Bei Pascal Cheng kann man das Werk vom Künstler trennen. Man muss es sogar. An einem Donnerstagabend schlendert der 15-Jährige durch den hellen Gang der Sporthalle Brigittenau in Wien. Aus seinem Rucksack ragt der Griff eines Schlägers, umwickelt mit einer Art Handtuch. Es wirkt wie ein ungewaschener Bademantel. "Das ist ein Frottee-Griff, damit habe ich einen besseren Halt", sagt er, lächelt und geht weiter. Selbstverständlich, ein Frottee-Griff.

Cheng spricht, wie er zum Training geht: lässig, aber nicht krampfhaft Teenager-cool, er wirkt abgebrüht, aber nicht kalt. Den Weg ist er schon oft gegangen, Routine. Als er die Halle betritt, sind bereits ein paar Trainingskollegen da. Basketballkörbe werden abgebaut, ein Bub windet mit einem Saugnapf Löcher aus dem Parkettboden. Später werden Stangen eingebracht, Netze gespannt, die Schläger und Federbälle aus den Rucksäcken und Taschen geholt. Das Prozedere ist Routine.

Badminton ist in Österreich eine Randsportart. Der 15-jährige Pascal Cheng könnte aber auch international den Durchbruch schaffen.
Foto: Tobias Garcia-Navas

Die Halle im 20. Wiener Gemeindebezirk ist auch an diesem Abend geteilt, ein grauer Vorhang grenzt Sichtfelder und Sportarten ab. Während sich die Spieler des Badmintonvereins WAT Simmering auf ihr Training vorbereiten, wird nebenan schon Basketball gespielt. Immer wieder donnern die schweren Bälle auf den Parkettboden.

Schnell und hart

Badminton ist in Österreich in der Nische. "Ja, wir sind eine Randsportart, aber ich bin das Gejammer schon leid", sagt Simmering-Trainer Manuel Rösler. Der Sport mit dem Federball hat mit einer netten Freizeitbeschäftigung im Park ungefähr so viel zu tun wie Tennis mit Boccia. Badminton, so genannt, weil es 1872 ein Kolonialoffizier aus Indien mitgebracht und im englischen Landsitz des Duke of Beaufort, dem Badminton House, vorgestellt hat, ist die schnellste Schlägersportart der Welt. 2017 smashte der Däne Mads Pieler Kolding in einem indischen Premier-League-Spiel den Federball mit 426 km/h über das Netz.

Obwohl der Platz bedeutend kleiner als beim Tennis ist, schraubt Badminton durch die Schnelligkeit der Ballwechsel ordentlich an der Intensität und den Kraftreserven der Spieler, es zählt zu den anstrengendsten Sportarten überhaupt.

"Schnell, hart, anstrengend", beschreibt Cheng den Sport, mit dem er "einmal Geld verdienen will". Auf höchster, also professioneller Ebene bekommt Badminton eine besondere, spielerische Ebene: Schnelle, harte Schläge, perfektes Reaktionsvermögen und technisch sauberes Spiel sind die Grundvoraussetzungen, die Besten der Besten sind aber vor allem Meister im Tarnen und Täuschen.

Mit der Kuh auf den Berg

Ein kurzer Ball statt eines weiten Clear, ein weiter Ball statt eines Stopp, eine Finte in die eine Richtung, der Ball geht in die andere Richtung, der Gegner im Optimalfall nicht. Es geht darum, den Kontrahenten zu täuschen, zu überraschen, pure Härte führt manchmal zum Erfolg, das Unerwartete trennt die Spreu vom Weizen. "Lin Dan", antwortet Cheng auf die Frage nach dem besten Spieler aller Zeiten und ist damit nicht allein. Der Chinese Lin, mittlerweile zurückgetreten, gilt als bester Einzelspieler der Geschichte: Zweimal holte er Olympiagold, fünfmal wurde er Weltmeister, im Jahr hat er rund zehn Millionen Dollar verdient. In Österreich könnte er wohl locker in der Straßenbahn fahren, in Asien ist er ein Superstar. Badminton ist besonders in China, Japan, Indonesien, Malaysia, Indien populär, in Europa ist Dänemark die erfolgreichste Nation.

