Ab heuer gilt das neue Gesetz über assistierten Suizid. Wirklich neu daran ist, dass Menschen, die einen Sterbewilligen begleiten, sich jetzt nicht mehr strafbar machen. Aber in der Praxis ändern die neuen Bestimmungen nicht viel am gegenwärtigen Zustand. Es handelt sich um ein Wasch-mir-den-Pelz-und-mach-mich-nicht-nass-Gesetz.

Der entscheidende Gedanke bei den Befürwortern der Sterbehilfe war das selbstbestimmte Sterben. Darauf bezog sich auch das einschlägige Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Nicht die Obrigkeit sollte über Leben und Tod bestimmen dürfen, sondern der mündige Bürger, die mündige Bürgerin selbst. Und wer nicht mehr leben wollte, aus welchem Grund auch immer, sollte seinem Leben unter menschenwürdigen Bedingungen ein Ende machen und sich dafür professionelle Hilfe holen können.

Seit Jahresbeginn gilt das neue Gesetz über assistierten Suizid.
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Genau das gewährleistet das Gesetz aber nicht. Es sind so viele Hürden eingebaut, dass de facto erst recht wieder andere, nämlich vermeintliche Experten, und nicht der oder die Betroffene selbst die letzte Entscheidung treffen müssen.

Wer Zugang zu einem tödlichen Medikament haben will, muss einen Notar finden, bei dem er eine Sterbeverfügung errichten kann, und zwei Ärzte, von denen einer eine palliativmedizinische Ausbildung haben muss. Diese müssen sicherstellen, dass der Sterbewillige wirklich unheilbar und unzumutbar krank ist und wirklich aus eigenem Willen und nicht unter Druck von außen zu seinem Entschluss gekommen ist. Das ist keine medizinische Frage, sondern eine moralische.

Zulässige Gründe

Die meisten Palliativmediziner sind aus Prinzip Gegner der Sterbehilfe. Und auch die meisten anderen Ärzte sagen, verständlich genug, zu diesem Thema: Damit will ich nichts zu tun haben. Lasst mich aus dem Spiel. Ich bin zum Gesundmachen da und nicht zum Totmachen. Kein Arzt kann, und das ist gut so, zur Sterbehilfe gezwungen werden und keine Apotheke dazu, das tödliche Medikament zu führen.

Viele Gegner der Sterbehilfe fürchten, dass bei einer Lockerung der Bestimmungen alte Leute von anderen, etwa von geldgierigen Erben, zum Selbstmord gedrängt werden könnten. Aber für nicht wenige Alte ist der Gedanke unerträglich, ihren Kindern zur Last zu fallen, auch wenn diese die Belastung bereitwillig auf sich nehmen würden. Und manche sagen einfach: Es reicht. Ich habe lange genug gelebt. Alles keine zulässigen Gründe vor dem neuen Gesetz.

Kirchenvertreter, die charakteristischerweise nicht gehört werden, wenn es um Hilfe für Flüchtlinge geht, sehr wohl aber beim Thema Sterbehilfe, zitieren mantraartig das Wort von Kardinal König, ein Mensch solle "an der Hand" eines anderen sterben und nicht "von der Hand" eines anderen. Aber in den Sterbehilfeeinrichtungen der Schweiz sterben die Klienten sehr wohl an der Hand eines anderen und nicht einsam zu Hause oder im Sterbekammerl eines Spitals.

Auch mit dem neuen Gesetz wird in der Praxis alles beim Alten bleiben. Wer sterben will und Geld hat, wird in die Schweiz fahren. Und wer keines hat, wird sich weiter quälen wie bisher. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 13.1.2022)