Strategie bis 2025: ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, hier bei den Medientagen 2020.

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ORF-Chef Alexander Wrabetz will mit seinem "Strategiekonzept" bis 2025 auch die Weichen für die Generals- und Direktorenbestellung 2021 im ORF-Stiftungsrat stellen. Am Montag ist die dritte Strategiesitzung mit den wichtigsten ORF-Aufsichtsräten angesetzt. Und gleich zwei – nicht allein weltanschaulich sehr unterschiedliche – Hoffnungsträger für 2021 sollen in der inzwischen auf Skype verlegten Sitzung referieren.

Wundertüte

Martin Radjaby-Rasset (44) soll den Stiftungsräten (wieder einmal) erklären, wie man ein junges, digitales Publikum erreicht. Radjaby hat (auch bürgerliche) Stiftungsräte schon mit einer Präsentation zum Thema im Herbst 2018 bei einer Klausur über eine ORF-Digitalstrategie nachhaltig beeindruckt.

Radjaby hat bei Ö3 begonnen, dort zuletzt 2011 die Programmgestaltung geleitet und von "Wecker" bis Ö3-"Wundertüte" verantwortet und entwickelt, etwa auch die große Freiwilligenmobilisierung "Team Österreich". Radjaby wechselte zu den Grünen und machte Wahlkampagnen, später auch jene für den amtierenden Präsidenten Alexander Van der Bellen. Dessen Wahlkampfmanager, Kommunikationsberater Lothar Lockl, ist heute Fraktionschef der Grünen im ORF-Stiftungsrat. Beim Präsidentschaftswahlkampf war Radjaby längst einer der Geschäftsführer der großen Kreativagentur Jung von Matt / Donau.

Radjaby gilt schon einige Jahre als grüne Hoffnung für das ORF-Management – allerdings hat er seit 2017 einen "Traumjob" (kolportierte Eigendefinition) bei der Erste Bank / Erste Group, deren Marken er managt und strategisches Marketing er leitet. Als ORF-Direktor, zum Beispiel für Digitales, müsste er zudem wohl nach ORF-Schema mit weniger Einkommen das Auslangen finden.

Digitales Großprojekt des ORF ist die Streamingplattform ORF-Player, das Schlüsselprojekt des ORF für 2021. Rechtzeitig vor der Generalswahl im August des kommenden Jahres sollen zumindest erste Module dieses Players starten.

Landesstudio

Die neun kleinen ORFs in den Bundesländern sind ein wichtiger Faktor in vielen ORF-Strategien.

  • Für das Unternehmen sind sie (recht aufwendiger) Ausweis regionaler Verankerung insbesondere mit dem ORF-Quotenriesen "Bundesland heute", der, alle neun Bundeslandausgaben zusammengenommen, praktisch täglich die höchsten Zuschauerzahlen aller ORF-Sendungen einfährt.
  • Für ORF-Generäle und solche, die das bleiben oder werden wollen, sind die neun Ländervertreter unter den 35 Stiftungsräten ein wesentlicher, schon mehrfach entscheidender Faktor. Wer dem Landeshauptmann oder der Landeshauptfrau den oder die passende/n Landesdirektor/in für ihre wichtigste regionale Medienbühne verspricht, kann womöglich auch über Fraktionsgrenzen hinweg mit den jeweiligen Länder-Stimmen bei der Generalswahl rechnen.

In die Strategiesitzung der ORF-Stiftungsräte am Montag ist Robert Ziegler (53) zum Thema Regionales geladen. Ziegler ist Chefredakteur des ORF-Landesstudios Niederösterreich und wird als Nachfolger von Langzeitlandesdirektor Norbert Gollinger hoch gehandelt – der wurde gerade 64. Wenn der Job nicht noch dringender 2021 für jemanden vom Küniglberg gebraucht wird.

Der langjährige Journalist und Belegschaftsvertreter im Landesstudio Niederösterreich wurde 2010 dort stellvertretender Chefredakteur. Ziegler war, auf einem Betriebsratsmandat im obersten ORF-Gremium, unter jenen sieben ÖVP-Stiftungsräten, die 2011 für die erste Wiederbestellung von Alexander Wrabetz stimmten; fünf weitere Bürgerliche enthielten sich damals, auch in Ermangelung eines richtigen ÖVP-Kandidaten. Der Betriebsrat aus dem Landesstudio wurde 2012 Bundesländer- und Landesstudio-Koordinator in der ORF-Generaldirektion für den gesamten ORF, eine in der Form neue Position. 2015 wurde Ziegler Chefredakteur in Niederösterreich.

Regionale Konflikte

Für die Strategiesitzung am Montag mit regionalem Fokus interessierten sich auch Stiftungsräte aus westlichen Bundesländern. Die ersten Strategierunden waren – grob – so besetzt wie eine Art Präsidialausschuss des Stiftungsrats (wie er auch schon lange durch ORF-Reformdebatten als operativer, entscheidungsbefugter Ableger des ORF-Aufsichtsgremiums geistert): Vorsitzender (Norbert Steger, FPÖ) und Stellvertreter (Franz Medwenitsch, ÖVP, zugleich Vorsitzender des Programmausschusses) sowie die Fraktionschefs, die im gesetzlich verpflichtet unabhängigen Stiftungsrat "Freundeskreisleiter" genannt werden.

Der Beteiligungswunsch von (bürgerlichen) Stiftungsräten aus westlichen Bundesländern soll – nach Auskunft mehrerer Mitglieder des ORF-Gremiums – auf wenig Begeisterung des bürgerlichen Freundeskreisleiters Thomas Zach gestoßen sein.