Etwas, aber noch nicht zu lange her: Trainer Manuel Rösler und Pascal Cheng bei einem U-13-Turnier in Serbien.
Foto: privat

Badminton ist also wie ein Pokerspiel – während man in Flossen eine Kuh auf einen Berg zieht. "Es ist ein ungemeiner Kampf, physisch und mental", sagt auch Trainer Rösler. Cheng darf noch nicht ins Kasino, ja derzeit noch nicht einmal ein Moped lenken. Er gilt dennoch mit seinen 15 Jahren schon als großes Talent. Seine Eltern kommen aus China, aus Wenzhou im Süden der Provinz Zhejiang, über Feldkirch zog es die Familie nach Wien.

Der Vater arbeitet in einer Bank, die Mutter ist Managerin. Seit seinem achten Lebensjahr spielt Pascal Badminton. Trainer Rösler gibt eine Einschätzung: "Er ist einer der jüngsten Spieler, die in der Bundesliga zum Einsatz kommen. Sein Gefühl für den Sport ist herausragend."

Erfolge und Potenzial

Wenn Cheng sich auf dem Platz auf einen hohen Ball vorbereitet, dreht er den linken Fuß ein bisschen nach außen, dann zischt der Schläger an den Federball oder streichelt ihn nur. Schon in seinem jungen Alter hat er das Täuschen und Tarnen drauf, in einem Trainingsmatch lässt er seinen Gegner immer wieder in die falsche Richtung gleiten. "Mein Lieblingsschlag ist die Vorhand-Cross", sagt er. Ein Angriffsball – oder ein Bluff, wenn der Gegner etwas Weites erwartet. Beim Debüt in der zweiten Bundesliga für Simmering gewann er sein Einzel, die Wiener feierten ihren ersten Sieg seit 15 Jahren in einer der beiden obersten Ligen.

Cheng steht im U19-Kader des Nationalteams, trainiert auch im Leistungszentrum in der Südstadt. Die Erfolge stellen sich bereits ein: Im Oktober schaffte er es beim U17-Turnier in Kroatien bis ins Finale, bezwang im Halbfinale mit Marco Marie einen Franzosen (Frankreich ist im Nachwuchsbereich im Badminton eine große Nummer), musste sich im Finale aber dem etwas älteren Vorarlberger Ilija Nicolussi geschlagen geben. Im U17-Ranking in Europa ist er Sechster. Auch beim Nationalteam weiß man um Chengs Potenzial. "Pascal ist jedenfalls ein Riesentalent, technisch jetzt schon sehr weit, und er könnte international den Durchbruch schaffen", sagt Jugendnationaltrainer Daniel Grassmück. Cheng sei "gerade im Entscheidungsprozess, ob er seine nahe Zukunft im Leistungssport verbringen wird".

"Mein Lieblingsschlag ist die Vorhand-Cross", sagt Pascal Cheng.
Foto: Tobias Garcia-Navas

Schlechte Aussichten im Turnsaal

Wie sind die Perspektiven für junge, aufstrebende Badminton-Spieler in Österreich? Eher schlecht. Der Sport hat ein Nachwuchsproblem, in Österreich gibt es rund 4500 aktive Spieler. Zum Vergleich: 2020 waren 180.000 Spieler in Tennisvereinen gemeldet. Das Problem besteht vor allem beim Sprung von der Jugend in den Leistungssport, viele Kinder springen ab. Das spürt auch Cheng: "Beim Training in der Südstadt sind in meiner Gruppe eigentlich alle älter." Badminton hat außerdem ein Sichtbarkeitsproblem, Übertragungen von Spitzenspielen sind selten, manche Austragungsstätten erinnern eher an einen Turnsaal als an eine Spitzensportstätte.

"Wir wollen Badminton attraktiver machen, uns am Konzept Tennis orientieren. Es muss auf allen Ebenen professioneller werden", sagt Rösler. Badminton ist seit 1992 olympisch. Österreichs Bester, Luka Wraber, konnte in Tokio keinen Satz gewinnen, schied nach zwei Partien aus.

Mit Cheng könnte man ein Zugpferd für die Zukunft gefunden haben. Der Teenager, der bereits 181 Zentimeter groß ist, gibt sich bestimmt, aber bescheiden, wenn man ihn nach seiner Zukunft fragt: "Natürlich ist es das Ziel, Profi zu werden." Gibt es einen Plan B? "Ich interessiere mich für Sprachen und Psychologie. In der Schule haben wir gerade Ethik als Fach bekommen. Das ist spannend", sagt er. Bis auf weiteres bleibt er aber beim Tarnen und Täuschen. (Andreas Hagenauer, 22.11.2021)