Maren Beaufort und Josef Seethaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Etat-Fragebogen zu 2021

Josef Seethaler und Maren Beaufort (Österreichische Akademie der Wissenschaften).
Foto: Beaufort, Seethaler Illustration: Armin Karner

Was erwarten Sie von 2021 für Österreichs Medienbranche? Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche, was Ihre Befürchtungen? derStandard.at/Etat hat Medienmanagerinnen und -manager, Journalistinnen und Journalisten sowie Expertinnen und Experten aus Österreichs Medien- und Kommunikationsbranche und -wissenschaft mit einem Online-Fragebogen um ihre Beiträge gebeten.

Sie konnten wählen, ob sie namentlich antworten, wenn wir sie zitieren dürfen, oder anonym. Die namentlich beantworteten Fragebögen veröffentlichen wir nun in diesen Tagen.

"Plurale, unabhängige, kritische und glaubwürdige Medien fördern"

Hier die Prognosen von Maren Beaufort und Josef Seethaler vom Institute for Comparative Media and Communication Studies (CMC) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für 2021. Die erste Frage – "Was kommt 2021?" – haben sie ausgelassen – "mit Prognosen tun sich empirisch arbeitende Wissenschaftler schwer".

Und doch äußern Sie dann unerfreuliche Erwartungen:

"Steigender ökonomischer Druck, weil Google, Facebook & Co mehr als die von Harald Fidler für 2020 berechneten 40 Prozent der klassischen (Netto-)Werbeeinnahmen in Österreich lukrieren werden. Da lässt sich auch mit ein paar Millionen Digitalförderung (Volumen heuer: um die 20 Millionen) nicht wirklich gegensteuern. Wir befürchten, dass Lothar Lockl (ORF-Stiftungsrat, Grüne) recht hat: 'Der Medienstandort Österreich und der unabhängige Journalismus sind massiv in Gefahr. Manche Medien stehen mit dem Rücken zur Wand.'"

Was sollte 2021 (aus Ihrer Sicht auf die Medienbranche) geschehen? Bitte verraten Sie uns Ihre Hoffnungen (und warum Sie darauf hoffen).

"Es bräuchte ein radikales Umdenken weg von der Schrebergartenpolitik der österreichischen Medien und der Gießkannenpolitik der österreichischen Medienförderung hin zu einem klaren medienpolitischen Bekenntnis: Plurale, unabhängige, kritische und glaubwürdige Medien sind Teil unserer demokratischen Infrastruktur. Diese und nur diese zu fördern ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit.

Dafür vieles neu denken – zum Beispiel Kooperationen im digitalen Ökosystem: Login-Allianzen (auch unter Einbindung der Zivilgesellschaft), gemeinsame Datennutzung, Transferleistungen, Single Sign-ons, demokratietaugliche algorithmische Vorschlagssysteme et cetera, und vor allem: Kompetenzen stärken und, wo sinnvoll, bündeln statt be- und abgrenzen.

Und, zweites Beispiel: Förderung sozialer Vielfalt in Redaktionen und im Management von Medienunternehmen einschließlich der Förderung vielfaltssichernder partizipativer Medien und Formate. Wie wäre es mit einer international besetzten Medienenquete im Parlament, die mutige Visionen ohne selbstauferlegte Denkverbote diskutiert? Apropos Parlament: War da nicht einmal von einem Informationsfreiheitsgesetz die Rede?"

Was sollte 2021 (aus Ihrer Sicht auf die Medienbranche) nicht passieren? Bitte verraten Sie uns Ihre Befürchtungen (und warum Sie das befürchten).

"Die Fortschreibung der bisherigen Medienpolitik."

Wie werden sich Covid-19, die Pandemie und die Maßnahmen dagegen auf die Medienbranche auswirken – 2021 und, wenn Sie das erwarten, auch in den Jahren danach?

"Schwer zu sagen, weil von der nicht absehbaren Dauer der Krise abhängig. Die bisherigen Kompensations- und Abfederungsmechanismen der Regierung waren durchaus beachtlich, wenn man sich auch andere – zukunftsträchtigere – Verteilungskriterien gewünscht hätte (etwa vergleichbar den umweltpolitischen Auflagen bei der staatlichen Unterstützung für die französische Luftfahrt).

Aber je länger die Krise andauert, desto eher wird es zu Kostenanpassungen kommen, die zwangsläufig negative Effekte auf die Angebotsqualität haben werden (wobei hier mal nicht ausschließlich normativ-demokratiepolitisch gedacht ist)."

