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Immer mehr Jugendliche kommen der Ausbildungspflicht nicht nach und schmeißen alles hin – nicht ohne Not. Der Andrang auf Beratungsangebote ist groß.

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Durch die Corona-Krise gibt es mehr Jugendliche, die keine Ausbildung absolvieren und auch keinen Job haben. Zwar ist die Jugendarbeitslosigkeit nach einem Rekordhoch im Jahr 2020 stark zurückgegangen, die Zahl der jungen Menschen, die nach der Schule nicht wissen, wie es weitergehen soll, steigt aber. Das zeigen Daten von Arbeits- und Sozialministerium.

Demnach haben im ersten Halbjahr 2021 um ein Drittel mehr Jugendliche nach der Schulpflicht Beratung und Begleitung gebraucht als vor der Krise 2019. An diesem sogenannten Jugendcoaching haben bis Juni 34.000 junge Menschen teilgenommen. In Österreich gilt seit 2016 eine Ausbildungspflicht bis 18 Jahre. Auch die Zahl der Jugendlichen, die diese nicht erfüllen, ist gestiegen. Zwischen Jänner und Juni dieses Jahres wurden über 4000 Jugendliche in das System gemeldet, das sind 600 mehr als im Vorjahr.

Weniger Lehrlinge

Das Arbeitsministerium rechnet deshalb mit einer steigenden Zahl an Teilnehmern am Programm "Ausbildungsfit", das für ebendiese Jugendliche angeboten wird, um Basisqualifikationen nachzuholen. Im Mai 2021 gab es bereits 15 Prozent mehr Teilnehmer als im Mai 2019. Das Arbeitsmarktservice rechne zudem mit mehr Nachfrage für die überbetriebliche Lehre – ein Angebot für Jugendliche, die in Betrieben keinen Platz finden. Schon jetzt liegt die Zahl der Ausbildungsverträge in diesem Bereich mit 9600 um 14 Prozent höher als im Vorjahr.

Für Gabriele Pessl, die am Institut für höhere Studien (IHS) zu sozial benachteiligten Jugendlichen forscht, sind diese Zahlen keine Überraschung. "Gerade in Krisen sind die Übergänge zwischen der Schule und der Wirtschaft sehr schwierig", sagt die Soziologin. Betriebe würden in solchen Zeiten generell weniger Lehrlinge aufnehmen, und das gelte gerade für Jugendliche, die vielleicht nicht so einfach auszubilden seien.

Unversorgte Jugendliche

Laut einer aktuellen IHS-Studie, an der Pessl mitgewirkt hat, sind heuer 3800 15-Jährige, die in ein neues System ein- oder umsteigen müssten, "unversorgt" – das heißt weder an einer Schule, in Ausbildung noch im Beruf. "Wir müssen davon ausgehen, dass das Bildungsabbrecher sind", sagt Pessl.

Es gebe durch die Ausbildungspflicht zwar viele Angebote, um die Jugendlichen beim Übergang in eine weitere Ausbildung zu unterstützen, diese seien aber immer noch zu wenig, so die Soziologin. "Außerdem müsste man schon viel früher ansetzen, nämlich in den Schulen." Die Zahl der Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter müsse gerade jetzt massiv aufgestockt werden.

Das sieht auch Johann Bacher so. Der Professor für Soziologie an der Johannes-Kepler-Universität in Linz beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit sogenannten Neets ("not in education, employment or training"), also mit Jugendlichen, die weder im Schulsystem, in Ausbildung noch in Beschäftigung sind. Für sie sei die Krise besonders schwer, sagt Bacher.

Weniger Selbstwertgefühl

"Diese Jugendlichen haben wenig Selbstwertgefühl, sie sind auf soziale Kontakte angewiesen, um Bestätigung zu erfahren", sagt Bacher. Anerkennung durch Autoritäten wie Lehrer und Ausbildende sei für diese jungen Menschen besonders wichtig. Im ersten Lockdown sei der Kontakt komplett weggefallen, später habe man versucht, ihn durch digitale Angebote auszugleichen, was aber nur bedingt gelinge.

Auch Bacher lobt die Ausbildungspflicht bis 18, für ihn geht diese aber nicht weit genug. "Nach 18 Jahren gibt es einen Bruch, die Arbeitslosigkeit steigt nach dieser Altersgrenze. Das ist bis jetzt nicht gelöst worden." Er spricht sich deshalb für eine Ausbildungsgarantie bis 25 Jahre aus.

Die Ausgaben dafür würden sich in jedem Fall rentieren, da dem Staat durch Neet-Jugendliche, die dauerhaft ausgegrenzt sind, laut Studien rund 9000 Euro pro Jahr entgehen. Projekte, die Jugendliche ohne Job und Ausbildung niederschwellig ansprechen, sollten zudem nicht jedes Jahr neu um Finanzierung ansuchen müssen, sondern dauerhaft ein Budget zur Verfügung gestellt bekommen, meint Bacher. Das würde eine langfristige, qualitätsvolle Betreuung der Jugendlichen sicherstellen. (Lisa Kogelnik, 24.7.2021)