Inzwischen wurde die Strategiesitzung am Montag nach Auskunft mehrerer Stiftungsräte auf Skype verlegt.

ORF-Wahl 2021

  • Anfang August 2021 bestellt der ORF-Stiftungsrat mit einfacher Mehrheit nach geltendem ORF-Gesetz einen Generaldirektor oder eine Generaldirektorin ab 1. Jänner 2022.
  • Alexander Wrabetz wirkt derzeit, als wolle er noch ein drittes Mal für eine vierte Amtszeit wiederbestellt werden. Als mögliche bürgerliche Gegenkandidaten (oder künftige Direktoren/Direktorinnen) kursieren etwa: Roland Weißmann (Vizefinanzdirektor, TV-Finanzchef, ORF-Player-Chef), Alexander Hofer (ORF-2-Channelmanager), Lisa Totzauer (ORF-1-Channelmanagerin), Rainer Nowak (Herausgeber, Chefredakteur, Geschäftsführer "Die Presse"), Peter Schöber (ORF 3).
  • Fünf Jahre Amtszeit sieht das Gesetz für ORF-Generäle und -Direktoren derzeit vor. Eine ORF-Novelle mit einem (schon lange diskutierten, aber im Regierungsübereinkommen nicht erwähnten) Vorstand statt des Alleingeschäftsführers könnte diese nächste Amtszeit verkürzen.
  • Die Mehrheit im Stiftungsrat haben – erstmals seit Jahrzehnten – schon der ÖVP zugerechnete oder ÖVP-nahe Stiftungsräte alleine.
  • Anfang September 2021 bestellt der Stiftungsrat ebenfalls mit einfacher Mehrheit bis zu vier Zentraldirektoren oder -direktorinnen sowie neun Landesdirektor*innen. Zwei zentrale Direktorenjobs für Grüne könnten sich da ausgehen. In den Ländern sind schon eine Reihe von Direktorenjobs altersbedingt voraussichtlich nachzubesetzen.

Politik und Personal

Die führenden ORF-Stiftungsräte skypen am Montag im Nachhall eines seltenen Dokuments von sehr wörtlicher Personalpolitik im ORF: Am Donnerstag veröffentlichte wie berichtet "Profil" eine Chatnachricht von Stiftungsratschef Steger (FPÖ) von Anfang Mai 2019 an die damaligen freiheitlichen Funktionäre (und Regierungsmitglieder) Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer, Markus Tschank, Markus Braun (ORF-Stiftungsrat der FPÖ) und Johann Gudenus.

Steger fragte in der Nachricht: Wie soll er umgehen mit einer angeblich mit der ÖVP paktierten Besetzungsliste, die ihm der Kabinettschef des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) übermittelt hat? So sei demnach etwa ÖVP-Wunsch Gerhard Jelinek als Chefredakteur von ORF.at "bereits mit dem GD vereinbart", gemeint offenbar: mit ORF-Generaldirektor Wrabetz. Nach eineinhalb Jahren sollte eine "Kurier"-Redakteurin Jelinek laut diesem Deal als Chefredakteur ablösen; ein ehemaliger Mitarbeiter der FPÖ sollte Geschäftsführer von ORF On werden.

DER STANDARD bat Wrabetz und Steger vorige Woche um Stellungnahme dazu, bisher ohne Antwort.

Der Redakteursrat äußerte sich am Freitag "empört" über die "klaren Absprachen zwischen hohen politischen Parteifunktionären und dem Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrats".

Das verwirklichte Personalpaket

Die laut Steger vereinbarte oder ihm von Kickls Kabinettschef als vereinbart kommunizierte, aber noch ziemlich breit nachgefragte Besetzungsliste für ORF.at wurde nicht verwirklicht – wenige Tage nach der Nachricht wurde das Ibiza-Video mit Straches Zugang zu Medien und Politik veröffentlicht. ORF.at bekommt nun 2020 aber einen neuen, zweiten Chefredakteur, einen neuen Manager hat das Portal schon seit Sommer.

Ein erstes türkis-blaues ORF-Personalpaket war im Ibiza-Mai 2019 aber längst verwirklicht. Im Dezember 2017, mit der Regierungsbildung, listeten die Verhandler von ÖVP und FPÖ gemeinsam eine Reihe von neu zu besetzenden ORF-Funktionen mit den passenden Namen auf. Die Namen wurden darin nur mit Anfangs- und Endbuchstaben angeführt, sagen Menschen, die diese Liste gesehen haben wollen.

Im Frühjahr 2018 bestellte ORF-Chef Wrabetz nach vielen Jahren der Ankündigung solcher Funktionen denn doch Channelmanager und Channel-Chefredakteure für ORF 1 und ORF 2 – Elisabeth Totzauer und Wolfgang Geier beziehungsweise Alexander Hofer und Matthias Schrom.

In diesem Frühjahr 2018 wurde Christine Lackner (neu geschaffene) Public-Affairs-Stabsstellenleiterin in der Generaldirektion; die blaue Hoffnungsträgerin Kathrin Zierhut ab September 2018 schrittweise Personal- und Administrationschefin im ORF. In der Liste von Dezember 2017 soll für die Funktion noch Sabine Schuh gestanden sein, die in Stegers Rechtsanwaltskanzlei begonnen hat, sie zog ihre Bewerbung zurück. (fid, 19.10.2020)