Handlungsbedarf für Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten

Weitere Prognosen der Medienwissenschafter Beaufort und Seethaler zu unseren Detailfragen im Überblick:

  • In der Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen werde Österreich seinen 18. Platz aus dem Vorjahr schon "allein infolge der Zulassungsbeschränkungen bei Pressekonferenzen der Regierung während der Corona-Krise bestenfalls halten können".
  • Zu Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten schreiben Beaufort und Seethaler im Etat-Fragebogen für 2021: "Das gesellschaftliche Klima ist auch bei uns rauer geworden, die Schwelle zur Gewaltbereitschaft gesunken, und kritische Medien und Journalistinnen und Journalisten sind öffentlichen Kampagnen ausgesetzt, nicht zuletzt durch eine ehemalige Regierungspartei – ohne dass, wie vom Committee of Ministers des Europarats empfohlen, spezifische rechtliche Rahmenbedingungen für die physische und digitale Integrität von Journalistinnen und Journalisten geschaffen oder auch nur angedacht worden sind. Und das, obwohl Österreich eine führende Rolle bei der Verabschiedung von UN-Resolutionen zur 'Safety of Journalists' und in anderen internationalen Initiativen eingenommen hat und einnimmt – Aktivitäten, von denen man in Österreich übrigens kaum etwas hört oder liest. Bewusstseinsbildung ist dringend angesagt!"
  • Die Prognose für den journalistischen Arbeitsmarkt 2021: "Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten, die mindestens 20 Stunden pro Woche arbeiten, sinkt, und das Durchschnittsalter steigt. Mehr als 20 Prozent haben zusätzliche Jobs außerhalb des Journalismus, und jede/r dritte Journalistin und Journalist arbeitet für mehr als ein Medienunternehmen gleichzeitig. Mehr als acht Prozent – und möglicherweise bis zu 15 Prozent – arbeiten als freie Journalistinnen und Journalisten, die mit ungünstigen sozialen Bedingungen konfrontiert sind. Sie sind weder durch Sozialversicherungen geschützt noch gegen Arbeitslosigkeit versichert. Die Vergütung der Beiträge ist trotz eines Kollektivvertrags, der die Mindestsätze für freiberufliche Journalisten festlegt, sehr unterschiedlich. Das sind nur einige wenige Aspekte der gegenwärtigen Situation. Die Krise wird sie verschlechtern – zumal schon ohne Krise keine Anzeichen für eine Änderung erkennbar waren. Das Problem wird nicht einmal öffentlich diskutiert. So weit zum Bewusstsein, was Medien als Teil der demokratischen Infrastruktur betrifft."
  • Die Aufsichts- und Führungsstruktur des ORF "sollte" reformiert werden. Und wie? "Ende des anachronistischen 'Politics-in-broadcasting'-Systems. Es wäre zwar blauäugig anzunehmen, das Problem politischer Einflussversuche auf Management und Personalpolitik des ORF allein durch eine Re-Organisation des Stiftungsrats lösen zu können (dagegen sprechen europaweite Erfahrungen), aber es wäre dennoch ein vertrauensbildendes Signal, wenn Politikerinnen und Politiker Fachleuten Platz machen würden, die in ihren Wirkungsfeldern berufsethischen Maßstäben unterliegen – und auch diese müssten einer permanenten, geregelten Ablöse unterliegen (nach Popper das Kennzeichen demokratischer Strukturen). Ausschreibungen, Qualifikationskriterien und öffentliche Hearings vor der Bestellung von Mitgliedern wären auch überlegenswerte Strategien."
  • Eine Corona-Sondermedienförderung befürworten die beiden Wissenschafter auch 2021. Aber nach anderen Kriterien: "Es ist schon klar, dass eine Sonderförderung nicht das Fördersystem, auf das sie aufsetzt, radikal verändern kann. Aber ein paar mehr zukunftsträchtige Kriterien dürfen wir uns doch wünschen, oder? Zur Auswahl Anregungen unter diesem Link.
  • Eine geplante neue Digitalförderung sollte "hoffentlich mit 'einem Kriterium' Qualität (Eva Blimlinger, Grüne)" kommen. Sie empfehlen auch Qualitätsaspekte und Teilnahme am Presserat oder ähnlichen Branchenselbstkontrollorganen als Kriterien für Medienförderungen und öffentliche Inserate.
  • Beaufort und Seethaler befürworten ein Informationsfreiheitsgesetz nach internationalen Vorbildern.

(Harald Fidler, Daniela Yeoh, 28.12.2020)