Kurz nach elf Uhr muss man im Bahnhofsrestaurant Monika in Eisenstadt nicht allzu sehr aufpassen, dass man beim Verlassen über die Koffer diverser Reisender stolpert. Nur drei Männer sind im Lokal. Einer steht neben einem der vier Tische im Schankraum. Er schaut aus dem Fenster, über den kleinen gepflasterten Platz zwischen dem Resti und dem Gleis, wo im Sommer für gewöhnlich ein paar Tische einen Schanigarten bilden, und meint: "Hoffentlich können wir bald wieder draußen sitzen."

Im Bahnhofsrestaurant Monika ist es am Vormittag noch ruhig.
Foto: Guido Gluschitsch

Sein Kumpel stellt das Bier ab und antwortet wenig freudvoll: "Ah was, da krieg ma dann eh wieder nur a Nikotinvergiftung." Er ruft nach der Kellnerin und bittet die um die Rechnung.

Kaffee und Küche

Die muss gerade die Kaffeemaschine in Betrieb nehmen, weil ein neu hinzugekommener Gast einen Espresso bestellt hat – was hier nicht zu den gängigsten Getränkewünschen zählen dürfte. "Ich mach schnell die Ham and Eggs fertig, dann komm ich."

Das Bahnhofsresti Monika ist nur ein paar Meter von den Gleisen entfernt.
Foto: Guido Gluschitsch

Am einzigen Glücksspielautomaten im Raum versucht sich ein Mann ein besseres Leben zu erspielen. Für ihn sind die Eier bestimmt, die nicht mehr heiß sein werden, wenn er vom Automaten ablässt und sich zum Essen setzt. "Zwa Bier und zwa Cola", verrechnet die Kellnerin.

Über den Geruch im Resti

Aus den Boxen hört man einen Bauern aus dem Seewinkel auf Radio Burgenland, der erzählt, wie er seine Duftpflanzen anbaut. Im Bahnhofsresti selbst riecht man immer noch die Milliarden Dames und Ernte 23, die hier einst geraucht wurden und die in Wänden und Möbeln ein olfaktorisches Zuhause gefunden haben. Die Bänke in diesem Bahnhofsresti dürften noch aus der Zeit der Eröffnung stammen. Die Tischoberflächen dürften erneuert worden sein – eh wieder mit Resopal, aber diesmal in Holzoptik. Und so schmuddelig hier alles auf den ersten Blick wirkt, so sauber ist alles, wenn man genau hinschaut. Doch das passt ja auch wieder – hier in dem Bahnhofsresti, in dem Zugreisende Exoten sind.

Inzwischen sind die Bahnhofsrestis selbst Exoten. Genaue Zahlen, wie viele typische Bahnhofsrestis noch existieren, gibt es nicht. Unter dem Strich ist für die ÖBB eine Gastwirtschaft eine Gastwirtschaft, egal ob Tschecherl, Take-away-Fastfood-Budl oder Auftaubackstube samt Kaffeemaschine. Was aber klar ist: Die Bahnhofsrestis sind am Aussterben. Immer mehr machen zu, neue sperren nicht auf, und in Neubauten sind gleich gar keine eingeplant.

Bergauf, geht es mit den Bahnhofsrestis schon lange nicht mehr.
Foto: Guido Gluschitsch

Waren Bahnhofsrestis früher dazu gedacht, die Reisenden vor der Abfahrt oder während des Umstiegs zu verköstigen, wurden sie irgendwann zum Auffanglager verlorener oder sich gerade verlierender Existenzen. In einem echten Bahnhofsresti konnte man nie weiter als zwei Meter weit sehen, so verraucht war es. Und es geht die Mär um, dass es seinerzeit in den Zügen nur deshalb oft so gestunken hat, weil einige Passagiere zuvor im Bahnhofsresti waren.

Vom Süd- zum Hauptbahnhof

Bahnhofsrestis waren der ideale Lebensraum für jene Menschen, die sich gern von Elizabeth T. Spira befragen ließen. Es gibt sogar eine Sendung der Alltagsgeschichten, untertitelt mit Am Bahnhof, die 1997 am Südbahnhof gedreht wurde – schon damals standen die Protagonisten vorwiegend bei Standln und Kiosken, um ihr Bier zu trinken. Am heutigen Hauptbahnhof gibt es kein Tschecherl mehr, hier steht Schachtelwirt neben Schachtelwirt.

