Zugegeben, anfangs tat ich mich schwer mit dem Roman "Žižek in Teheran" des Autors und Psychoanalytikers Sama Maani. Seine auf Sicht fliegende, polyfonen, bisweilen kakofonisch, oft gar in Versform verfasste Prosa war eine Herausforderung für meine Lesegewohnheiten und ließen mich bei manchem Lektüreversuch aus der Kurve fliegen. Die Handlung entwand sich mir auf mannigfaltig verschlungenen Erzählpfaden und -perspektiven stets aufs Neue und stellte meine Zugänglichkeitsansprüche auf eine harte Probe. Doch die Überwindung von Gewohnheiten wird oft belohnt – so auch in diesem Fall. Der Knoten platzte, als ich mich entschloss, das Buch mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und es so zu lesen, wie es geschrieben ist. Streifend.

Textinduzierte Verweiblichung gegen fragile Männlichkeit.
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Sexuelle Revolution im Staate Teheran

Die Geschichte mit ihren zahllosen Seiten- und Nebenarmen, die über jeden linear-narrativen Anspruch längst erhaben ist, wurde in Teheran angesiedelt. Wobei damit nicht die iranische Hauptstadt, sondern ein vom Iran inspirierter fiktiver Staat, nämlich die Islamische Republik Teheran, gemeint ist. Doch unter der bigotten Oberfläche gärt es gewaltig, denn diese Republik steht kurz vor ihrer zweiten, diesmal einer sexuellen Revolution. Unter den zahlreichen um die Macht buhlenden Oppositionsgruppen ist eine im Besitz eines alten Buches, welches das Potenzial hat, die Verhältnisse im orthodoxen Mullah-Staat ordentlich zum Tanzen zu bringen. Ähnlich des "Killing Jokes" von Monty Python, der seine Leser vor Lachen ins Gras beißen lässt, hat auch jener Text eine durchschlagende Wirkung. Bei seinen männlichen Lesern setzt er nämlich eine sukzessive Verweiblichung in Gang. Und mit diesen neuen Frauen soll dann im Rahmen eines spirituellen Mutterkultes ein neues Geschlecht von Teheranern geschaffen werden. Und wer wird der Vater? Keine armen Tropfen aus der Samenbank oder irgendwelche opiumgeschwängerten Sexpriester aus dem Teheraner Untergrund, sondern niemand Geringeres als Gott himself. So soll die Jungfrauengeburt vergesellschaftet und das Patriarchat – ausgerechnet mit Teheran als Epizentrum – ein für alle Mal überwunden werden.

Maani gelingt es hier mit tänzelnden Schritten – zumindest literarisch –, eine Ideologie zu entschärfen, die, wie es der Germanist Walter Fanta in seiner STANDARD-Rezension bereits so treffend formulierte, nichts anderes darstellt als das männliche Prinzip in Reinkultur: nämlich den politischen Islam.

Veränderungen stehen vor der Tür.
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Selten kam Kritik an diesem System leichtfüßiger und gleichsam beißender und zersetzender daher als in Maanis verspielter und mit allen psychoanalytischen Wassern gewaschenen Unterspülung. Mohammedanische Boys-Club-Allmachtsfantasien werden durch Gendermetamorphosen zur Implosion gebracht. Diese werden jedoch nicht etwa von Hormongaben und Skalpellen, sondern allein von der Lektüre jenes geheimen Textes induziert. Ganz nebenbei ist das auch eine Hommage an die Kraft von Literatur, die eben doch noch Berge und nun auch Geschlechter versetzen kann.

Hier bekommt jede*r them Fett weg

Maani bringt einen erfrischend lockeren Sound in einen gleichsam emotionalisierten wie tabuisierten Diskurs. Die darin immer wieder auftretenden üblichen Verdächtigen setzt er leichtfüßig und en passant Schachmatt. Neben dem klerikal-diktatorischen Hardliner-Regime des Iran samt seiner Helfershelfer und Versteher im Ausland bekommen vor allem zwei weitere, weniger gustiöse Gruppierungen ihre Abreibung, die Ersteren freiwillig oder unfreiwillig in die Hände spielen: Zum einen hätten wir jene neurechten Apologeten, die sich neuerdings auch gerne mit Leih-Kippa als letzte Verteidiger des jüdisch-christlichen Abendlandes gerieren und hinter ihrer vorgeschoben-aufklärerischen Kritik am Islam eigentlich (penis)neidisch auf dessen renitente Unverfrorenheit bezüglich Gesellschafts- und Geschlechterbilder schielen. Zum anderen bekommen pseudoliberale Adepten eines dekonstruktivistischen Gleichheitsfeminismus Butler’scher Prägung ihr Fett weg. In deren Weltbild gehen Hyperindividualismus und identitätspolitischer Paternalismus eine krude Allianz ein, in welcher zum Beispiel die (Voll-)Verschleierungen leider oft genug nicht zuerst als Ausdruck systematischer, patriarchaler Unterdrückung von Frauen gelesen wird, sondern als textiles Zeichen individualistischen, weiblichen Empowerments. Dass sich jene Aktivistinnen und Aktivisten nur im Windschatten aufklärerisch-emanzipatorischer Lehren "alter, weißer Männer" wie Kant, Voltaire oder Marx derart selbstvergessen produzieren können, verdrängen sie in ihrem neotribalistischen Kulturalismus allzu gerne.

