Donnerstag tagt der Stiftungsrat erstmals mit Roland Weißmann (links) als Generaldirektor des ORF, von Österreichs größtem Medienkonzern. Für den Stiftungsrat ist es die letzte Sitzung in alter Besetzung, er wird in den nächsten Wochen neu bestellt.

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Wien – Österreichs Verfassungsrichter beschäftigen sich gerade mit dem ORF – freilich nicht mit der Frage, ob dessen Stiftungsrat dem österreichischen Verfassungsrecht entspricht, was ZiB 2-Anchor Armin Wolf gerade in einem Blogeintrag bezweifelte. Der ORF bekämpft vor dem Höchstgericht eine Entscheidung, die ihn seit 2015 einiges kostet: Streamingnutzung auch von ORF-Programmen geht ganz ohne GIS-Gebühr.

1. GIS im Stiftungsrat

Die Höchstrichter sollen klären, ob die alleinige gesetzliche Gebührenpflicht für Rundfunkempfang nicht Gleichheitsgrundsatz oder Rundfunkfreiheit widerspricht. Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlange ausreichende Finanzierung; die sogenannte "Streaming-Lücke" gefährde diese.

Die Behandlung dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichshot bereits Ende Februar für seine aktuelle Session angekündigt. Donnerstag wird es auch Thema im Stiftungsrat sein, berichtete der Kurier.

2. In grantiger Verfassung

Verfassungsrecht beschäftigt die Stiftungsräte auch wegen Wolfs Blog über Verfassungswidrigkeit wegen zu großer Regierungsmehrheit – zum Missfallen einiger Räte. Stiftungsrat Lothar Lockl (Grüne) betonte Sachkompetenz und Engagement des Gremiums, räumte aber "Reformbedarf" im ORF-Gesetz ein.

Wolf berief sich auf einen Fachbeitrag des heutigen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Christoph Grabenwarter zum deutschen Staatsgrundgesetz. Der schrieb 2018, zu große Mehrheiten der Regierungsparteien in Rundfunkgremien verstießen gegen die Menschenrechtskonvention – die steht in Österreich in Verfassungsrang. Ein renommierter, der Regierungsnähe unverdächtiger Rundfunkrechtler sieht Grabenwarters Zitat da "aus dem Zusammenhang gerissen und fehlinterpretiert".

3. Vor dem Neustart

Die Regierungsmehrheit wird nach der Neubestellung durch Bund, Länder, Parteien und ORF-Publikumsrat noch etwas größer; die einfache Mehrheit ÖVP-naher Stiftungsräte im obersten ORF-Gremium bleibt.

Einzelne Mandate könnten neu besetzt werden. Etwa wenn sich Petra Stolba, wie spekuliert wird, doch um die Führung der Medienförderstelle RTR bewerben sollte. Stolba zeigt sich auf STANDARD-Anfrage überrascht, dass sie für den Job gehandelt wird.

Besonders beständig sind die sechs Mandate des mehrheitlich vom Kanzleramt beschickten Publikumsrats – sie überdauern alle Neuwahlen und Regierungswechsel. ÖVP und Grüne sollen einander je drei dieser Mandate versprochen haben.

4. Wackelige Novelle

ORF-Redakteursrat und Presseclub Concordia forderten gerade wieder eine Reform und Entparteipolitisierung des Stiftungsrats, auch die Grünen plädierten schon mehrfach dafür. Bei einer Stiftungsratsmehrheit der Kanzlerpartei ist das eher unwahrscheinlich.

Aber auch an der geplanten Digitalnovelle – mehr digitale Möglichkeiten für den ORF, mehr Kooperation mit Privaten – wachsen Zweifel in der Branche. Weißmann sorgte mit der Erklärung, orf.at sei "außer Streit gestellt", bei privaten Verhandlern für Irritation, einer sieht diese ORF-Novelle "auf der Kippe".

Wenn die Verfassungsrichter das Rundfunkgebührengesetz aufheben, das ihre Kollegen vom Verwaltungsgerichtshof 2015 auf die GIS-Freiheit von Streaming brachte, braucht es eine Novelle jedenfalls dieses Gesetzes.

5. 2021 über Plan

Wo bleibt das Positive (aus der Sicht des ORF)? 2021 lief nach vorläufigen Zahlen für den ORF gut. Werbeerlöse lagen elf Prozent über Plan, GIS-Einnahmen blieben stabil. Ergebnis vor Steuern: 6,5 Millionen statt geplanter 0,2. Konzernergebnis mit fast zehn Millionen leicht über Plan.

6. Und das Publikum?

Was bekommt man zu sehen? Die mit Weißmann angetretene Programm¬direktorin Stefanie Groiss-Horowitz schraubt als Erstes an ORF 1: Der Vorabend wird mit einer weiteren Quizshow nach Q1 neu geordnet und ist für Groiss-Horowitz atmosphärisch "ORF 1 Feierabend". Um 20 Uhr führt das wiederbelebte ZiB-Magazin in den Hauptabend. Ein Livemagazin namens ORF 1 Spezial mit Christoph Feurstein und Mariella Gittler widmet sich Mittwoch einem aktuellen Thema, als Erstes: Teuerung. Die Planetshow wartet ab Herbst mit Lösungen zu Nachhaltigkeit und Klima auf. Die Mini-ZiB kehrt zurück.

Nachholbedarf räumt Groiss-Horowitz bei Diversität im Programm ein: "Wir wissen, dass wir hier ein Defizit haben, wir arbeiten daran."

7. Diversität in Arbeit

Der Stiftungsrat richtet auf den letzten Metern eine Arbeitsgruppe für Kulturwandel, Diversität und Frauenförderung ein. Die zentralen Themen der Personalentwicklung – hunderte Neuzugänge wegen Pensionierungen werden ORF auf viele Jahre prägen – nimmt der Rat mit in seinen Neustart im Mai.

Update: Die Arbeitsgruppe zu "Cultural Change, Gender, Diversity" sollen offenbar Petra Stolba und Andrea Danmayr leiten – die Abstimmung darüber steht Donnerstagmittag noch aus.

8. Stegers Abschied (Update)

Norbert Steger (FPÖ) hat am Donnerstag seinen Abschied als Vorsitzender angekündigt. Das Gremium dankte laut Augenzeugen mit einhelligem Applaus aller Fraktionen.

(Harald Fidler, Doris Priesching, 17.3.2022)