Der Hauptbahnhof heute.
Foto: Guido Gluschitsch

Alles ist freundlich hell, sauber und ansprechend. Hier sitzt niemand länger, als er muss. Noch nie hat wer im Fresseck des Hauptbahnhofs den Anschlusszug versäumt, weil es grad so gemütlich war. Sogar der einst legendäre Wienerwald ist ein Fastfood-Standl geworden. Softdrinks haben das Bier abgelöst. Nur in der Kurkonditorei Oberlaa, am anderen Ende des Hauptbahnhofs, trinken zwei sehr gepflegte ältere Damen einen fast farblosen Aperolspritzer.

Die zerbrochenen Existenzen sitzen nun in dem großen Wartebereich vor dem Supermarktausgang und trinken dort ihr Dosenbier. Der Schmäh rennt. Die Frauen, die ihnen schon vor Jahren den Weisel gegeben hat, sind immer noch Thema. Nur wenn einer der neuen Aufseher am Bahnhof mit seiner Security-Warnweste vorbeigeht, wird es gespenstisch ruhig bei den Herren. Sie haben ihre Biotope aber nicht nur hier, sondern fast im ganzen Land verloren.

Sogar der Wienerwald wurde zum Take-away-Standl.
Foto: Guido Gluschitsch

Das im Osten legendäre Bahnhofsresti in Neufeld – jeder, der von Wien aus mit dem Zug zum Neufelder See gefahren ist, kannte es, und die Dauercamper sowieso – ist schon länger zu, komplett ausgeräumt. Ein Nachmieter wird gesucht. 2.600 Euro Kaution, 723, 25 Euro Miete, befristet auf zehn Jahre. Die Nachfrage ist überschaubar. Aber eine Station weiter, in Ebenfurth, da gibt es was. Das Restaurant Luzija liegt zwar nicht direkt am Bahnhof und ist kein Bahnhofsresti im engeren Sinn. Aber weil es gleich nebenan liegt, erfüllt es neben der Funktion eines Landwirtshauses die eines Bahnhofsresti gleich mit. Weltbekannt im Osten Österreichs ist außerdem die Bangkok Station, das Resti am Bahnhof Tullnerbach-Pressbaum. Weil es doch ungewöhnlich ist.

Tschecherl versus Tschocherl

Es ist nicht nur Tschecherl – ja, Tschecherl passt besser als Tschocherl, weil beim Bahnhofsresti die Verbindung zum Tschechern, dem Trinken, näher ist als die zum Tschoch, der anstrengenden Arbeit. Es ist ein Thai-Restaurant, das nicht nur für die Gemütlichkeit, die Speisen und die Wirtin bekannt ist, sondern auch für die prunkvollen Sommerfeste.

Es ist kein Bahnhofsresti im engeren Sinn, erfüllt aber denselben Zweck, das Restaurant Luzija in Ebenfurth.
Foto: Guido Gluschitsch

"In Wels", sagte eben erst ein Freund, "da gibt es das noch, was du suchst." – "Wirklich? Hat es offen? Wer geht dort rein?" – "Ich hab mich noch nie reingetraut." Klingt nach Geheimtipp.

Leo Lukas in Knittelfeld

Ein solcher dürfte auch das Knittelfelder Bahnhofsresti sein, wenn wir dem steirischen Kabarettisten Leo Lukas glauben dürfen. Wer dem Charme eines Bahnhofsresti – das hat schon einen Grund, warum bei dieser Lokalität nicht die Rede von einer Bahnhofsrestauration sein kann, wie es auf diversen Außenschildern versprochen wird – nicht erliegen kann, wird sich auch bei Lukas’ gleichnamigem Lied grausen.

Ganz anders ist das in Eisenstadt. In dem inzwischen fast leeren Lokal schmecken die Eier. "Wenn sie am Vormittag nicht kommen, dann kommen sie am Nachmittag", erklärt die Kellnerin. "Man weiß nie, wann sie kommen, aber sie kommen. Wird schon noch ein Umsatz werden, heut", sagt sie nach einem Blick auf den großen Kalender an der Wand. "Es ist ja noch nicht Monatsende." Dabei reibt sie mit dem Daumen ihren Mittel- und Zeigefinger und hebt die Schultern. Draußen fährt der Zug ein. Das kümmert in diesem Lokal aber wie gewöhnlich niemanden. (Guido Gluschitsch, 10.2.2022)