins Ausland. Wie gewichtig dieser Machtaspekt in Zukunft wird, hängt laut Irena auch davon ab, ob es gelingt, Bauteile auch ohne die gefragten Rohstoffe herzustellen und ein Recyclingsystem für diese zu etablieren.

Auch wenn erneuerbare Energiequellen weltweit weniger konzentriert sind als Öl- und Gasvorkommen, werden Exporte von grünem Strom für einzelne Saaten bedeutend sein. Bhutan profitiert etwa schon heute von seinem enormen Wasserkraftpotenzial. Stromexporte machen rund 27 Prozent des Staatshaushalts des Himalaja-Königreichs aus. Auch Norwegen und Brasilien verdienen durch Wasserkraftexporte in ihre Nachbarländer.

Schlecht sieht es hingegen für Russland aus, das maximal halbherzige Ambitionen im Klimaschutz zeigt. Zwar finanziert der Staat seinen Haushalt nur zu 40 Prozent durch fossile Exporte, die restliche Wirtschaft sei aber auf staatliche Beihilfen gestützt, die wiederum vom Öl und Gas abhängen, so ein Journal-Artikel von Energiepolitikexperten.

Erneuerbare könnten Konflikte abschwächen

Öl ist zwar laut Irena selten der Auslöser, aber häufig ein Verstärker von bewaffneten Konflikten. Diese könnten im Zeitalter erneuerbarer Energien abnehmen. Eine "Friedensdividende" könnte etwa am Persischen Golf, am Südchinesischen Meer oder im östlichen Mittelmeer zum Tragen kommen. Wobei Wasserkraft auch das Potenzial hat, neue Konflikte zwischen Anrainerstaaten zu erzeugen – etwa am Brahmaputra oder am Nil.

Staaten werden zwar weiterhin Energie handeln, so Irena, allerdings in kleinerem Maßstab und regionaler. Zudem hätten Staaten stets mehrere Handelspartner zur Verfügung. Die Unzuverlässigkeit von Sonne und Wind führe zudem dazu, dass der Strom in beide Richtungen fließt. Das mache einseitige Drohungen, die Versorgung abzuschneiden, unwahrscheinlicher. (Philip Pramer, 7.10.2020)