"Der politische Diskurs wird in Österreich vorwiegend über Emotionen geführt", sagt Politikberater Thomas Hofer im Gastkommentar. Eine faktenbasierte Entscheidungsfindung sei daher kaum möglich.

Gesundheitsminister und Landeshauptleute schicken Ostösterreich von Gründonnerstag bis Dienstag nach Ostern in den Lockdown. Zu spät, zu kurz, sagen Gesundheitsexperten und rechnen mit einer Verlängerung.
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Etwas Beständiges gibt es in den politischen Positionierungen zum Thema Covid-19: die Beliebigkeit. Die Regierungsspitze, die 2020 noch zu jedem (un)möglichen Anlass Pressekonferenzen verhängte, hält sich plötzlich vornehm zurück. Das hat mit innerparteilichen Frontverläufen zu tun, aber auch mit dem politischen Gravitätszentrum schlechthin: der sich in Umfragen manifestierenden Stimmung im Land. 2020 war das Meinungsbild meist kongruent mit den Corona-Dashboards, die Mehrheit war für scharfe Maßnahmen. Jetzt ist das anders. Dieser Umstand stürzt Regierende ins Jammertal. Das Delegieren von Verantwortung an die nächste Ebene – aktuell nennt man es "Regionalisierung" – bot sich als Ausweg und hat aus Regierungssicht den Vorteil, dass auch die SPÖ in der Losung ist.

Frühes Pfingsterlebnis

Die Auswirkungen sah man bei den Landeshauptleuten des Ostens. Weil auch keiner dramatische Bilder aus Intensivstationen braucht, blockierten Ländervertreter an einem Tag erst noch schärfere Maßnahmen und drängten bei Thermen und Schanigärten gar auf Öffnung. Am nächsten Tag und ein offenbar vorgezogenes Pfingsterlebnis später gibt es dann doch den Minilockdown. Bleibt die Hoffnung, dass auch das Virus Kompromissbereitschaft nach dem hierzulande geübten föderalen Prinzip zeigt.

Zumindest die FPÖ, möchte man meinen, verfolge eine klare Anti-eh-alles-Linie. Ist das so? Vor einem Jahr war sie es, die als Erste den (Grenz-)Lockdown verlangte. Jetzt zielt man, strategisch nachvollziehbar, auf das Potenzial der Unzufriedenen. Ein kurzes Gedankenspiel sei aber erlaubt: Stellen Sie sich vor, die Ibiza-Affäre wäre 2019 nicht aufgeschlagen und Herbert Kickl und Beate Hartinger-Klein bekleideten noch ihre Regierungsfunktionen. Was wäre im vergangenen Jahr anders verlaufen?

Die Corona-Maßnahmen wären wohl nicht dramatisch andere. Sebastian Kurz hätte auch in dieser Konstellation nicht den Donald Trump gegeben. Der Aufschrei der kritischen Öffentlichkeit aufgrund verfassungsrechtlich bedenklicher Vorstöße wäre früher und heftiger erfolgt. Wie aber hätte die freiheitliche Wählerschaft reagiert? Heute steht sie in diametralem Widerspruch gegenüber allem, was von oben kommt. Manches spricht dafür, dass das mit Regierungsmitgliedern wie Kickl anders verlaufen wäre.

Keine Augenhöhe

Eine Einsicht der vergangenen Jahre – nach den Diskussionen um die Migrationskrise 2015, dem Präsidentschaftswahljahr 2016, der Neuwahl 2017, dem türkis-blauen Intermezzo, Ibiza samt der Neuwahl 2019 und nun eben Corona – ist jedenfalls: Der politische Diskurs wird in Österreich vorwiegend über Emotionen geführt. Wir befinden uns in einer "Emokratie" (der Begriff wurde vom Autor im Buch "Wahl 2019" erstmals beschrieben, Anm. d. Red.). In dieser ist eine faktenbasierte Entscheidungsfindung kaum möglich.

"Das Prinzip Eigenverantwortung wird bloß rhetorisch bemüht."

Emotionen gab es in der Politik immer, aber der sich durch "soziale" Netzwerke permanent beschleunigende Nachrichtenzyklus bedingt nun ihr unangefochtenes Primat. Das ist wohl auch der Grund für eine oft auf Angst zielende Kommunikationsstrategie. Das war bei Covid-19 so, aber auch beim Migrationsthema (Flüchtlingswelle!) oder beim Umweltschutz (Klimakatastrophe!). Das Prinzip Eigenverantwortung wird bloß rhetorisch bemüht, Kommunikation auf Augenhöhe findet nicht statt. Möglicherweise spiegelt sich das auch im Verhalten politischer Spitzenvertreter.

Passieren Fehler wie bei der Impfstoffbestellung, entschuldigt man sich nicht wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und definiert Verantwortung umfassend (zumindest dem Prinzip wenn schon nicht den Konsequenzen nach). Stattdessen sucht, benennt und bestraft man Schuldige. Ob ein Beamter nun eigenmächtig gehandelt hat oder nicht, ist dabei nicht entscheidend. Wenn es so war, kann eine so zentrale Entscheidung nicht ohne Kontrolle des Ressorts oder der Regierung getroffen werden.

Das fehlende Narrativ

Ein weiteres kommunikatives Problem hat der wandlungsfähige burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil angesprochen. Gerade er, der sich im STANDARD-Interview (29.11.2019) über den Begriff lustig machte, fordert ein "Narrativ". Damit hat er recht. In der Regierung weiß man mit dem Werkzeug prinzipiell auch umzugehen. Aus der Impfdefensive heraus versucht man sich gerade im ichbezogenen Kanzler-Narrativ als "Robin Hood" im Kampf gegen die bösen EU-Sheriffs in Brüssel.

"Gerade in der Krise wurden die Schwachstellen in der Republik schonungslos offengelegt."

Für einen echten politischen Stimmungsaufheller braucht es freilich etwas anderes. Eine solche Erzählung kann sich auch nicht auf Corona beschränken. Die Perspektive des "Lichts am Ende des Tunnels" (wenn auch ohne Terminankündigung) ist zwar richtig. Dabei allerdings die "Rückkehr zur Normalität" zu bemühen ist heikel. Zumindest politisch sollte man darauf nicht hoffen. Gerade in der Krise wurden die Schwachstellen in der Republik schonungslos offengelegt. Das zieht sich von einer in Teilen dysfunktionalen Verwaltung über schwere Schieflagen in der Bildung bis zur mangelhaften Aufstellung für den künftigen Arbeitsmarkt.

An dieser Stelle verweisen Verantwortliche gern darauf, dass jetzt nicht die Zeit für Manöverkritik sei. Geht es nach ihnen, kommt die aber nie. Führungsfähigkeit würde sich genau darin äußern, die Problemstellen anzusprechen und zu zeigen, wie man stärker aus der Krise kommt. (Thomas Hofer, 27.3.2021)