Pollen erfüllen die Natur mit Leben. Dennoch haben die winzigen Partikel einen denkbar schlechten Ruf, lösen sie doch bei gut 15 Prozent der Menschen allergische Reaktionen aus.

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Endlich lacht die Sonne wieder vom Himmel, und die Welt wird grüner. Was bei vielen für Begeisterung sorgt, beschert anderen juckende Augen, eine rinnende Nase und Niesanfälle. Der Frühling ist die Hochsaison des Pollenflugs und somit auch der typischen Allergiesymptome. Darunter leidet eine steigende Zahl von Menschen, denn respiratorische Allergien und Erkrankungen der Atemwege sind weltweit, speziell aber in industrialisierten Ländern stark im Steigen begriffen.

Das hat mehrere Gründe: Einerseits ist die Diagnose dieser Krankheiten präziser geworden. Andererseits wirken auch veränderte Umweltbedingungen und ein Mehr an Luftschadstoffen auf Allergien und deren Entstehen ein. Veränderungen des Klimas und der Hygieneumstände tragen ebenfalls zur zunehmenden Zahl Betroffener bei.

Verschärfte Wirkung

"Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von unterschiedlichen Umweltfaktoren und der Zunahme respiratorischer Erkrankungen und Allergien", sagt Marianne Raith vom Fachbereich Biotechnologie der FH Campus Wien. Die in der Allergieforschung tätige Zellbiologin leitet am Kompetenzzentrum für Molecular Biotechnology ein von der Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien gefördertes Forschungsprojekt, welches das Zusammenwirken von Allergenen und den Atemwegszellen der Schleimhäute mit Umweltschadstoffen wie etwa Feinstaub untersucht.

Schon länger sind Wechselwirkungen zwischen Luftschadstoffen und Allergenen bekannt. Durch diese Verbindung können Pollen etwa aggressiver wirken. Wie das aber genau passiert und wie Allergene die Zellen der Schleimhäute durchdringen, ist nicht ausreichend ergründet. Die sogenannte Epithelzellschicht bildet eine Art Schutzwall, um eindringende Substanzen oder Schadstoffe wie Viren, Bakterien und Allergene davon abzuhalten, in den Körper zu gelangen. "Wir wollen herausfinden, wie Allergene es trotzdem schaffen, diese Barriere zu durchdringen", sagt Raith. Die allergische Reaktion des Körpers beginnt nämlich hier.

Erkenntnisse darüber könnten in Zukunft neue Medikamente hervorbringen: "Es wäre vorstellbar, das Eindringen und den Transport des Allergens zu hemmen oder ganz zu verhindern", sagt Raith. Dadurch könnte zielgerichtet an Tagen mit Pollenflug behandelt werden. Vorstellbar wäre etwa eine Verabreichung eines entsprechenden Nasensprays. Aktuell beschränken sich die Möglichkeiten, Symptome zu lindern, meist auf die Einnahme von Medikamenten wie Antihistaminika sowie auf Immuntherapien zur Desensibilisierung. Bei Ersterem wird erst relativ spät in den Prozess eingegriffen, zweitere Methode ist oft langwierig und nicht für alle Allergien geeignet.

Zu wenig "gesunder Dreck"

Auch die zunehmende Hygiene kann die Entstehung von Allergien begünstigen. "Die Hygienehypothese sagt uns: Je weniger man in der Kindheit mit einem ‚gesunden Dreck‘ konfrontiert war, desto höher ist das Risiko, Allergien zu entwickeln", sagt der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter. "Kinder, die etwa auf einem Bauernhof aufwachsen, haben ein viel niedrigeres Allergierisiko als Stadtkinder." Die Ausbildung der Immunabwehr scheint bei der Entwicklung allergischer Erkrankungen eine wichtige Rolle zu spielen, aber: "Hier geht es um die Balance. Denn Schimmel oder unhygienische Bedingungen fördern Allergien und Atemwegserkrankungen ebenfalls", sagt Hutter.

Klimaveränderungen sind ebenfalls günstig für das Entstehen von Allergien. Kommt es zu Vegetationsverschiebungen, sind Allergiebetroffene auf einmal neuen Allergenquellen ausgesetzt. Das Kleinklima ändert sich, und nichtheimische Pflanzen (Neophyten) können bei uns Fuß fassen. "Das Ragweed ist ein gutes Beispiel für ein eingeschlepptes Unkraut mit starken Allergenen. Auf diese Weise können neue Allergien auftreten, die es bisher nicht gab", sagt Raith. Außerdem wird die Pollensaison durch klimatische Veränderungen länger. Auch neuartige chemische Substanzen, denen man durch Produkte des täglichen Gebrauchs ausgesetzt ist, stehen im Verdacht, allergische Reaktionen zu verschlimmern.

Allergene sind eigentlich Proteine, die per se nicht schädlich sind und bei gesunden Personen keine Reaktionen hervorrufen. Bei Allergikerinnen und Allergikern jedoch sehr wohl: Dringen die Eiweißstoffe in den Körper ein, bildet dieser Antikörper gegen die vermeintliche Bedrohung. Es kommt zur Ausschüttung von Substanzen wie Histamin, die allergische Symptome auslösen.

Gene und Feinstaub

Ob jemand Allergien entwickelt, hängt zunächst von genetischen Faktoren ab, die sich kaum verändern lassen. Die Belastung durch die Umwelt spiele aber ebenfalls mit, und je besser diese verstanden werde, desto eher könne man dagegenwirken. "Die Schadstoffe in der Luft sind schon ein Faktor, für den wir verantwortlich sind und den wir beeinflussen können", sagt Hutter. Die Reduktion von Umweltschadstoffen in der Luft wäre auch deshalb ein sinnvolles Ziel, weil diese auch alle anderen chronischen Atemwegserkrankungen begünstigen. "Die Luftschadstoffe zu reduzieren würde uns vieles ersparen", sagt Hutter.

Der Schwerpunkt von Raiths aktuellem Forschungsprojekt liegt ebenfalls auf den Schadstoffen, die durch Verkehr und Industrie in die Luft gelangen. Raith und ihr Team untersuchen, wie sich diese Partikel auf die Wirkung der Allergene und die Epithelzellen selbst auswirken. Feinstaubpartikel sind weniger als fünf Mikrometer groß. "In die tiefsten Bereiche der Lunge können eigentlich nur so kleine Teilchen eindringen, Pollen kommen nicht so weit", sagt Raith. "Deren Abbauprodukte aber können etwa mit dem Feinstaub interagieren und gemeinsam tiefer in den Körper gelangen." (Pia Gärtner, 7.5.2022)