Die Dritte Mission der Universitäten kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, sagen die Bildungspsychologin Christiane Spiel und der ehemalige Boku-Rektor Martin H. Gerzabek im Gastkommentar.

Der "Elfenbeinturm" war gestern. Die Universitäten müssen Erkenntnisse in die Gesellschaft transferieren und sich zivilgesellschaftlich engagieren.
Foto: Heribert Corn / https://www.corn.at

Gemäß so ziemlich aller Prognosen werden sich die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen auf regionaler, nationaler sowie EU- und internationaler Ebene in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich verschärfen. Die Covid-19-Krise hat deutlich aufgezeigt, wie schlecht wir dafür gerüstet sind, mit unerwarteten pandemischen Herausforderungen umzugehen. Gleichzeitig nehmen Fake-News und Verschwörungstheorien immer mehr Raum ein.

Ohne Zweifel kamen in den letzten beiden Jahren viel mehr Wissenschafterinnen und Wissenschafter öffentlich zu Wort, was man als Wertschätzung ihres Wissens, ihrer Forschung deuten kann. Jedoch wurden häufig Forschungsergebnisse zu früh – vor einem Diskurs in der einschlägigen Wissenschaftsgemeinschaft – in den Medien präsentiert. Und was vor allem gefehlt hat, waren Informationen über die Forschungsfragen, über das Studiendesign, die untersuchten Stichproben. Doch genau diese Informationen sind notwendig, um Forschungsergebnisse richtig interpretieren und einordnen zu können.

Die sehr bedauerliche Konsequenz daraus zeigt sich im Euro-Barometer 2021. Das Bild, das in Österreich von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern herrscht, ist deutlich negativer als im EU-Durchschnitt. Der Aussage, dass das Interesse junger Menschen in Wissenschaft essenziell für unsere künftige Prosperität ist, haben im EU-Schnitt 48 Prozent der Befragten zugestimmt – in Österreich nur 27 Prozent. Wissenschafterinnen und Wissenschafter und ihre Forschungsergebnisse haben hierzulande somit ein sehr geringes Ansehen, was Fake-News und Verschwörungstheorien leider Tür und Tor öffnet.

Bildung und Solidarität fördern

Was kann in so einer Situation getan werden? Zwei Parameter sind zentral. Der erste ist Bildung. Denn Investitionen in Bildung sind gleichzeitig auch Investitionen in andere Politikfelder, wie Gesundheit, Wirtschaft, Soziales, Ökologie oder Finanzen, und tragen auch zur Demokratieentwicklung bei. Der zweite Parameter ist die Wahrnehmung von Solidarität und Verantwortung in der Gesellschaft.

Universitäten und Hochschulen generell kommt bei der Frage, wie beides gefördert werden kann, eine zentrale Rolle zu: Sie produzieren Wissen und vermitteln Bildung auf hohem Niveau und haben damit eine besondere Verantwortung für die Gesellschaft, in deren Auftrag sie forschen und lehren. Allerdings ist es für eine öffentliche Einrichtung nicht ausreichend, wissenschaftliche Erkenntnisse ausschließlich in akademischen Kreisen auszutauschen. Vielmehr müssen sich Universitäten und Hochschulen generell mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vernetzen, um Entwicklungen aktiv evidenzbasiert mitzugestalten, und dies auch ihren Absolventinnen und Absolventen vermitteln. Das wird als ihre "Dritte Mission" bezeichnet. Sie inkludiert den Transfer von Erkenntnissen in die Gesellschaft sowie ein konkretes zivilgesellschaftliches Engagement. Und sie sollte systematisch mit den beiden primären Missionen von Universitäten – Forschung und Lehre – vernetzt sein.

Dabei gilt es, folgende Fragen zu diskutieren: Welche Erkenntnisse zur Lösung sozialer, technologischer und ökonomischer Herausforderungen produzieren Universitäten, produzieren Hochschulen? Wie werden sie nutzbar für die Gesellschaft? Wie können Hochschulen die diesbezüglichen Erwartungen und Bedürfnisse von Gesellschaft und Wirtschaft gezielt aufgreifen? Wie können Hochschulen durch verstärkten Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft den Wirtschaftsstandort Österreich sichern helfen? Wie können sie Curricula so gestalten und realisieren, dass Absolventinnen und Absolventen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können und wollen und den Anforderungen der Wirtschaft gerecht werden? Wie können Hochschulen die Übernahme von sozialer Verantwortung sowie die Beachtung der Grundsätze der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft fördern? Wie können Hochschulen zu einem breiteren Innovationsverständnis und einer sozial verantwortlichen Innovationsentwicklung beitragen?

Die Dritte Mission aktiv umsetzen

Eine aktive Dritte Mission baut auch Vorurteile ab. Sie leistet einen fundamentalen Beitrag zur öffentlichen Wahrnehmung von Universitäten und Wissenschaft und wirkt der Metapher des "Elfenbeinturms", wonach Universitäten unberührt von gesellschaftlichen Bedürfnissen als Orte der intellektuellen Abgeschiedenheit gelten, entgegen. Es gilt, die universitären Leistungen und deren Wirkungen sichtbar und damit ihren Wert für die Gesellschaft einschätzbar zu machen.

Umso wichtiger ist es, dass Universitäten und Hochschulen diese Dritte Mission noch aktiver umsetzen, auch wenn bereits wichtige Schritte gesetzt wurden. Zweifellos gibt es auch viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die dies tun. Das ist aber keineswegs selbstverständlich, da solche Aktivitäten derzeit kaum belohnt werden. Es braucht mehr Anerkennung und Wertschätzung dafür, sowohl an den Hochschulen als auch vonseiten der Politik. In Gesellschaft und Wirtschaft gilt es, die Wertschätzung von wissenschaftlicher Forschung an Universitäten und Hochschulen generell zu stärken und ihre Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft vermehrt zu vermitteln.

Wir appellieren daher an Hochschulen sowie an Wissenschafterinnen und Wissenschafter, sich trotz dieser schwierigen Situation oder gerade deshalb im Rahmen der Dritten Mission noch stärker zu engagieren. Politik, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft wiederum sind gefordert, Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Wissenschaft durchgängig ernst zu nehmen und nicht nur dann, wenn es zum politischen Kalkül passt. (Christiane Spiel, Martin H. Gerzabek, 18.2.2022)