Das mit der großen Freiheit ist schon eine seltsame Sache. Man tauscht sie meistens ein gegen mangelnden Komfort, um nicht zu sagen gegen einen beschwerlichen Alltag. Das wird beim Camping ganz besonders offensichtlich. Wie einfach wäre es, zu Hause die schmutzigen Teller in den Geschirrspüler zu geben. Nein, beim Camping muss man das Geschirr einen halben Kilometer tragen, um es abzuwaschen, wenn’s blöd hergeht auch noch mit kaltem Wasser und das gleich dreimal am Tag. Überhaupt ist das Geschirrwaschen eine der Haupttätigkeiten am Campingplatz, noch weit vor Platz zwei der immer wiederkehrenden Beschäftigungen, dem Grillen. Und wer schon einmal beim Geschirrspülen zwischen barfuß rumlaufenden Kindern ein Glas zerbrochen hat, weiß, warum Plastik doch in jedem Fall vorzuziehen ist.


Einfaches Rezept – Hunger
ist der beste Koch. Fisch ist
gesund. Wohnwagen
am Strand nur mit Allrad-
Zugfahrzeug zu empfehlen.
Foto: Skarics

Nun ist es eben so, dass die Beschwerlichkeit immer wieder den Komfort sucht und umgekehrt. Einmal denkst du, diesmal nur mit dem Rad und einem kleinen Zelt zu verreisen wäre die große Freiheit. Dann beginnt in Anbetracht aller drohenden Eventualitäten die Bequemlichkeits-Rüstungsspirale – gnadenlos, bis dein Rad auf einem riesengroßen Wohnmobil montiert ist und dein Zelt in eine der vielen Gepäckladen abtaucht. Man weiß ja nie, man könnte schließlich auch mit Wohnmobil plötzlich obdachlos werden.

Es ist immer das gleiche Spannungsfeld: das einfache Leben möglichst luxuriös aufzupeppen. Davon lebt eine ganze Industrie, und zwar extrem gut in den vergangenen Luxusjahren. Die Boomer kaufen sich von ihren Abfertigungen Wohnmobile. So kann man, ohne sich den Unwägbarkeiten der Fremde auszusetzen, viele Länder bereisen, in denen selbst die Wohlhabenderen in zusammengetackerten Vierer-Golfs ihren Alltag bestreiten. Dann werden sich die grauen Reisepanther wohl die ersten Kratzer einfangen mit ihren glänzenden 100.000-Euro-Gefährten. Mit Gaswarnern, Alarmanlagen, Sicherheitsschlössern und Reisevollkasko ohne Selbstbehalt geht’s ab in die große Freiheit.

Romantik

Die endet natürlich schon beim nächsten Campingplatz, der üblicherweise von Gesetzes wegen über Nacht angesteuert werden muss. So fährt man eigentlich vorwiegend von Campingplatz zum Supermarktparkplatz. Und man kommt drauf, dass man an vielen Autobahnen auf den Lkw-Parkplätzen weit weg von den Sanitäranlagen zwischen den 40-Tonner-Lkws parken muss, die eine wesentlich weniger romantische Art des Campings pflegen.

Der anstrengende Blick auf die eigenen Zehen kann sehr müde machen.
Foto: Skarics

Steht man dann am Campingplatz, wird das Wohnmobil festgebunden in alle Richtungen. Schließlich muss die Sonnenmarkise sturmfest gegen die steifste Brise vom Meer her verankert werden. Dann wird ausgepackt, was Kastln und Stauräume hergeben – und das ist nicht wenig, von der Bibel bis zu einer Zwiebel und dem Stand-up-Paddeling-Brett. Jedenfalls ist man dann außerstande, noch einen Ausflug in die Umgebung zu machen. Das heißt, am besten hat man auch noch ein Motorrad mit oder gar ein ganzes Auto am Anhänger. Immerhin hat das Wohnmobil am Campingplatz einen riesigen Vorteil: Man blamiert sich nicht so leicht beim Einparken wie mit einem Wohnwagen. Es ist also nicht nur eine Frage des Wohlstands, warum so gerne ältere Leute Wohnmobile fahren, sondern auch eine der Bandscheiben, die beim Handling mit dem Wohnwagen in höchster Gefahr sind. Einen sogenannten Mover zur Fernbedienung des Wohnwagens am Stellplatz muss man auch erst mal unfallfrei bedienen können. Nachbarschaftshilfe unter Campern war früher selbstverständlich, heute ist es uncool.

Diese unendliche Menge an Wohnmobilen, die schon vor Corona verkauft wurden und die vielen, die in den zwei Pandemiejahren dazukamen, haben eine gewisse Präsenz auf unseren Straßen erreicht. Das Wohnmobil schaffte scheinbar die Quadratur des Kreises, das Motto wäre zu umschreiben mit Abkapselung in der Fremde. Nur: Auch hier verspricht das Wohnmobil genauso wie der Wohnwagen weit mehr, als sie halten können. Genaugenommen ist man in einer Privatpension viel sicherer, denn dort muss man nicht mit fremden Menschen aufs Klo und Duschen und Geschirrabwaschen gehen – und das nicht nur unter Covid-19-Ansteckungsgefahr, sondern auch noch bei eklatant erhöhtem Fuß- und Nagelpilzrisiko. Die luxuriösen Sanitäranlagen an Bord bleiben meist unbenützt, weil man sonst ja seine eigene Notdurft eigenhändig entsorgen müsste.

Den Tag verfließen lassen ist das Wichtigste.
Foto: Skarics

Was der Campingplatz aber schon ermöglicht: Gespräche mit Milieufremden. Dort sind alle Menschen gleich. Während die einen ungeniert in ihrem Vorzelt auf einem Sofa liegen und Big Burger mampfend nahezu rund um die Uhr auf den Großbildfernseher starren, werden Luftmatratzen und Fahrräder aufgepumpt, Bälle auf Unschuldige geschmissen, Griller und Rasenmäher angeworfen. Permanente Grenzzwischenfälle mit den Nachbarn sind vor allem auf kleineren nicht parzellierten Plätzen an der Tagesordnung.

Aber: Trotz aller Beschwerlichkeiten des Camperdaseins liebe ich diese Art der Zeitverschwendung, Zeitauflösung, geistigen Entstrukturierung. Mit dem scharfen Blick auf die eigenen Zehen in der Hängematte lassen sich die wirklich wichtigen Entscheidungen viel besser treffen, etwa, ob oder wann man wieder aufstehen soll um sich etwas zu trinken zu holen oder doch besser liegen bleibt, weil man eh keinen Durst hat. Die Freiheit erinnert ein wenig an die Kindheit, als ich vier Wochen lang Tag und Nacht in der gleichen Badehose ohne Zähneputzen verbrachte, nur dass ich mich inzwischen doch an alle wesentlichen Hygieneregeln halte. Aber dazwischen tu ich nichts und zwinge mich schon gar nicht zu irgendwas. Das Buch, das ich lese, muss in mir ein Verlangen wecken, es genügt nicht, dass es nur so daliegt, um mir ein schlechtes Bildungsbürgergewissen zu machen. So sehr mich Terminstruktur durch den schnöden Alltag trägt, im Urlaub bin ich zeitlos glücklich. Der Tag beginnt idealerweise mit bloßen Füßen im Gras. Und die Dinge reihen sich ungesteuert aneinander und wenden sich (fast) immer zum Guten. Das geht in einem Hotelzimmer so nicht. (Rudolf Skarics, 10.4.2022)