Lass dich therapieren.
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Man wird Autor und Text jedoch nicht gerecht, führte man seinen Text allein auf den religionskritischen Impetus eines geläuterten Ex-Muslims wie etwa Hamed Abdel-Samad zurück, wofür der Ex-Bahai Maani aufgrund seiner aus dem Iran stammenden Eltern gerne oberflächlich gehalten wird. Nein, dieses Thema wird von ihm nebenbei erledigt, mit großartigen Passagen wie:

Genaugenommen handelt es sich nicht um das Teheranisch-Islamische Gebet
Denn man hatte
Statt die Teheranisch-Islamischen Gebetshaltungen
vorzuführen

Die Positionen des Teheranisch-Isalamischen Gebets
Mit den Positionen des Yoga zu einem Teheranisch-Islamischen Gebetsyoga
Synthetisiert

(…)
Und statt von traditionellen Gebetsformeln
Wurden die Positionen von
Mehr oder weniger passenden Passagen
Populärer Teheraner Popsongs begleitet.

Ja, darf er denn das?

Ja, darf er denn das? Natürlich, er muss sogar. Insbesondere in Zeiten, wo zum Beispiel in einer niederländischen Neuübersetzung von Dantes "Göttlicher Komödie" die Mohammed-Szene in vorauseilendem Gehorsam – und fast noch schlimmer – in Unterstellung des Unvermögens der Leserschaft, eine Unterscheidung von Fiktion und Realität zu bewerkstelligen, mit dem Anspruch wegzensuriert wurde, den Klassiker freundlicher und zugänglicher zu gestalten, um niemandes religiöse Gefühle zu brüskieren. Gegenüber diesem angstgetriebenen Rückbau europäischer Kultur vor klerikalem Aufbrausen hat auch der iranische Exilsender Radio Farda nur mehr Spott übrig: "Mohammeds Vertreibung aus der Hölle – Zensur à la Teheran – jetzt auch in Amsterdam."

Der als Kind iranischer Eltern in 1963 in Graz geborene und in Österreich, Deutschland und dem Iran aufgewachsene Maani sagt über das Teheran im vorliegenden Buch: "Meine Islamische Republik Teheran ist ein fiktives Land (…) Kein Erfahrungsbericht, keine Erklärliteratur." Der Autor des Essays "Respektverweigerung" mit dem provokanten Untertitel "Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht" bedient sich in seinem aktuellen Roman spielerisch am Fundus der Kulturen und faschiert ohne falschen Respekt deren Elemente, die rechte wie linke Reinheitsfanatiker gerne wieder hermetisch trennen würden, zu einem Malstrom von ungeheurer Sogkraft.

Maani verfährt hier – wenn auch viel subtiler und weniger plakativ als der deutsche Konzeptkünstler Jonathan Meese – doch getreu nach dessen Maxime beim Thema Zensur und Political Correctness in der Kunst. Anlässlich seiner Soloausstellung "Die Dr. Mabusenlolita" in der Wiener Galerie Krinzinger sagte der notorische Adidas-Jacken-Träger Meese in einem Interview mit dem STANDARD: "Wenn jemand Kunst und Realität nicht auseinanderhalten kann (oder will …), dann muss ich den Ball sofort zurückspielen und sagen: Lass dich therapieren!"

Autor Sama Maani.
Foto: Jan Maximilian Gerlach

Hinter jeder Tür lauert der Killing Joke

Und die Lektüre des vorliegenden Romans des Psychoanalytikers Maani ist ein sehr guter Anfang für eine solche Desensibilisierungstherapie. "Žižek in Teheran" ist nicht weniger als ein multiverses Crazy House, in dem die Verhältnisse – ob religiös, ideologisch, geschlechtlich oder sonst wie geartet – zum Tanzen gebracht werden. Ein Haus, das keine rechten Winkel im Grundriss und keine Geländer im Stiegenhaus kennt. Ein Haus ohne narrativ-perspektivische Fluchtpunkte, dafür mit endlosen losen Enden, die sich ständig lustvoll neu verwickeln und verknoten, um sich dann in Wohlgefallen aufzulösen, weil man ihren Anfang längst vergessen hat. "Žižek in Teheran" ist wie mit Demenz auf Amphetaminen im multiethnischen Dreigenerationenhaus Verstecken spielen. Es ist ein Haus, das mit viel Humor, aber ohne Statiker gebaut wurde und das die Identitätskonstrukte derer, die es betreten haben, lustvoll ins Wanken bringen kann. Steigt man hier in den Lift, kann man überall herauskommen, nur nicht da, wo man hinwollte, was auch keinen Unterschied mehr macht, denn sein Ziel hat man nach wenigen Stockwerken in Maanis literarischem Spiegelkabinett ohnehin längst vergessen. Hat man sich einmal auf "Žižek in Teheran" eingelassen, kann dies ungemein Spaß machen. Aber Vorsicht, denn hinter jeder Tür und jedem Absatz kann hier der Killing Joke lauern. (Alexander Keppel, 30.11.2021)