Um sich von der selbstgewissen Besserwisserei seines Vorgängers gründlich zu unterscheiden, ohne konkret werden zu müssen, hat sich Karl Nehammer einem zunehmend frustrierten Publikum als Lernender präsentiert. Nach vier Jahren Kurz wird das als angenehm empfunden. Mit dieser Selbstdarstellung ist aber die Frage noch nicht beantwortet, auf welchen Lehrstoff sich der Lehrling zu konzentrieren gedenkt, um sich dem Berufsbild Bundeskanzler glaubhaft anzunähern. Eine probate, wenn auch ungern probierte Methode wäre es, aus Fehlern zu lernen, aus fremden wie aus eigenen. Nun ist Nehammer der Fehler unterlaufen, sich den Bürgermeister einer Dollfuß-Gemeinde als Innenminister seiner Regierung auszusuchen oder aufs Kanzlerauge drücken zu lassen. Daraus sollte er lernen.

Er würde sich, seiner Kanzlerschaft, seiner Partei und der Republik Gutes tun, Gerhard Karner in die Gefilde Texingtals zu entlassen. Dort wird das Gras über seine hinlänglich zitierten Äußerungen vielleicht rascher wachsen als im Rest des Landes. Da ist seinem Versuch, mit vagen Ausflüchten und Entschuldigungen nachzumähen, wenig Erfolg beschieden. Er habe damals den Gehalt seiner Worte nicht erkannt, mag man einem lernenden Fünfzehnjährigen abnehmen und verzeihen, schwerlich einem zwanzig Jahre älteren Politiker mit Lehrabschluss in der niederösterreichischen ÖVP.

Gerhard Karner wurde wegen antisemitischer Rhetorik der Rücktritt nahegelegt.
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Die Beteuerung, dass er derlei "heute sicherlich nicht mehr so sagen würde", ist eine Selbstverständlichkeit, die einiges über angelernte verbale Zurückhaltung aussagt, ohne mit Sicherheit einen mentalen Lernerfolg zu garantieren. Da hilft auch nicht – wenn das Bild gestattet ist – der Canossagang in die Israelitische Kultusgemeinde. Deren Präsidenten seien erste Selbstverteidigungsversuche Karners zu wenig gewesen, wusste die Kronen Zeitung, weshalb der Minister ein wenig nachlegte, ohne freilich in der Sache Erhellendes zu bringen.

Antisemitischer Virus

Es kann aber die Kritik an antisemitischen Äußerungen und die grundsätzliche Bekämpfung von Antisemitismus nicht eine Aufgabe sein, die allein der Kultusgemeinde zukommt. Sie hat – und so wird es offiziell auch stets beteuert – österreichische Staatsräson zu sein, der Regierungsmitglieder zuallererst verpflichtet sind, ohne dass daran irgendein Zweifel aufkommen darf. In einer Zeit, in der Neonazis im Verein mit anderen Unbelehrbaren die Straße zu erobern versuchen und sich dabei als Verfolgte unter dem Judenstern darstellen, hat gerade ein Minister, dessen Aufgabe es ist, dieses Übel zu bekämpfen, über jeden Tadel erhaben zu sein.

Man will sich nicht vorstellen, wie ein Amtsvorgänger in einer seiner Hetzreden den Innenminister höhnisch als einen Bruder im Geiste anspricht, der seine Gesinnung für ein Regierungsamt verleugnet. Oder noch schlimmer: Ihn habe, ohne vom antisemitischen Virus sichtbar befallen gewesen zu sein, dieselbe Partei aus dem Innenministerium vertrieben, die nun einen rechtzeitig Genesenen ebendort etabliert.

Karner wäre nicht der Erste, der bei seinem Aufstieg stolpert. Sich abbeuteln und weitermachen ist keine Lösung, wenn man den Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus ernst meint. Bleibt er im Amt, wird er zur bleibenden Belastung einer Regierung, die sich Neuanfang auf die Fahnen geschrieben hat. Es gäbe viel zu lernen. (Günter Traxler, 17.12.2021)